Vorträge und Diskussion in der Beethovenschule
Besonderes Gedenken zum Kriegsende 1945
Singen. Als "Tag des Sieges" feiert Russland schon lange die Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes Deutschlands im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai im Jahre 1945. Insbesondere seit dem Angriff auf die Ukraine hat diese Feier und die damit verbundene russische Machtdemonstration einen sehr bitteren Beigeschmack. Diesen kürzlichen Jahrestag nahmen die beiden Organisatorinnen der Ukrainischen Samstagsschule, Olga Sobchuk und Viktoria Myronenko, zum Anlass einer Veranstaltung, bei der über das Wirken des Historikers Willi Waibel informiert wurde und tradierte sowjetische Geschichtsbilder hinterfragt wurden.
Unter dem Titel "Wege zur Versöhnung: auf der Suche nach historischer Wahrheit" begrüßte dabei der Moderator und Historiker Valentyn Sobchuk rund 25 Personen in der Mensa der Beethovenschule. Eine ähnliche Veranstaltung habe es im vergangenen Jahr schon gegeben, allerdings mit einem großen Unterschied: Der Singener Ehrenbürger Willi Waibel konnte 2023 noch teilnehmen, ist allerdings kürzlich im März verstorben.
Hier geht es zu dem Nachruf für Wilhelm Waibel:
Seiner langjährigen Bemühung, die Geschichte ausländischer Zwangsarbeiter, der sogenannten Ostarbeiter, aufzuklären, war daher auch ein Vortrag gewidmet. Dr. Carmen Scheide, Historikerin und Vereinsvorsitzende des Fördervereins Theresienkapelle, gab darin einen Überblick in die Geschichte der Ostarbeiter. Sie bezeichnete es dabei als "großen postkolonialen Schritt", dass die Ukraine sich beim Gedenken an das Ende des zweiten Weltkrieges von Russland gelöst und es auf den 8. Mai verlegt habe.
Wie Scheide berichtete, befanden sich zur NS-Zeit viele Zwangsarbeiter in Singen, der Großteil davon aus der Ukraine. Diese Ostarbeiter hatten damals quasi keine Rechte und wurden in hoher Zahl zum Beispiel beim Aluminiumwerk Singen, bei Georg Fischer und Maggi beschäftigt. Als der Krieg 1945 endete, wurden viele in ihre Heimat zurückgeführt, stießen allerdings auf viel Misstrauen. Das hatte zur Folge, dass die Ostarbeiter über ihre Erfahrungen schwiegen, und "lange vergessene Opfer waren", so Carmen Scheide. Erst in den 80ern sei eine wissenschaftliche Forschung und Aufarbeitung erfolgt.
Waibel warf Licht auf den "Schatten am Hohentwiel"
Hierbei habe sich Willi Waibel "vorbildlich verdient gemacht". Er habe als Kind in Singen die Zwangsarbeiter erlebt und jahrzehntelang an der Aufarbeitung ihrer Geschichte gearbeitet. Nach vielen Hürden zuvor konnte er hier erst Ende der 1980er Jahre Antworten finden. In Folge baute Wilhelm Waibel engen Kontakt zur ukrainischen Stadt Kobeljaky auf, die 1993 auf seine Initiative zur offiziellen Partnerstadt Singens wurde. Später habe er die Ukraine als seine "zweite Heimat" bezeichnet, berichtete Carmen Scheide. Im Buch "Schatten am Hohentwiel" sind die Erkenntnisse aus seiner Arbeit nachzulesen. Weiter wurde am Ort der damaligen Zwangsarbeiterlager im Jahr 1947 die Theresienkapelle errichtet, die heute als Gedenkstätte dient.
Valentyn Sobchuk hob hervor, dass das Beispiel von Willi Waibel zeige, wie eine Versöhnung ehemaliger Feinde aussehen könne. Für die Ukraine sei daran zwar aktuell mit Russland nicht zu denken, aber: "Willi Waibel hat gezeigt, dass das möglich ist. Das ist auch ein Beispiel für uns." Dann leitete er über zu dem zweiten Vortrag von der Historikerin Olga Sobchuk, die sich mit sowjetischen Mythen und historischen Wahrheiten über den Zweiten Weltkrieg auseinandersetzte. Sie sprach auf Ukrainisch, eine Präsentation lief auf Deutsch mit. Zudem übersetzte Viktoria Myronenko das Gesprochene.
Eingebrannte Mythen
Olga Sobchuk unterstrich gleich zu Beginn die Bedeutung von Geschichte: Menschen könnten zwar einerseits aus ihr lernen und inspiriert werden, sie andererseits aber auch zur Manipulation nutzen. Jeder, der in der Sowjetunion aufgewachsen ist, sei aus Angst in deren ideologischen Lügen gefangen gewesen.
Etwa zehn solcher Mythen widerlegte sie in ihrem Vortrag anhand historischer Erkenntnisse und Dokumente. Exemplarisch genannt sei hier der Mythos, dass Deutschland die UDSSR ohne Grund oder Ankündigung angegriffen habe. Dies sei beispielsweise widerlegt, da der damalige Botschafter in Moskau den Krieg gegen die UDSSR ankündigte und auf die Konzentration sowjetischer Truppen an den Ostgrenzen Deutschlands zurückführte. Der Mythos der Übermächtigkeit der Wehrmacht zu Beginn dieses Krieges ließ sich durch einen Vergleich der jeweils zur Verfügung stehenden Kriegsmittel entkräften.
Zuletzt widerlegte Olga Sobchuk das "Propagandamotto" der sowjetischen Nachkriegszeit: "Niemand wird vergessen, nichts wird vergessen". Demnach seien Gräber und Gedenkstätten oftmals fehlerhaft: Die Zahl der Verstorbenen stimme nicht, es waren Namen falsch geschrieben und so weiter.
Angesichts der Tragweite dieser ideologischen Erzählungen, die ihre Spuren bis heute nach sich ziehe, appellierte die Rednerin abschließend an das Publikum: "Kennen Sie Ihre Geschichte, haben Sie keine Angst vor der Wahrheit, um der Zukunft willen!"
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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