Auswüchse der Bürokratie enden im Bürokratismus
Die Region fragt - Berlin antwortet
Formulare, Anträge, Bestätigungen.... der Berg an Bürokratie, unter dem der Bürger, Behörden, Unternehmen und Organisationen ächzen, scheint alpine Ausmaße anzunehmen. Dabei ist Bürokratie für das Funktionieren eines Staates unabdingbar. Denn eine moderne Gesellschaft lässt sich ohne Verwaltung und Vorschriften nicht organisieren – nur sollten sie effizient sein.
Die Auswüchse der Bürokratie enden im Bürokratismus. Der bedeutet ein überbordendes staatliches Eingreifen, das bei den Betroffenen zu unnötigem Aufwand führt und in der Wirtschaft Innovationskraft hemmt. Beispiele gibt es im Bauwesen ebenso wie im Gesundheitssektor und in vielen anderen Bereichen. Geradezu ein »bürokratische Monster« sieht Johannes Moser, Bürgermeister von Engen und Kreisvorsitzender des Gemeindetags Baden-Württemberg, Kreisverband Konstanz in dem § 2b UStG, der nach EU-Gesetz Wettbewerbsverzerrung eigentlich vermeiden soll, dafür aber den kommunalen Verwaltungen umso mehr zusätzliche Arbeit aufbürdet.
Die Region fragt
Zu diesem Thema stellten wir die Fragen aus der Region an unsere Bundestagsabgeordneten in Berlin: Dr. Lina Seitzl (SPD), Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) und Andreas Jung (CDU):
1. Wie kann der Berg an bürokratischen Vorschriften abgetragen werden?
2. Auf welche Weise können bürokratisch notwendige Abläufe für Bürger und Kommunen vereinfacht und beschleunigt werden?
3. Wodurch können solch absurde Gesetze wie der §2b UStG vermieden werden?
Berlin antwortet
Dr. Lina Seitzl (SPD):
1. »Im Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien festgelegt, ein neues Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg zu bringen. Das neue Gesetz soll unter anderem durch ›One-in-one-out-Regelung‹ effektiv die Entbürokratisierung in Deutschland voranbringen. Danach wird für jedes neue Gesetz ein altes Gesetz abgeschafft. Wie im Koalitionsvertrag festgehalten, will die Ampel-Koalition beispielsweise durch die Einführung von SharedService-Plattformen, Synergiemanagement und effizientere Berichtspflichten Bürokratie in Forschung und Verwaltung abbauen.«
2. »Durch verschiedene Verordnungen und Gesetze auf EU-Ebene wird die Digitalisierung von Anträgen und bürokratischen Abläufen vorgeschrieben, so dass Verwaltungsdienstleistungen europaweit digital zugänglich gemacht werden. Ein Bürokratieentlastungsgesetz soll sicherstellen, dass bestehende und kommende Abläufe und Regelungen unbürokratisch und damit auch effizient gestaltet werden. Im Rahmen dieses Gesetzes soll ein systematisches Verfahren zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen und Regelungen entwickelt werden.
Außerdem muss das ›Once-only-Prinzip‹ schnellstmöglich eingeführt werden, durch das Prozesse in der öffentlichen Verwaltung weiter verschlankt werden. Damit müssen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bestimmte Standardinformationen nur einmalig Behörden und Verwaltungen mitteilen. Nach der expliziten Zustimmung der Nutzer und unter Einbeziehung von Datenschutzbestimmungen ist es der öffentlichen Verwaltung dann erlaubt, die Daten wiederzuverwenden und untereinander auszutauschen.«
3. »Für eine möglichst praxisnahe Gesetzgebung ist es wichtig, Expertinnen und Experten aus der Praxis und weitere Stakeholder miteinzubeziehen. Wir brauchen ein Bürokratieentlastungsgesetz, das solche Praxischecks vorsieht und damit die pragmatische Umsetzbarkeit von neuen Gesetzen auf Bundesebene betont. Im Falle des Paragraf 2b UStG ist es so, dass Deutschland EU-Recht umsetzt. Dafür wurde die Übergangsfrist bis 2023 sogar verlängert, um den Kommunen mehr Zeit für die Umsetzung zu geben. Insgesamt muss bei der Umsetzung von EU-Recht dafür Sorge getragen werden, dass sie effektiv, bürokratiearm und im Sinne des einheitlichen europäischen Binnenmarktes erfolgt.«
Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP):
1. »Wir sollten - auch - bei der Bürokratie-Reduzierung nicht nur auf “den Staat” (also letztlich die Bürokratie!) warten, dass er uns diese Aufgabe abnimmt. In allen meinen Gesprächen mit Menschen in den unterschiedlichsten Berufen und Lebenslagen kristallisiert sich für mich heraus: Leider sind wir selber auch Teil des sehr tief sitzenden Problems. Unsere Gesellschaft pflegt im Kern eine null-Fehler-Toleranz. Damit möglichst für niemanden etwas schiefgeht, werden deshalb einfache Vorgänge mit viel bürokratischem Aufwand bis ins letzte Detail abgesichert.
