Leserbrief zu den Redaktionsklimakommentaren
Reaktion auf die Reaktion der Redaktion

Symbolbild | Foto: Archiv

Singen. Als Reaktion auf die Meinungsbeiträge der WOCHENBLATT-Redaktion zu den Aktionen der Letzten Generation erreichte uns diese Zuschrift:

Im Rahmen ihrer Meinungsbeiträge zur „Letzten Generation“ möchte ich mit Ihnen in einen kleinen schriftlichen Diskurs mit Ihnen einsteigen.

Frau Mucha: Daumen hoch für Ihre differenzierte Darstellung der Problematik, die sich in angenehmer Weise von den teilweise kruden Vorstellungen Ihrer Redaktionskollegen unterscheidet. Nur Ihre Hoffnung, die Aktionen der Klima-Kleber würden wehtun und die Leute wachrütteln, die bisher die apokalyptischen Prognosen der Umweltexperten ignoriert haben, teile ich leider nicht.
Offenbar sind die von den Klima-Klebern adressierten Leute völlig schmerzfrei, was Ihre Zukunft und besonders die Zukunft der künftigen Generationen angeht.  Eher wird wieder der alte Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“, an dem noch die automobile Mehrheit in unserer Gesellschaft festgeklebt scheint, fröhliche Urständ feiern und sich massiv und zunehmend aggressiv gegen die Klima-Kleber wenden.

Herr Lange: Wie Sie schreiben, können Sie sich vorstellen, dass Sie bei 30+ Grad im Auto sitzend, eine irrationale Wut überkommt, wenn Sie von Klima-Klebern blockiert würden. Ich fürchte, dass wir nicht lange darauf warten müssen, bis ein anderer Autofahrer in diesem Fall tatsächlich Gas gibt und einen Klima-Kleber überrollt, weil sein angeblich rationaler Teil nicht nur in der Kaffeepause ist, sondern ihm sogar einredet, dass er durch seine Tat über Jahrhunderte erkämpfte Freiheitsrechte verteidigen würde. Der Klima-Kleber würde dabei dasselbe Schicksal erleiden wie andere Protagonisten des gewaltfreien Widerstandes, zum Beispiel Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Er würde ermordet werden.

Hier gibt es die Meinungsbeiträge der WOCHENBLATT-Redakteure zum nachlesen:

Wie die WOCHENBLATT-Redakteure zu Klimakleber und Co. stehen

Herr Findling: Sie haben Mahatma Gandhi und Martin Luther King genannt und schreiben, diese hätten keine Radikalität wie die Letzte Generation angewandt.  Die Letzte Generation führt im Grunde Sitzstreiks aus. Sitzstreiks („Sit-in“) sind eine Protestform, die besonders von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren angewandt wurde. So hat zum Beispiel Martin Luther King 1962 die „Birmingham Campaign“ organisiert.

Mahatma Gandhi hat seit 1919 wiederholt Massenkampagnen gegen die britische Kolonialmacht organisiert. Er propagierte Gewaltlosigkeit bei seinen Kampagnen, die aber mit zivilem Ungehorsam verbunden waren. Im Rahmen dieses zivilen Ungehorsams nahmen er und seine Anhänger für bewusste Gesetzesübertretungen auch Gefängnisstrafen in Kauf!

In der Folge des 1930 von Mahatma Gandhi organisierten „Salzmarsches“, einer Kampagne, die das Salzmonopol der Briten brechen sollte, reagierten diese mit Massenverhaftungen. Es wurden fast 50.000 Inder verhaftet, darunter auch Gandhi und Nehru. Es war also doch wohl ziemlich radikal, was Mahatma Gandhi da angezettelt hat? Zumindest die Briten sahen das so.

Die Demonstranten der Letzten Generation kleben sich auf Straßen fest und liefern sich damit völlig hilf- und wehrlos den Anfeindungen ihrer motorisierten Zeitgenossen aus, und Sie unterstellen ihnen einen „total unfriedlichen Protest“. Geht´s noch?

Herr Findling, ich freue mich sehr, dass Sie „offen dafür sind“, mit den Leuten der Letzten Generation „in den Dialog zu treten“.
Von einem seriösen Journalisten hätte ich allerdings erwartet, dass er schon im Vorfeld mit den Leuten spricht, über die er schreibt und sich wenigstens ein bisschen über die Inhalte und die Geschichte des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien Widerstandes informiert. Das wäre auch der Ernsthaftigkeit des Themas angemessen gewesen.

So begeben Sie sich im Umgang mit dieser Problematik, ähnlich wie ihre Kollegin Frau Kurz, die über ihre niedliche Wortschöpfung KAF (Klima-Aktivisten-Fraktion) krampfhaft eine Verbindung der Klimaaktivisten zur Terrorgeschichte der RAF konstruieren will, leider unter „Bildzeitungsniveau“. Das bedaure ich, weil ich die Veröffentlichungen des Wochenblattes bisher sehr geschätzt habe.

Herr Fiedler: Sie schreiben von „Tempo 120“ auf den Autobahnen. Der oben genannte Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ wurde 1973 vom ADAC im Rahmen einer Kampagne gegen einen Feldversuch von Tempo 100 auf Autobahnen verwendet. Seit mindestens 50 Jahren werden also Tempolimits diskutiert.

Glauben Sie, dass wir noch einmal ein halbes Jahrhundert Zeit haben, um über Tempolimits nachzudenken? Wir können es natürlich so machen wie Herr Lange und abwarten, was uns die Zukunft zeigt. Vorausgesetzt natürlich, dass wir überhaupt noch eine Zukunft haben.

Reiner Andresen, Singen-Bohlingen

Leserbriefe geben nicht zwingend die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich zudem vor, Leserbriefe zu kürzen.

Autor:

Redaktion aus Singen

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