Die Wohlstandsjahrzehnte sind wohl vorbei
Die Region fragt - Berlin antwortet:
Zuerst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine – die Auswirkungen dieser einschneidenden Ereignisse belasten das Leben der Menschen in unserer Region. Die daraus entstandenen Einschränkungen, das Leid, die Ängste und Verluste haben die Gesellschaft verändert und sind deutlich spürbar. Durch die hohe Inflation und die enorme Verteuerung von Lebensmitteln, Gas, Strom und Benzin leiden viele Menschen unter finanziellen Belastungen und sehen voller Sorgen in die Zukunft.
Die Zahl der Bedürftigen, die ihren Lebensunterhalt kaum noch bestreiten können, wächst und immer mehr Menschen rutschen tiefer in die Armut. Rentner, Sozialleistungsempfänger, Geflüchtete aus der Ukraine und Flüchtlinge, die schon da sind aus anderen Ländern, auch die von 2015, müssen schon um die Unterstützungsangebote konkurrieren. Dies spüren besonders die gemeinnützigen Tafelläden, die derzeit gefordert sind wie nie zuvor. Die Ehrenamtlichen arbeiten am Limit und gleichzeitig gehen die Lebensmittelspenden an die Tafeln zurück. Zwar wurde nun von der Ampelkoalition ein weiteres
Unterstützungspaket geschnürt, um die hohen Belastungen abzudämpfen, aber ob dieses genügt und wann es greift ist noch ungewiss. Sozialverbände sehen das Paket lediglich als »einen Tropfen auf den heißen Stein, so VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie fordert für eine langfristige Besserung der Situation eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und gesunde Lebensmittel sowie eine Anhebung der Regelsätze für Hartz IV und die Grundsicherung im Alter.
Die Region fragt:
Vor diesem Hintergrund stellten wir unseren drei Bundestagsabgeordneten in Berlin folgende Fragen:
- Verliert die Politik die Schwächsten der Gesellschaft aus dem Blick und wie wollen Sie diese Menschen auffangen und gewährleisten, dass die Unterstützung dort ankommt, wo sie wirklich gebraucht wird?
- Wo muss nachgebessert werden? Oder muss den Menschen eigentlich klargemacht werden, dass die Wohlstandsjahrzehnte vorbei sind und wir in ein gesellschaftlich ganz anderes Fahrwasser müssen?
Wenn ja, in welches?«
Berlin antwortet:
Lina Seitzl, MdB SPD:
»1. Seit zwei Jahren stehen wir als Gesellschaft vor enormen Herausforderungen, die nicht mit den Problematiken im vorherigen Jahrzehnt vergleichbar sind. Ihre Bewältigung bedarf großer Kraftanstrengungen. Mit dem Krieg in der Ukraine sind Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa ernsthaft gefährdet. Um diesen Folgen entgegentreten zu können, müssen die Lasten gerecht verteilt werden. Das Entlastungspaket setzt an dieser Stelle an und unterstützt gezielt Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen. Familien werden ab 20. Juli beispielsweise durch den Kinderbonus in Höhe von 100 Euro entlastet. Der Heizkostenzuschuss für Haushalte mit niedrigem Einkommen und die Energiepreispauschale von 300 Euro wirken den gestiegenen Preisen entgegen. Von Juni bis August können zudem alle für neun Euro pro Monat mit Bus und Bahn durch ganz Deutschland reisen. Das Maßnahmenpaket entlastet alle, aber besonders diejenigen, die diese Entlastung dringend benötigen.
