"Ein Winter unterm Tisch" in der Basilika
Intellektuelle Einwanderer als gutherzige Untermieter

Unterschiedliche, aber doch vielleicht so gleiche Menschen? Unter anderem hierum geht es in Marcus Calvins Inszenierung von "Ein Winter unterm Tisch" in der Basilika.  | Foto: Guido Kasper
  • Unterschiedliche, aber doch vielleicht so gleiche Menschen? Unter anderem hierum geht es in Marcus Calvins Inszenierung von "Ein Winter unterm Tisch" in der Basilika.
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Singen. Eine liebenswürdige Vermieterin sowie ein Mieter, der sich gutherziger nicht sein kann. Dies sind die zwei Hauptcharaktere in Roland Topors "Ein Winter unterm Tisch", das unter der Regie von Marcus Calvin am 11. April in der Basilika Premiere feierte.

Das Stück erzählt die Geschichte des Schusters Dragomir (Nikkel Schüler), der als Einwanderer unter dem Arbeitstisch der attraktiven Übersetzerin Florence (Magdalena Herzenberg) zusammen mit seinem Cousin Gritzka (Julius Barner), Asyl erhält. Es entspinnt sich eine romantisch-zarte wie erotische Liebesbeziehung zwischen Florence und Dragomir, denn Dragomirs Unterkunft zu Füßen der schönen Zimmerwirtin lässt besondere Einblicke zu. So weit so gut bis zu dem Zeitpunkt, als Raymonde (Carla Striewe), eine Freundin von Florence, und Marc Thyl (Elmar F. Kühling), ihr Verleger und Verehrer, in Dragomir ein Problem und eine Bedrohung sehen.

Einwandererschicksale, das wird sehr schnell im Stück deutlich, waren Roland Topor nicht gerade fremd, durchlebte er diese als Sohn polnisch-jüdischer Emigranten während des zweiten Weltkriegs doch selbst. Bekannt geworden als Meister der makabren Pointe, fand Topor auch immer das zutiefst Menschliche in seinen Stücken. So auch deutlich in der schauspielerisch in allen Rollen herausragenden Inszenierung von Marcus Calvin erkennbar, konnte das Thema von einer sichtbar menschenunwürdigen Unterkunft innerhalb unterschiedlicher Sozialschichten aktueller nicht sein, Dragomir und Gritzka aufgrund ihrer musikalischen wie handwerklichen Intellektualität Gute im Menschen sowie deren Glauben an das für den Zuschauer jedoch eigentlich keine Bedrohung an sich darstellen wie von Raymonde gegenüber der sichtlich bemühten Übersetzerin zunächst verdeutlicht wird. 

Und doch versteht man die Probleme von Florence, die so gutherzig ist, dass sie von ihrem "Untermieter" bei schlechter Gesundheit sogar keine Miete verlangt und trotz eines gut dotierten Auftrags schier nicht über die Runden kommt. Jedoch auch die von Raymonde, die durch die Liebeleien des "tollen Weiberhelden" Dragomir und dadurch verbundenen Ablenkungen an Florence's Übersetzungen eine potenzielle Beziehung mit dem Verleger Thyl in Gefahr sieht und daher nur Gutes für ihre Freundin will. Verstärkt wird dieses Argument zudem, als Gritzka seinen Cousin auf Florence sowie deren Freundeskreis hinweist, um nicht selbst irgendwann am Rande der Gesellschaft zu landen ("Nimm dich in Acht vor der Überflussgesellschaft"). Auch ein sehr tiefseeliges Wiegenlied über ein Eichhörnchen sowie folgendes Zitat von Topor selbst zeigen, wie stark die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft heutzutage immer noch sind: "Für mich wäre das größte Unglück, dass die Wirklichkeit dem entspricht, was ich von ihr weiß." 

Und dann stellt sich da noch die ewige Frage nach dem Trom. Ist es wirklich, wie zunächst beschrieben die streunende Katze im Haus, oder hat dieses Wort doch eine ganz andere, viel menschlichere Bedeutung? Dies, sowie die Frage, ob Liebe wirklich als menschlicher Wert betrachtet werden, werden dem Publikum sowohl auf sehr humorvolle wie umwerfend komische, aber auch zutiefst nahbare Art und Weise näher gebracht. Nicht nur dies macht Marcus Calvins wundervolle Inszenierung "Ein Winter unterm Tisch" zu einem der wohl tiefgründigsten wie menschlichsten Stücke, die man hier in der Region erleben kann.

"Ein Winter unterm Tisch" ist noch bis zum 24. Mai, Mittwoch bis Samstag, jeweils um 20 Uhr in der Basilika Singen zu sehen. Zudem wird das Stück in einer Sonntags-Matinée am  27. April um 11 Uhr gespielt.

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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