1999 Jahre nach Christus IV
Stadtmarketing: Außer Spesen nichts gewesen?
Was tun, wenn sich jede Stadt droht zu gleichen droht wie ein Ei dem anderen? Die Antwort auf diese Frage zu suchen, fingen Gemeinderäte, Einzelhandelsgemeinschaften und Stadtoberhäupter Anfang der 90er-Jahre an, auch wenn Volkswirtschaftler schon in den 70ern darauf hingewiesen haben, dass die Städte ihr Profil schärfen müssen. Engen hat wohl das älteste Stadtmarketing der Region: 1995 begann man dort bereits. Wie so oft ging es schon bald darum, den anfänglichen Impuls zu erhalten: Die Ergebnisse aus den Projektgruppen tröpfelten schon bald dahin. Der neue Bürgermeister der Stadt, Johannes Moser, hat dem Stadtmarketing wieder etwas Leben eingehaucht. Radolfzell, Stockach und zuletzt (sieht vom ersten schief gelaufenen Ansatz ab) Singen zogen nach, nicht weil Engen anfing, sondern weil die Zeit reif war dafür.
In Singen begann das Stadtmarketing 1996 mit einem Fehlstart: Mit einem Moderator, der von den zu Moderierenden nicht akzeptiert wurde, kam die erste Bruchlandung. Die Erkenntnis: Nicht immer stehen ABM-Stellen, eine typische Erscheinung der 80er, für qualitativ hochwertige Arbeit. Die Pressesprecherin der Stadt, Adreana Olivotti, und der Wirtschaftsförderer Bernd Häusler übernahmen das Singener Stadtmarketing Ende 1997. Erfolge? Der ganz große Wurf ist das Singener Stadtmarketing nie geworden. Bernd Häusler resümiert bereits, dass es heute um kleine Ziele gehe. Leitbilder zu erstellen, die wirklich verfolgt würden, sei schwierig. Und nicht immer sei das Verhältnis zwischen Gemeinderat und Stadtmarketing einfach. Das hat das Stadtmarketing auch schon in anderen Städten zu spüren bekommen: In Stockach scheut sich das Stadtmarketing vor der Öffentlichkeit, die es repräsentieren sollte, weil Teile des Gemeinderates sich allzu oft hintergangen fühlen.
In Radolfzell ist die Kompetenz der Arbeitsgruppen manchmal gefragt, manchmal zerstieben die städtebaulichen Visionen in der Aufregung der Sitzungen. Bleibt die Motivation: In Engen hat sich letztlich über das Stadtmarketing wieder eine Werbegemeinschaft mit dem Titel »Impuls Engen«gegründet. In Singen haben sich der die Innenstadt vertretende Cityring und die Interessengemeinschaft Süd an einen Tisch gesetzt. Und: Der Singener Wirtschaftsförderer Bernd Häusler meint, dass der Begriff Stadtmarketing tauge, um Inhalte zu transportieren, sei es das Kunstkonzept zur Landesgartenschau oder etwas anderes. in Stockach setzen Bürgermeister und Gemeinderat auf das Stadtmarketing, um die Lokale Agenda 21, vielleicht das Umweltschutzkonstrukt der globalen Zukunft, vor Ort umzusetzen und auch der Verein »kostenloses Parken« befruchtet sich mit den Stadtmarketingleuten.
In Radolfzell sitzen Banker, Wirtschaftsleute, Kulturtreibende und Handelsvertreter an Tischen, an denen sie erstaunlich offen über die Schwächen und Stärken der Stadt reden. Heraus kam ein Parkplatzbewirtschaftungskonzept, eine Belebung der Promenade (Die Anfänge des neuen Molencafes sind im Radolfzeller Stadtmarketing zu suchen) und viele Visionen, die freilich nur von einer überzeugten Verwaltungsspitze umgesetzt werden können. Die kleinen Dinge haben es den Radolfzellern ebenfalls angetan: Immer wieder wurden ganz pragmatisch kleine Dinge wie ein Spielhaus auf dem Marktplatz und ähnliches konzipiert. Motiviert hat vielleicht auch das professionell von außerhalb moderierte Stadtmarketing in Radolfzell dazu, dass sich Handel und Gewerbe zu einem gemeinsamen Eventwochenende im Jahr 1997 durchgerungen hatten: Eine Handwerksmesse im Milchwerk und ein Tag des Rades am verkaufsoffenen Sonntag, das war eigenständige Profilierung.
In Singen hat das Cityfest als Stadtfest neuen Auftrieb erfahren. Bernd Häusler resümiert: Stadtmarketing hat nicht den Effekt, den man Ende der 80er-Jahre mit wissenschaftlichem Anspruch zu sehen glaubte. Das können wohl alle unterschreiben, die mit Stadtmarketing zu tun hatten. Und die großen Visionen oder interessanten Gedankenblitze im schwierigen politischen Alltagsgeschäft immerwährend als machbar zu verkaufen, bis sie umgesetzt sind, fiel und fällt ebenfalls schwer. Wer darauf wartet, dass die einst aufgestellten Leitbilder zur städtebaulichen und gesellschaftlichen Realität werden, der darf im neuen Jahrtausend wohl noch einige Jahre warten. Denn: Visionen zu erhalten, bis sie umgesetzt sind, dazu bedarf es Zivilcourage.
Und Zivilcourage ist ein Wort, das in den 90ern nur noch wenige für sich reservieren dürfen. Wird man das Stadtmarketing in zehn Jahren als umsonst, aber nicht immer kostenlos, abschreiben? Es wäre schade: All die, die sich in den Arbeitskreisen engagiert haben, werden die Zeit nicht missen wollen, in der sie frank und frei, ohne Medien, ohne Öffentlichkeit und ohne dauernd an das momentan Machbare erinnert zu werden, diskutieren durften und so ein Teil einer lernenden Gesellschaft wurden, die im nächsten Jahrhundert für die westliche Welt Überlebensprinzip sein muss.
Anatol Hennig
Autor:Redaktion aus Singen |
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