Kunstverein Singen besichtigte das Sitterwerk in St. Gallen
Ein von Kunst und Produktion geprägter außergewöhnlicher Ort
Singen/St.Gallen. Das Sitterwerk, am gleichnamigen Fluss im Industrieareal in St. Gallen gelegen, war Ziel der Herbstausfahrt des Kunstvereins Singen. Neben der von Felix Lehner 1983 gegründeten Kunstgießerei, entstanden auf Stiftungsbasis 2006 die Kunstbibliothek mit heute 30 000 Büchern, das Werkstoff- und Materialarchiv, das Atelierhaus und das Kesselhaus, in dem die Sammlung des Schweizer Bildhauers Hans Josephsohn ausgestellt, gelagert und betreut wird.
Bereits auf der Hinfahrt gab Helena Vayhinger (Beirätin des Kunstvereins) einen Einblick in das Leben Felix Lehners und eine erste Erläuterung zum Sitterwerk, ein von Kunst und Produktion geprägter außergewöhnlicher Ort. Die Kunstgießerei des Sitterwerks erfüllt in ihrer Grosswerkstatt Aufträge aus der ganzen Welt. Mit ihrem ausgezeichneten Ruf realisiert sie Werke für nationale und internationale Künstler und betreut die Arbeiten in allen Stadien der Entstehung.
Die Führung begann mit der ausführlichen Erklärung der einzelnen Arbeitsprozesse des Wachsausschmelzverfahrens für den Metallguss. Am Modell führten die Schritte vom Silikonauftrag über das Wachsmodell zur Schamotteform hin zum Hohlguss. Die Wachsform gewinnt besondere Bedeutung, weil sie von vielen Künstlern noch zu abschließenden Korrekturen genutzt wird. Der Guss erfolgt in der Gießerei, wo das Metall, meist Bronze, aber auch Messing und Aluminium, im Induktionsverfahren verflüssigt wird. Neben diesem schon über 3000 Jahre alten klassischen Verfahren wird vermehrt auch mit digitalen Lösungen zur Umsetzung von Skulpturen und Kunstwerken, über einen modernen hauseigenen 3D-Drucker gearbeitet. Ein Fotolabor bietet Kunstschaffenden die Möglichkeit, digital oder analog großformatige Abzüge herzustellen.
Für Urs Fischer scannten die Sitterwerke die Skulptur „der Raub der Sabinerinnen“ des Bildhauers Giambologna in Florenz, digitalisierten das 6,5 m hohe Werk, um es dann in Wachs nachzugießen. Mit Dochten versehen, wurde es während der Laufzeit der Biennale in Venedig 2011 allmählich abgebrannt, wobei sich immer wieder neue und interessante Wachsstrukturen entwickelten. Kunst und realisierendes Handwerk gehörten früher untrennbar zusammen. Ein Beispiel, wie sich diese Zusammenarbeit gewandelt hat, stellte Isa Genzkens „Rose“ dar. Die Gießerei erhielt als Vorlage nur ein Bild der Rose, die 8 Meter hoch werden sollte. Die Probleme der Ausführung wie Statik, Lackierung und Herstellung der Blätter überließ die Künstlerin völlig der Kunstgießerei.
Im Kesselhaus erwartete die Besucher eine Ausstellung von Skulpturen Hans Josephsohns, dessen Nachlass die Galerie Lehner betreut. Erst in höherem Alter erhielt der Bildhauer internationale Anerkennung. Seine wuchtigen Arbeiten mit den grob bearbeiteten Oberflächen setzen sich ausschließlich mit der menschlichen Figur auseinander und werden im hohen Raum des Kesselhauses ideal präsentiert.
In der Kunstbibliothek beeindruckte nicht nur die Zahl der 30 000 Bücher, sondern auch das dynamische Ordnungssystem. Hier scannt ein Roboter Nacht für Nacht in Radiofrequenztechnologie die Bücher an ihrem jeweiligen Platz, so dass am andern Tag für jeden Leser sofort ersichtlich ist, wo das gesuchte Buch gerade steht. Die Ordnung passt sich somit den Benutzern an, welche themenspezifisch oder auch assoziativ Bücher in den Regalen zusammenstellen können. Diese selbst sortierte Wissensordnung geht auf die Sammlung Daniel Rohner zurück, der diese Präsenzbibliothek mit dem Schwerpunkten Kunst, Materialkunde und Architektur aufbaute.
Nach der beeindruckenden Führung überraschte die Vorsitzende Ulrike Veser vor der Rückfahrt die Mitreisenden mit einem gewaltigen Zopfbrot, was bei herrlichem Sonnenschein genossen und vollständig vertilgt wurde. Unter dem Eindruck, einen wichtigen Ort der Entstehung von und der Begegnung mit Kunst erlebt zu haben, durften zufriedene Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Heimfahrt antreten.
- Stefan Mohr
Autor:Redaktion aus Singen |
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