BUND stellt Studie für Baden-Wüttemberg vor
Klimawende: viele Herausforderungen gehören unter ein gemeinsames Dach
Singen/Kreis Konstanz. An einer Klimawende führt kein Weg vorbei, wenn man die dramatischen Entwicklungen auf unserem Globus betrachtet, die ein Alarmzeichen nach dem anderen senden. Doch wie geht der Weg dorthin? Dafür gibt es derzeit zwar die ausgesprochenen Ziele wie für die EU zum Beispiel, bis 2050 klimaneutral zu werden, Deutschland 2045 oder 2050, das Land Baden-Württemberg will das bis zum Jahr 2040 schaffen, Städte wie Konstanz und Singen haben das Jahr 2035 angesetzt, wobei in Singen dazu noch ein formeller Beschluss fehle, wie OB Bernd Häusler am Montag sagte, aber das Klimaschutzkonzept eh nochmal aktuell neu aufgerollt wird.
Das Komplizierte daran ist, dass letztlich ganz viele lokale Aktionen am Schluss ein „Ganzes“ ergeben sollen, wie am Montag im Rahmen einer Veranstaltung des „Bund für Umwelt- und Naturschutz“ (BUND) Baden-Württemberg in der Singener Stadthalle deutlich gemacht wurde, zu der der Landkreis Konstanz wie die Stadt Singen gemeinsam eingeladen hatten. Dort waren viele Vertreter von Politik und Wirtschaft zusammengekommen, um eine neue Studie vorzustellen, wie in Baden-Württemberg eine zu 100 Prozent klimaneutrale Energieversorgung erreicht werden könnte. Und weil es schon in Baden-Württemberg aufgrund der Landesstruktur große Unterschiede gibt, wurde das Land auch in zwölf verschiedene Bereiche durch das Öko-Institut Freiburg eingeteilt, das auf wissenschaftlicher Basis hier die Szenarien entwickelt hat, wie der Weg zur Klimaneutralität erreicht werden könnte, wie die Vorsitzende des BUND-Landesverbands, Sylvia Pilarsky-Grosch, in ihrer Begrüßung erläuterte. Der Landkreis wurde hier in einer Region „Hochrhein-Bodensee“ untersucht, und die Studie bringt natürlich die großen Unterschiede der Regionen deutlich zum Ausdruck.
Wenig Windkraftpotenzial
Klar ist: Der Stromverbrauch wird im Zuge der weiteren Entwicklungen gewaltig ansteigen, denn all das, was bisher aus fossilen Quellen kommt, wie Gas oder Erdöl, soll ja künftig elektrisch bewerkstelligt werden, vom Verkehr bis zur Wärmegewinnung, wo die Klimaschützer ganz auf die Wärmepumpe setzen. „Selbst die Herstellung von E-Fuels oder auch die Wasserstoff-Technologien sind im Prinzip strombasiert“, machte Sybille Pilarsky-Grosch bei der Vorstellung der Studie deutlich. Aber woher den Strom holen? Gesetzt wird auf Windkraft und Photovoltaik als die neuen Träger der Energieversorgung. Das Windkraft-Potenzial hier am Hochrhein und im Kreis Konstanz insbesondere sei allerdings sehr gering. Wenn man hier das von der Landesregierung gesetzte Ziel, zwei Prozent der Freiflächen der Kommunen mit Photovoltaik und Windkraft zu belegen, für diese Region umsetzen wolle, müssten bei der Windkraft gar 97 Prozent der möglichen Flächen belegt werden, was unwahrscheinlich ist. Zum Vergleich: In der wesentlich windigeren Region Heilbronn-Franken käme man schon mit rund sieben Prozent der möglichen Flächen aus, um so ein Ziel zu erreichen. Dafür steht freilich hier in der Region mehr Strom aus Wasserkraft zur Verfügung, was aber nicht unbedingt ausbaubar wäre. Sven Simon, der den „Energiemonitor“ für den Landkreis mit bearbeitet, machte zum Beispiel deutlich, dass sich der Landkreis eben auch angesichts des stark steigenden Strombedarfs wohl nie zu 100 Prozent aus eigenen regenerativen Energien versorgen könnte aufgrund seiner Struktur, also immer noch von irgendwo Strom importieren müsste, wie das derzeit ja auch noch im großen Maß über die Hochspannungsstrecken vom Hochrhein her der Fall ist.