Ich setze mich ein für eine etwas unternehmerische Kultur der Verantwortungsübernahme und der Eigenverantwortung - oder anders gesagt: mehr Freiheit.«
2. »Meine Antwort wird Sie nicht überraschen: Die durchgehende, nahtlose Digitalisierung von Prozessen ist der Schlüssel. Ich habe bei meinen Besuchen in den Kommunen unseres Landkreises schon viele sehr gute Beispiele gesehen, wie das gehen kann. Wir können auch noch viel lernen von Ländern wie Estland oder Georgien, die in Sachen Digitalisierung der Verwaltung sehr weit sind. Bedauerlich ist, dass wir da in den letzten Jahren so viel verschlafen haben und jetzt aufholen müssen.«
3. »Also, ich halte das Gesetz nicht für absurd. Ich habe dieses Gesetz, das noch unter der Großen Koalition auf der Grundlage von EU-Recht in deutsches Recht gegossen wurde, zwar nicht mit gestaltet. Aber trotzdem möchte ich für die Vorschrift eine Lanze brechen. Denn es geht darum, Wettbewerbsverzerrungen zwischen privatem und öffentlichem Sektor zu vermeiden - was ich für ein berechtigtes Anliegen halte. Der Kuchenverkauf an Schulen ist definitiv keine Anwendungsfall dieser Vorschrift; insofern ist diese Aufregung unbegründet. Es wäre aber natürlich schon wünschenswert, wenn bei Erlass einer vollständig neuen rechtlichen Lage z.B. für Kommunen von vornherein möglichst praxisnah für viele Anwendungsfälle Klarheit geschaffen wird.«
Andreas Jung (CDU):
1. »In den letzten Jahren wurden Bürokratieabbaugesetze beschlossen, um den Verwaltungsaufwand spürbar zu reduzieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das 'Aus' für den "gelben Schein". Die Krankmeldung auf Papier wurde durch eine digitale Bescheinigung für den Arbeitgeber ersetzt. Insgesamt wurden Bürger und Wirtschaft mit der letzten Gesetzesnovelle zum Bürokratieabbau um über eine Milliarde Euro entlastet. Auch in dieser Legislatur arbeiten wir an Vorschlägen für den Abbau von unnötiger Bürokratie und werden diese zeitnah in einem Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen. Beispielsweise streben wir eine Vereinheitlichung der bislang sehr unterschiedlichen Anmeldeverfahren für Solaranlagen an.«
2. »Von der Ampel wurde im Koalitionsvertrag zwar vereinbart, die Reduzierung von unnötiger Bürokratie fortzuführen. Bisher beobachten wir aber genau das Gegenteil. So wurde ein Entlastungspaket etlichen bürokratischen Maßnahmen wie etwa der Energiepreispauschale beschlossen. Die Ampel hat damit auch neue bürokratische Kosten für Arbeitgeber und Verwaltung im Milliardenbereich eingeführt. Für eine gerechte Abfederung der gestiegenen Energiepreise hätte es einen besseren Weg gegeben.«
3. »Die Einführung des § 2b UStG zum 1. Januar 2017 wurde zur Vorbereitung auf die neue Situation mit einer langen Übergangsfrist von fünf Jahren versehen. Diese wurden während Corona noch einmal um zwei Jahre von der Großen Koalition verlängert. Auch in dieser Zeit hat das Bundesfinanzministerium leider nicht die notwendige Rechtssicherheit für die Betroffenen geschaffen. In den allermeisten Fällen wird z. B. der Kuchenverkauf in der Schule nicht steuerpflichtig. Wir fordern das Bundesfinanzministerium seit mindestens vier Jahren auf, hierzu und zu ähnlichen Konstellationen endlich Klarheit zu schaffen - mit Handreichungen für alle Betroffenen. Das Land Bayern hat dagegen bereits Anfang Januar 2021 eine Information für alle Eltern in Deutschland veröffentlicht, um bei diesem Thema für Rechtssicherheit zu sorgen ("Leitfaden zur Besteuerung von in Kindertageseinrichtungen und Schulen erzielten Umsätzen im zeitlichen Anwendungsbereich von § 2b UStG" des Bayerischen Landesamtes). Jetzt muss das Bundesfinanzministerium kurzfristig Klarheit für eine verlässliche, unbürokratische Regelung schaffen.«
Autor:Ute Mucha aus Moos |
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