1945 Jahre nach Christus IV
Erholung für KZ-Häftlinge auf Reichenau und Mainau
Von einem Tag auf den anderen requirierte die französische Armee unter General de Lattre de Tassigny die Inseln Mainau und Reichenau, um dort französische KZ-Häftlinge aus Dachau unterzubringen. Da im Lager Dachau Typhus ausgebrochen war, mußten die Häftlinge nach der Befreiung noch dableiben, die Franzosen kamen zur Quarantäne bzw. Behandlung auf die beiden Inseln. Am Zugang zu den Inseln wurden Sperren errichtet. Jeder, der die Inseln betrat oder verließ, mußte durch eine DDT-Puderdusche, eine amerikanische Methode, bei der einem das Pulver mit einem Blasebalg in das Hemd gesprüht wurde. Etwa 4.000 Franzosen wurden mit Krankenwagen und umgebauten Militärfahrzeugen an den Bodensee gebracht, die meisten auf die Reichenau. Ein Häftling schreibt: "In dem kleinen Ort Reichenau waren wir in Privathäusern untergebracht, deren Bewohner nicht viel zeit für die Evakuierung gehabt haben dürften, denn es waren noch Lebensmittel, Kleider und persönliche Gegenstände da. Wir schliefen in kleinen Gruppen in echten Betten, die die Bewohner, ohne die Bettwäsche gewechselt zu haben, verlassen hatten - was uns kaum beschäftigte." Nach Ablauf der Quarantäne bzw. nach einer mehrwöchigen Erholungszeit wurden die Reisefähigen mit der Bahn über die Schweiz in ihre Heimat zurückgeführt.
Info:
Am 17. Mai 1945 erhielten die Bewohner der Insel Reichenau von der französischen Besatzung den Befehl, die Insel am gleichen Tag zu verlassen. Zurückbleiben durften nur Gastwirte und Kaufleute, sowie 400 Gemüsebauern, diese aber nicht in den eigenen Häusern, sondern im Ortsteil Oberzell, wohin auch das ganze Vieh verbracht wurde. Wer auf dem Festland Verwandte hatte, ging zu ihnen, die übrigen wurden auf die Gemeinden am Untersee und auf der Höri verteilt. Niemand sagte ihnen, warum sie die Insel verlassen mußten, weshalb es bis heute Spekulationen über diesen dramatischen Vorfall gibt.Im Schloß auf der Insel Mainau wurde von Mai bis September ein regelrechtes Krankenhaus für die schwersten Fälle von Unterernährung und Mangelerscheinungen eingerichtet. Aus Paris kamen Spezialisten angereist, die Ernährungsprogramme aufstellten: "Sehr oft geht es darum, den Organismus wieder an eine dosierte und regelmäßige Ernährung zu gewöhnen. Wie bei Säuglingen muß man ihnen sehr wenig auf einmal geben, und dies alle zwei oder drei Stunden." Doch nicht alle befreiten Häftlinge konnten gerettet werden, ein Friedhof mußte auf der Insel angelegt werden. Als das Krankenhaus voll war, übernahm das Schweizer Militärkrankenhaus in Herisau bei St. Gallen Patienten von der Mainau. Die Schweizer betrieben auch ein soziales Erziehungsprogramm für diese ungewöhnlichen Patienten: "Jedermann, namentlich aber die jugendlichen Insassen der Konzentrationslager, war verwahrlost. Soziales Verhalten, Sich-Einfügen in die Gemeinschaft ohne Druck, auf freiwilliger Basis, war den Leuten völlig unbekannt. Krasser Egoismus, Verwechslung von Mein und Dein, Diebstähle und Lügengewebe kamen jeden Tag vor und bereiteten manchmal Schwierigkeiten." General de Lattre erschien regelmäßig auf den Inseln, er brachte prominente Besucher und Journalistengruppen aus der Schweiz und Frankreich mit. Der 14. Juli wurde groß gefeiert.
Ein Journalist beschreibt die Atmosphäre auf der Mainau: "Im Park trifft man fast überall auf Männer mit rasiertem Schädel, fremdartigem Blick, ihre Kleider flattern um ihre schrecklich abgemagerten Glieder. Sie irren umher auf der Suche nach ich weiß nicht was, zweifellos auf der Suche nach sich selbst. Die meisten gehen allein und führen Selbstgespräche." Ab Sommer konnten die vertriebenen Reichenauer nach und nach wieder zurückkehren. Oft fanden sie ihre Häuser verwüstet und geplündert vor. Sicherlich haben die befreiten Häftlinge sich auf der Insel eingekleidet, für das übrige kommen auch französisches Personal, Soldaten und Urlauber in Frage. Graf Lennart Bernadotte als schwedischer Bürger wurde von Frankreich für die Schäden und Verluste auf der Mainau entschädigt, die Reichenauer gingen leer aus.
Arnulf Moser
Autor:Redaktion aus Singen |
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