Trotzdem Wohlstand
Abseits der Klimaziele geht es ja immer wieder um die Sorge, ob der Wohlstand sinken würde, durch die Anstrengungen für eine Klimaneutralität. „Wenn der Landkreis also im derzeit geschätzten Maximum irgendwann um das Jahr 2040 rund 90 Prozent der Energie aus eigenen Quellen schöpfen könnte, dann müsste viel Energie nicht mehr von außen zugekauft werden, die Wertschöpfung wäre also eine lokale, was eben auch für die Region Wohlstand erhalten oder sogar vergrößern könnte“, so ein Aspekt aus den Studien, die hier zusammengetragen wurden.
Unterschiede durch die Industrie
Der Anteil der Mobilität am Energieverbrauch wird gegenwärtig mit 25 Prozent angegeben, der für die Wärmegewinnung in Gebäuden mit 29 Prozent, der der Industrie mit 23 Prozent, der für Gewerbe, Handwerk und Dienstleistungen (damit auch für Konsum, da zum Beispiel Produkte auch mit einem Energieverbrauch hergestellt werden) liegt bei 19 Prozent. Dass die Unterschiede im Energiebedarf eben auch sehr unterschiedlich sind, machte OB Bernd Häusler am Beispiel der Stadt Singen deutlich: Mit den Fabriken der ALU, der Gießerei Fondium, Maggi wie Takeda als den größten Energieverbrauchern, steht die Stadt vor besonders großen Herausforderungen in Sachen Klimaneutralität in der Energieversorgung. Der Energiebedarf könnte ohnehin nie auf der eigenen Fläche der Stadt dargestellt werden, weshalb andere Konzepte nötig sind. Das Reallabor der HTWG Konstanz mit Fondium zur Dekarbonisierung der Eisenschmelze ist dabei ein Leuchtturmprojekt für die ganze Branche, mit dem Einsatz von Biokoks, der aus nachwachsenden Rohstoffen produziert werden könnte. Mit der Abwärme der Fabrik könnte zum Beispiel nicht nur die benachbarte Maggi-Fabrik versorgt werden, was schon seit Jahren erfolgreich läuft, sondern auch Teile der Singener Innenstadt. Auf der anderen Seite gibt es schon jetzt im Landkreis Gemeinden wie Mühlhausen-Ehingen oder Mühlingen, auf deren Gemarkung schon viel mehr Strom über Photovoltaik erzeugt wird, als lokal verbraucht werden könnte, sodass auch regionale Lösungen möglich wären. Auch das Takeda-Werk verfolgt schon lange eine Strategie und will bis 2025 seinen CO₂-Ausstoß um 80 Prozent senken und investiert dafür kräftig.
Belastung durch Verkehr gestiegen
Klimaziele werden schon lange formuliert, vielerorts ist die Ernüchterung groß, wie viel davon dann tatsächlich umgesetzt wurde. Der Klimakompass der HTWG Konstanz vergleicht Zahlen zum CO₂-Ausstoß von 1990 und 2019: Danach stiegen die Emissionen im Bereich Verkehr zum Beispiel sogar an: von 20,2 auf 22,2 Millionen Tonnen. Und eigentlich wäre bis 2030 eine Absenkung auf 9,2 Millionen Tonnen vor allem durch die Umstellung auf E-Mobilität geplant. Bei der Stromerzeugung konnte auf der anderen Seite seit 1990 zu 2019 der CO₂-Ausstoß von 19,9 auf 15,9 Millionen Tonnen gesenkt werden, sollte aber laut den Plänen bis 2030, also in sieben Jahren, schon auf ein Drittel, nämlich 5,5 Millionen Tonnen gesunken sein, um sich der Klimaneutralität zu nähern. Die Studie macht deutlich, dass es einer Vielzahl von Maßnahmen bedarf. Und es geht nur, wenn die Bevölkerung dabei mitmacht und merkt, dass sie selbst davon profitieren kann. Das ist oft im Lokalen am besten möglich: zum Beispiel mit einem Singener Mobilitätskonzept, das die Autos aus der Stadt bringen will, dafür die Aufenthaltsqualität wesentlich verbessert. Das allergrößte Potenzial ist immer noch der Gebäudebestand und dessen Wärmeversorgung. „Wir müssen Gas geben, und in Baden-Württemberg ganz besonders“, machte Sylvia Pilarsky-Grosch in ihrer Vorstellung deutlich.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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