Abgeordnete äußern sich
Was passiert nach dem Ampelbruch
Kreis Konstanz/Berlin. Es war ein Paukenschlag: Bundeskanzler Olaf Scholz wirft Finanzminister Christian Lindner raus. Die Ampelkoalition zerbricht. Seitdem regiert der Bundeskanzler mit einer rot-grünen Minderheit. Die Vertrauensfrage wollte er ursprünglich aber erst im Januar stellen, ruderte dann aber zurück. Was bedeutet das für Neuwahlen und wie reagieren die regionalen Abgeordneten?
Laut übereinstimmenden Medienberichten will Olaf Scholz mittlerweile am 16. Dezember über die V-Frage abstimmen lassen. Der Ablauf dafür ist klar geregelt durch Paragraf 68 des Grundgesetzes: 48 Stunden nachdem der Bundeskanzler die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt hat, stimmt das Parlament ab, ob es ihm das Vertrauen ausspricht - ihn als Bundeskanzler unterstützt.
Wann finden die Neuwahlen statt?
Wenn das Parlament dem Kanzler das Vertrauen verweigert, kann dieser den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat dieser dann 21 Tage Zeit. Die Folge wären Neuwahlen. Wann der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt, ist dabei allein seine Entscheidung.
Laut Artikel 39 des Grundgesetzes muss der Bundestag dann innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden. Am Dienstagnachmittag einigten sich SPD und CDU auf einen Termin für die Neuwahl: Sie soll am Sonntag, 23. Februar 2025, stattfinden. Vielen Narren hierzulande dürfte dieser Wahltag aber wenig gefallen, liegt er doch direkt vor der Fasnet, die am Schmotzigen Donnerstag, 27. Februar, beginnt.
In der Geschichte der Bundesrepublik wurde bislang fünfmal die Vertrauensfrage gestellt, von denen drei zu Neuwahlen führten: 1972 stellte Willy Brandt (SPD) die Vertrauensfrage. Es kam zu Neuwahlen, deren Ergebnis Brand ermöglichte, im Kanzleramt zu bleiben. Auch bei Helmut Kohl (CDU), der 1982 die V-Frage stellte, ging das Kalkül auf - er blieb Bundeskanzler.
Anders erging es zuletzt Gerhard Schröder (SPD), der 2005 die Vertrauensfrage stellte. Bei den anschließenden Neuwahlen verlor die rot-grüne Koalition die Mehrheit. Für die nächsten Jahre regierte die "Große Koalition" von CDU und SPD mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin.
Wer regiert derzeit?
Das Ende der Ampel bedeutet nicht das sofortige Aus für Bundeskanzler Olaf Scholz. Er kann in einer Minderheit weiterregieren, braucht dann aber für Beschlüsse Unterstützung der Opposition. Es ist also fraglich, welche Projekte die aktuelle Bundesregierung noch durchbringen wird - in der Warteschleife stehen unter anderem eine Kindergelderhöhung und ein Rentenpaket.
Reaktion der Bundestagsabgeordneten
Das WOCHENBLATT hat die Bundestagsabgeordneten der Region - Andreas Jung (CDU), Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) und Dr. Lina Seitzl (SPD) - nach ihren Einschätzungen gefragt. (Anmerkung der Redaktion: Die Fragen wurden vor dem Bekanntwerden des Wahltermins gestellt und beantwortet.)
Wie sehr hat sie der Bruch der Ampelkoalition zu diesem Zeitpunkt überrascht?
Andreas Jung: Gewissheit konnte man von außen natürlich keine haben. In der Luft lag das aber schon lange. Über Jahre wurde oft nicht miteinander, sondern zu viel gegeneinander regiert. Es ist deshalb auch gut, dass die Verunsicherung dadurch jetzt ein Ende hat. Deutschland braucht eine starke Regierung mit klarem Kompass.
Wir brauchen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage wichtige Weichenstellungen für eine neue Dynamik. Und nach der Wahl von Donald Trump muss Deutschland international und in der EU Gewicht einbringen. All das geht nur mit einer starken Regierung, die sich nicht ständig mit sich selbst beschäftigt.
Ann-Veruschka Jurisch: Zum konkreten Zeitpunkt hat mich die Nachricht überrascht, denn ich hatte wie viele Menschen im Land die Erwartung, dass in der Koalition um Lösungen um eine echte Wirtschaftswende gerungen wird. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass die - von Wirtschaft und Wissenschaft sehr begrüßten - Vorschläge von Christian Lindner noch nicht einmal erwogen wurden!
Natürlich hat sich in den letzten Wochen die Lage in der Regierung für jeden wahrnehmbar zugespitzt hat. Am Ende hat mich aber vor allem die „Ausgestaltung“ des Endes überrascht, und zwar sehr unangenehm. Ich hätte mir von Olaf Scholz ein würdevolleres und staatsmännisches, gemeinsames Beenden der Koalition und einen möglichst raschen Neuwahltermin gewünscht. Das Nachtreten wie ein beleidigter Schuljunge ist aus meiner Sicht nicht nur sehr schlechter Stil, sondern auch schlecht für unser Land.
