Färbe feiert Molière beim Sommertheater
Die Ehrlichkeit ist der wahre Menschenfeind

Das gesamte Ensemble (von links): Alexandra Born, Marcus Calvin, Elmar F. Kühling, Daniel Leers, Fionn Stacey, Bianca Waechter, Dina Roos, Stefan Wallraven (hinten).
  | Foto: Eric Bührer
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  • Das gesamte Ensemble (von links): Alexandra Born, Marcus Calvin, Elmar F. Kühling, Daniel Leers, Fionn Stacey, Bianca Waechter, Dina Roos, Stefan Wallraven (hinten).
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Singen. Bereits in der Kindheit hat jeder wahrscheinlich schon einmal gehört, dass die Ehrlichkeit am längsten währt. Eine Lüge hingegen scheint zu schnellem Erfolg zu führen, welcher jedoch nur so lange besteht, bis das Ammenmärchen aufgedeckt wird. Das Sprichwort erscheint zunächst als eine vernünftige Tatsache für jeden Mündigen. Doch wirft man einen genaueren Blick auf die Gesellschaft, registriert man recht schnell, dass nur die Wenigsten diesen Rat befolgen. Mit dieser Thematik befasst sich auch das Theaterstück "Der Menschenfeind", welches bereits 1666 seine Uraufführung feierte und der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Doch das Vorhalten allein erweist sich nur schwerlich als erfolgreich, wenn kaum einer gewillt ist, die Augen zu öffnen.

Dieses weiterhin präsente Problem erkannte auch das Theater "Die Färbe" in Singen und wagte einen neuen Versuch, der Gesellschaft ihren selbst-betrügerischen Schleier zu rauben. Mit der Eröffnung des diesjährigen Sommertheaters feierte das Theater am vergangenen Freitag, 16. Juni, die Premiere des Bühnenklassikers "Der Menschenfeind". Basierend auf der Nachdichtung von Hans Magnus Enzensberger, manövriert Regisseur Klaus Hemmerle die Komödie in die Moderne und zeigt eindrucksvoll auf, dass sich bis zum heutigen Tag nichts geändert hat – die Menschheit gilt immer noch als verlogen und heuchlerisch.

"Auch hierzulande, sind die Leute so ehrlich wie eine Gangsterbande"

Alceste (Marcus Calvin) ist ein Idealist und bemerkt mit seiner Beobachtungsgabe, wie verlogen und heuchlerisch sein Umfeld ist. Als Konsequenz daraus erscheint es ihm nur logisch, entgegen der gesellschaftlichen Erwartungen, seinen Mitmenschen nur noch mit der unbequemen Wahrheit entgegenzutreten. So wird er nach und nach zum Menschenfeind und verliert nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Geliebte Célimène (Bianca Waechter) – welche im kompletten Gegensatz zu dem Schriftsteller steht und ihre gesamte Identität einzig auf Lug, Betrug und Schein errichtet.

Auch in Bezug auf das Publikum nahm der "Prediger der Wahrheit" kein Blatt vor den Mund: Ob der einzelne Gast, die regionale Zeitung oder auch die Stadt Singen - keiner war sicher vor der spitzen Zunge des Alceste. Obgleich aus eigener Betroffenheit, die man durch selbstironisches Lachen zu heilen versucht, oder den unverblümten Sprüchen, die den ein oder anderen schon fast empörend nach Luft ringen ließ - das daraus resultierende Gelächter sprach dafür, dass das Stück sich die Bezeichnung "Lustspiel" redlich verdient.

Die "Queer-Bitch" als Symbol für heuchlerische Unternehmen

Auf humorvolle Weise parodieren die Schauspieler Elmar F. Kühnig, Alexandra Born, Dina Roos, Daniel Leers, Stefan Wallraven und Fionn Stacey die Gesellschaft - und das so authentisch, wie diese es sich selbst nur selten zugestehen könnte. Die Anspielungen richten sich jedoch nicht einzig gegen das heuchlerische Bürgertum – auch Konzerne kamen auf ihre Kosten. Pünktlich zum Pride Month verkörperte Fionn Stacey, in der Rolle des Ascaste das Stereotyp der LGBTQIA+ Community. Oder zumindest ein Abbild dessen, was sich manch einer unter einem queeren Menschen vorstellen mag.

In der Öffentlichkeit zeigt sich Célimène tolerant, gar liebend gegenüber Acaste, spricht jedoch im Verborgenen abfällig über "die queere Bitch". Zum einen zeigt diese Szene erneuert den Schein des Einzelnen auf, lässt jedoch auch tief in die simulierte Toleranz der Unternehmen unserer Zeit blicken. So zeigen sich in dem Zeitfenster des Pride-Monats Konzerne und Unternehmen als besonders tolerant, produzieren Ware in Regenbogenfarben und schalten Werbespotts, die ihre eigene "Offenheit" gegenüber queeren Menschen teilweise absurd und plakativ repräsentieren. Jedoch meist ausschließlich, um ihr Image aufzupolieren.

Dieses Bild wird jedoch nur in Ländern vertreten, in denen es gewünscht erscheint. In den übrigen Ländern, in welchen die Community teils verboten ist, wird über die Thematik geschwiegen, ohne sich jemals gegen die Diskriminierung der Gruppierung auszusprechen. Doch wie bei den Unternehmen wird auch Célimènes Scheinheiligkeit bald entlarvt und angeprangert.

"Ehrlichkeit gegenüber der Vergangenheit erweckt Hoffnung für die Zukunft"

Während sich 1666 die Intrigen, Heucheleien, Betrügereien und das vorgetäuschte Selbstbild, sowie dessen "Realität", wohl eher auf dem Hofe abspielten, finden diese arglistigen Eigenschaften des Menschen heute in Sozialen Medien und über unsere geliebten Smartphones statt. Wo früher Briefe waren, sind heute Chats und E-Mails. Gleichwohl verfolgen sie im Theaterstück den gleichen Zweck: Den Schein demaskieren und den wahren Charakter des Menschen offenbaren.

Célimène fühlte sich in ihrer eigens konstruierten Welt sicher und versucht alles, um selbst an die Spitze der Gesellschaft zu gelangen. Ob Fremdflirt, Betrug oder der besten Freundin in den Rücken fallen – alles ist ihr recht und in ihrem Kosmos scheint ihr Smartphone eine Art "Tresor der Geheimnisse" zu sein. Doch wo wäre nur die Moral der Geschichte, würde ihr diese Illusion nicht auf die Füße fallen. Als ihre Freunde sich austauschen und ernüchternd feststellten, welch perfides Spiel ihre Geliebte mit ihnen treibt, beginnt eine Art Hexenjagd über den Gruppenchat – bis die Dame sich ihrem Schicksal zur Ehrlichkeit hingibt. Nichtsdestotrotz verschwindet die Hoffnung, dass sich der Mensch in seiner Scheinheiligkeit ändert, an diesem Abend gemeinsam mit der untergehenden Sonne hinter dem Hohentwiel und hinterlässt das Publikum zwar unterhalten, aber auch nachdenklich im Garten der Färbe zurück.

Das Stück kann bis zum 21. Juli im Färbe-Garten gesehen werden – weitere Informationen zur Vorstellung sind auf der Website der Färbe einzusehen.

Text von Tara Koselka

Autor:

Redaktion aus Singen

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