2. Unser Ziel muss sein, dass trotz der großen Herausforderungen, denen wir uns derZeit stellen müssen, jeder gut und sicher leben kann. Das heißt auch, dass es ein ›Weiter so‹ nicht geben kann. Der Klimawandel macht deutlich, dass fossile Energiequellen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und wir unseren Planeten nicht ausbeuten dürfen. Deshalb muss uns der sozialökologische Umbau unseres Wirtschaftssystems schnell gelingen. Dabei muss der Grundsatz gelten: Starke Schultern können schwerer tragen als schwache. Es kann nicht sein, dass Einzelne von den Krisen auf Kosten anderer profitieren. Das sind für mich Orientierungslinien für die nächsten Jahrzehnte.«
Dr. Ann-Veruschka Jurisch, MdB FDP:
»1. Wir entlasten alle Bürgerinnen und Bürger, die einkommensteuerpflichtig sind, über eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro. Gleichzeitig unterstützen wir natürlich auch die nicht Einkommensteuerpflichtigen, Empfänger von Sozialleistungen erhalten beispielsweise eine Einmalzahlung von 200 Euro. Zudem haben wir mit dem Kindergeldbonus (100 Euro), Tankvergünstigungen über die Mineralölsteuer, einer einmaligen Energiepauschale, dem Neun-Euro-Ticket im ÖPNV, der Abschaffung der EEG-Umlage und dem Heizkostenzuschuss zahlreiche weitere Maßnahmen beschlossen, die alle spätestens Anfang Juni greifen. Hier werden wir aber nicht aufhören, im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, Hartz IV zu reformieren und in ein Bürgergeld umzuwandeln, das fairer ist und mehr Teilhabe ermöglicht.
2. Wir haben sofort reagiert und Entlastungen in Höhe von 37 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Davon wird der Mittelstand profitieren, aber auch Familien und Menschen, die es finanziell besonders schwer haben. Damit auch weiterhin die Bürgerinnen und Bürger entlastet werden, hat die Bundesregierung angekündigt, die kalte Progression (bedingt durch die Inflation) zu bekämpfen und entsprechend 2023 weiter zu kompensieren. Um unseren Wohlstand auch in den nächsten Jahren zu sichern, müssen wir auch die drängenden Lücken im Fachkräftebereich schließen, dazu gehört auch die Stärkung der Einwanderung zur Arbeitsaufnahme in unserem Land. Der Krieg wird auch bei uns spürbare Auswirkungen haben und zu individuellen Einbußen führen, die nicht alle staatlich abgefedert werden können, weil es schlicht nicht möglich ist. Das müssen die Menschen jetzt verstehen. Wichtig ist aber, dass wir diejenigen Menschen genau im Blick haben, die auch kleinere Kaufkraftschwankungen nicht verkraften können.«
Andreas Jung, MdB CDU:
1. »Die Auswirkungen der Krise treffen viele Menschen und Betriebe hart. Der Staat kann dabei nicht alles ausgleichen, aber er muss besser abfedern als das von der Bundesregierung bislang vorgesehen ist. Zudem müssen Ehrenamtliche etwa in der Flüchtlingshilfe oder bei den Tafelläden unbürokratisch unterstützt werden. Statt dem Sammelsurium oft bürokratischer Einzelmaßnahmen, braucht es zur Entlastung jetzt ein überzeugendes Konzept. So werden im aktuellen Paket manche Gruppen entlastet, aber etwa Minijobber, Rentner und Studenten nicht. Den Heizkostenzuschuss sollte auch bekommen, wer etwas mehr verdient als ein Wohngeldempfänger. Das betrifft viele Familien, die schauen müssen, wie sie über die Runden kommen. Verena Bentele mahnt deshalb zu Recht Verbesserungen an. Was genau der richtige Weg ist, muss dabei diskutiert werden. Wir treten dabei unter anderem für Entlastung von Steuern und Abgaben ein. Notwendig sind Maßnahmen in der Krise, wie etwa eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie. Da sie ja auf den jeweils aktuellen Preis zuzüglich Energiesteuer erhoben wird, hat der Staat durch die gestiegenen Preise erhebliche Mehreinnahmen.
2. Zudem müssen jetzt Dinge angegangen werden, die entlasten und strukturell sowieso notwendig sind. Die Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli ist dabei ein richtiger Schritt, ein weiterer muss schnell folgen: die Reduzierung der Stromsteuer: Das entlastet Bürger und Betriebe und ist zudem ein Beitrag zum Klimaschutz.«
Autor:Redaktion aus Singen |
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