Lina Seitzl: Ich hätte mir gewünscht, dass wir bis zum Ende der Wahlperiode in einer gemeinsamen Regierung weiter für sichere Arbeitsplätze, eine stabile Wirtschaft und zusätzliche Investitionen in unser Land gearbeitet hätten. Das wäre möglich gewesen, für alle tragbare Vorschläge lagen auf dem Tisch. Als Bundeskanzler trägt Olaf Scholz eine besondere Verantwortung für unser Land. Nachdem klar wurde, dass die FDP diese Verantwortung nicht mehr tragen kann, war es richtig, den Finanzminister zu entlassen. Denn Deutschland braucht Klarheit und Stabilität.
Welchen Grund sehen Sie, woran die Ampelkoalition nun zerbrochen ist?
Andreas Jung: Von allen persönlichen Streitigkeiten abgesehen lag das im Kern wohl daran, dass sie keine gemeinsamen überzeugenden Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit gegeben hat.
Ann-Veruschka Jurisch: Der Grund liegt in unüberbrückbaren Vorstellungen darüber, wie unsere Wirtschaft aus ihrer tiefen Krise herauszubringen ist. Olaf Scholz hat einen Notlagenbeschluss vorgeschlagen, der es ihm erlaubt hätte, die Schuldenbremse außer Kraft zu setzen. Davon sollten vor allem Kaufprämien für Elektroautos und Strompreisdeckelungen subventioniert werden.
Christian Lindner und die FDP haben dagegen umfassende strukturelle Vorschläge gemacht, mit denen die Unternehmen nachhaltig und finanzierbar entlastet werden sollen, neue Innovationskraft entfesselt wird, der Klimaschutz innerhalb der EU angeglichen wird und mehr Arbeitsanreize und die Flexibilisierung von Arbeit ermöglicht wird. Hier standen sich also staatsgläubige, vom Bürger finanzierte Subventionspolitik und liberale Ordnungspolitik, die an besseren Rahmenbedingungen arbeitet - am Ende unvereinbar - gegenüber.
Lina Seitzl: Es ist uns in dieser Regierung gemeinsam gelungen, wichtige Entscheidungen zu treffen und unser Land voranzubringen, trotz der schwierigen äußeren Umstände seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Aber in den letzten Wochen und Monaten lag der Fokus in der Koalition zu sehr auf Streit und zu wenig auf dem, was wir geschafft haben.
Wir haben mit unseren Koalitionspartnern immer wieder verhandelt und Kompromisse angeboten. Wir haben ausgehalten, dass die FDP bestehende Absprachen aufgekündigt hat und neu verhandeln wollte. Im Interesse des Landes haben wir immer wieder die Hand gereicht und an Lösungen gearbeitet. Die FDP hatte dafür zuletzt aber ganz offensichtlich keine Kraft mehr.
Inwiefern macht es für Sie Sinn, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage zeitnah stellt?
Andreas Jung: Die Regierung ist zerbrochen, die Vertrauensfrage ist politisch beantwortet: Olaf Scholz hat kein Vertrauen mehr bei einer Mehrheit des Bundestags - und er selbst hat angekündigt, den Weg für schnelle Neuwahlen frei machen zu wollen. Deshalb gibt es keinen Grund, zu zögern.
Wenn Frankreich innerhalb von vier Wochen Neuwahlen durchführen kann, dann kann Deutschland das in der vom Grundgesetz vorgesehenen deutlich längeren Frist auch. Wichtige Gesetze können zudem bis kurz vor dem Wahltag im Bundestag beschlossen werden, das Parlament wird nicht handlungsunfähig.
Ann-Veruschka Jurisch: Unser Land kann keine Hängepartie vertragen. Deswegen hatte Christian Lindner auch einen gemeinsamen und geordneten Ausstieg aus der Koalition und zügige Neuwahlen vorgeschlagen. Deswegen plädiere ich klar für die Vertrauensfrage in dieser Woche (Anmerkung der Redaktion: Kalenderwoche 46), für unser Land.
Lina Seitzl: Deutschland braucht Klarheit und Stabilität. Deshalb hat der Bundeskanzler angekündigt, die Vertrauensfrage zu stellen. Danach wird es im Rahmen der gesetzlichen Fristen bald zu Neuwahlen kommen. Wichtig ist aber, dass die Wahlen geordnet stattfinden können, sodass Wahlämter sich vorbereiten können, ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer gefunden und geschult werden können und auch der Versand der Briefwahlunterlagen ordnungsgemäß ablaufen kann.
Die Bundeswahlleiterin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass all dies Vorlaufzeit benötigt. Alle demokratischen Parteien müssen ein Interesse an fairen und geordneten Wahlen haben.
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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