1976 Jahre nach Christus
Eine Ohrfeige macht noch keine politische Karriere

Dann trat in der Diskussion der Singener Abiturient Michael Osann an das Mikrophon. Dieses stand mitten auf der Bühne. Zuerst stammelte Osann etwas, dann bezichtigte er Strauss des meineids, die Spiegel-Affaire von 1961 hatte Strauss wieder eingeholt. Der Löwe aus Bayern reagierte empört. Er stürmte mit seiner Frau und seinen Sicherheitskräften davon. In Sekunden war die Versammlung beendet. Zurück blieben entsetzte CDU-Anhänger. Osann bekam vom Versammlungsleiter, dem späteren Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, noch einen Tritt in den Hintern mit auf dem Heimweg. Am Sonntag siegte Diez deutlich vor Helmut Jolk, dem SPD-Vorsitzenden, der Personalchef in der Alu war. Berühmt ist auch ein anderer nicht geworden: Mike Kuhl. Seine Stunde schlug 1976 in der Nacht zum Schmotzige Dunschdig beim Ball in den Singener Handelslehranstalten. Hier ohrfeigte ihn Landrat Dr. Maus, der auch gerade wieder im Wahlkampf stand. Es gab eine Sondersitzung des Kreistags im Radolfzeller Scheffelhof. Dabei war alles ganz einfach. Die Fastnachtsbälle in den kreiseigenen Handelslehranstalten waren "Kult".

Da ging der Punk ab, würde man heute sagen. Und auch bevölkerungspolitisch war die Veranstaltung nicht unbedeutend, denn "freie Liebe" stand hier mit auf dem Stundenplan. Der Landrat musste nach der Ordnung schauen. Dr. Siegfried Hermann war ein liberaler Schulleiter, allseits beliebt und verständnisvoll. Erst wollte Dr. Maus den Ball verbieten, dann tat er es dennoch nicht. Doch wer trat da auf der Bühne auf, als Dr. Maus die Schule betrat? Kreistag Dietmar Johann von der SPD. Der polemisierte dort gegen das Verbieten des Balls und traf den Nerv der Schüler. Dr. Maus traf im Foyer auf eine Gruppe mit dem Juso Mike Kuhl. Es kam zum Wortgefecht, bei dem die Südkurier-Redakteure Dieter Britz "und ein gewisser Oldenburg" (so später Dr. Maus im Kreistag) zu Zeugen wurden. Kuhl beleidigte Dr. Maus.

Der zitierte den Paragrafen, der eine Ohrfeige zur sofortigen Satisfaktion erlaubte und schlug zu! Es machte patsch - und der politische Konflikt war da. Für beide hat es sich nicht gelohnt. Mike Kuhl wurde von der SPD nicht zur nächsten Gemeinderatswahl aufgestellt, was zu der Schlagzeile im "Schwarzwälder Boten" führte: "Eine Ohrfeige macht noch keine politische Karriere!" Doch auch Dr. Robert Maus wurde nicht mehr Innenminister, denn auch bei Lothar Späth galt: Jusos ohrfeigt man nicht!

Hans Paul Lichtwald

Autor:

Redaktion aus Singen

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