Vesperkirche 2024 ist eröffnet
Wieder "Gemeinsam an einem Tisch"
Singen. Am Sonntag öffneten sich erneut die Tore der Lutherkirche zum festlichen Auftakt der mittlerweile "7. Singener Vesperkirche 2024", welche bis zum 28. Januar täglich von 11.30 Uhr bis 14 Uhr unter dem Motto "Gemeinsam an einem Tisch" stattfindet.
Jeder Gast der Vesperkirche bekommt dabei ein schmackhaftes Mittagessen, Kuchen und ein heißes oder kaltes Getränk an schön gedeckten Tischen im Kirchenraum serviert - und gibt dafür, was er kann und will. Dieses nicht mehr wegzudenkende Singener Gemeinschaftsprojekt wird federführend vom Arbeitskreis christlicher Kirchen (ACK) organisiert, wiederum engagiert unterstützt von lokalen Unternehmen, Stiftungen, der Singener Tafel, der Stadt Singen mit ihren Technischen Diensten sowie vielen weiteren Partnern. Die Finanzierung dieses Ortes der Hoffnung an kalten Tagen wird zwischenzeitlich allein durch Spenden und Beiträge der Gäste sowie durch viele helfende Hände ermöglicht - ein gutes Zeichen für den tiefen Gemeinsinn vor Ort.
Zum Eröffnungsgottesdienst fanden sich denn auch zahlreiche Gläubige und Gäste unterschiedlichster Glaubens- und Himmelsrichtungen aus mehreren Generationen und sozialen Bezügen ein - Bekannte und Unbekannte, Freunde, Nachbarn und Verwandte wurden in die Mitte genommen und saßen im gemeinsamen Gespräch zusammen, wie einst früher am Küchentisch.
Nach schwungvollem Auftakt durch den evangelischen Posaunenchor unter Leitung von Andreas Gerlach und einfühlsamer Orgel-Begleitung durch Martina Bischofberger unterstrich Andrea Fink-Fauser, Pfarrerin der evangelischen Luthergemeinde und ACK-Sprecherin, zur Begrüßung die wichtige Bedeutung der Vesperkirche als "einem Ort der Vision, bei dem das Miteinander - gerade auch im Gespräch - im Mittelpunkt steht". Für sie ist die Vesperkirche "auch ein Protest gegen die Armut, gegen das Oben und Unten in unserer Gesellschaft" und sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass möglichst viele Menschen durch den Besuch und die Begegnungen in der Vesperkirche "wieder Kraft finden".
Dem Eingangsgebet von Pfarrer im Ruhestand Bernhard Knobelspies (katholische Kirche) folgten Impulse von Gerhard Dreher (neuapostolische Gemeinde) und Pfarrer Andreas Sturm von der Alt-Katholischen Gemeinde: "Wir brauchen Gemeinschaft und tragende Liebe - wir brauchen Orte wie diesen."
Claudia Graf und Mariette Huntscha trugen eine erweiterte Fassung von "Alles hat seine Zeit..." vor, gefolgt von Karin Burger, ebenfalls aktiv in der katholischen Gemeinde/katholischen Frauengemeinschaft Deutschland. Sie las ein Gleichnis aus dem Lukas-Evangelium: Zu Jesus, als er in Kapernaum lehrte, brachten Männer einen Gelähmten in seinem Bett. Die große Volksmenge verhinderte jedoch ein Hereintragen in das Haus, sodass sie auf das Dach stiegen und ihn durch die Ziegel auf dem Bett hinunterließen, in die Mitte vor Jesus hin, der ihn heilte.
Markus Weimer, Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Konstanz, griff dieses Gleichnis des "Dachschadens", welcher am Ende doch Heilung, Freude und Erkenntnis brachte, in seiner Festrede auf. Auch wir suchten, wie er selbst, im Alltagsleben immer wieder Schutz unter vermeintlich sicheren Dächern, damit uns nichts passiert. Aber Weimer erinnerte an die Worte Jesu: "Die Füchse haben ihren Bau, die Vögel unter dem Himmel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegt." Jesu lud somit die Menschen ein, an seiner Heimatlosigkeit ohne festes Dach über dem Kopf teilzunehmen und in seinen Dienst zu treten - in Hoffnung und im Vertrauen auf Gott.
"Unsere Welt ändert sich so schnell wie noch nie", so der Dekan mit Blick auf unsere Tage. Statt auf trügerische Sicherheit zu bauen, gelte es "hoffnungsstur" mit einem "Dachschaden" zu leben und Gott zu vertrauen. Schließlich habe die Öffnung der Ziegel über den Köpfen überraschend Luft, Licht und Segen gebracht und die Heilung des Gelähmten ermöglicht. So scheine auch in unserer Welt zwar vieles "unter dem Dach der Vernunft, der gemeinsamen Regeln und Gesetze" durchgerechnet - sodass wir in einer Art Abschottung glauben "was es nicht geben kann, kann ich nicht glauben". Aber auch die Menschen in Kapernaum "sind weitergegangen", so Weimer: "Doch wo kommen wir hin, wenn wir weitergehen?"
2016 habe sich diese Frage den Gläubigen hier vor Ort gestellt - "und heute stehen wir zur Eröffnung der Vesperkirche voller Freude und Dankbarkeit vor diesem wunderbaren Team 'mit Dachschaden' ", so der Dekan unter Beifall. Jesu selbst aß mit Zöllnern, Sündern, Soldaten, mit den Schwestern Martha und Maria - was deren Leben veränderte. So säßen auch Menschen in der Vesperkirche plötzlich an einem Tisch und begegneten sich, Weltbilder würden durcheinandergewirbelt, es käme zu Veränderungen, "wenn der Himmel die Erde berührt" und wir bereit sind "unter einem offenen Himmel zu leben", so Weimer abschließend.
Eine gemeinsame Fürbitte für die Hungrigen, die Wohnungslosen, Menschen in Kriegs- und Krisengebieten, zur Stärkung der Engagierten und zum Gedenken an verstorbene Weggefährten mündete in die saalweite Verknüpfung von Seilstücken, welche ein gemeinsames Zeichen ergaben. Mit dem Ende des Gottesdienstes und dem Beginn des gemeinsamen Mittagsmahls fielen dann erste Sonnenstrahlen in die Vesperkirche.
Auch OB Bernd Häusler zeigte sich erneut beeindruckt und stimmte Andrea Fink-Fauser zu: "Die Vesperkirche ist einfach eine tolle Gemeinschaft, wo Spaltung in der Gesellschaft überwunden wird." So wird auch der beliebte Impuls zum Mittagsmahl jeweils um 12.45 Uhr an allen Tagen stattfinden. Er startet diesen Montag erstmals mit einem interreligiösen Beitrag des Singener Forums der Religionen. Am kommenden Sonntag findet der traditionelle Familiengottesdienst gemeinsam mit dem Käthe-Luther-Kinderhaus statt.
Autor:Bernhard Grunewald aus Singen |
Kommentare