Neue Sonderausstellung Stadtmuseum Radolfzell
Radolfzell unter dem Hakenkreuz

Erik Hörenberg (Leiter des städtischen Fachbereichs Kultur), Bürgermeisterin Monika Laule, Jacqueline Berl (Museumspädagogin) und Rüdiger Specht (Leiter des Stadtmuseums) (von links) vor dem Stadtmuseum Radolfzell. | Foto: swb - Bild: Juleda Kadrija
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  • Erik Hörenberg (Leiter des städtischen Fachbereichs Kultur), Bürgermeisterin Monika Laule, Jacqueline Berl (Museumspädagogin) und Rüdiger Specht (Leiter des Stadtmuseums) (von links) vor dem Stadtmuseum Radolfzell.
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Radolfzell. Vor 80 Jahren ging der zweite Weltkrieg zu Ende. Unzählige Dokumente, Bücher und Filme widmen sich diesem Kapitel deutscher Geschichte. Doch wie sah der Alltag jener Zeit in Radolfzell aus? Was geschah an der sogenannten „Heimatfront“?
Antworten auf diese Fragen gibt die neue Sonderausstellung „Diktatur. Krieg. Und danach. Radolfzell 1933 – 1948“, die ab Mittwoch, 10.April 2025 im Stadtmuseum Radolfzell zu sehen ist. Sie wirft Schlaglichter auf die Jahre von 1933 bis in die unmittelbare Nachkriegszeit in der Stadt am Untersee.

Was viele nicht wissen: Radolfzell spielte damals eine besondere Rolle durch die Stationierung bewaffneter SS-Einheiten in der eigens dafür erbauten Kaserne. Der Kasernenbau war das Lieblingsprojekt des NSDAP-Kreisleiters Eugen Speer, der 1934 den Radolfzeller Bürgermeister Otto Blesch aus seinem Amt drängte. Das Projekt sollte die Arbeitslosigkeit in der Region senken und der Stadt langfristig wirtschaftliche Vorteile verschaffen. Am 31. Juli 1937 zog das 3. Bataillon der SS-Verfügungstruppe der Standarte „Germania“ mit 788 Männern und 39 Pferden von Singen kommend in die Kaserne ein. Die bis Kriegsende mehrfach wechselnden Einheiten sollten später für Verbrechen und vielfaches Leid auch in der Umgebung verantwortlich werden.

Ein Ort der Erinnerungskultur

Bürgermeisterin Monika Laule betonte beim Pressegespräch, wie wichtig diese Ausstellung für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist. Ziel sei es, diese entscheidende Epoche der Radolfzeller Stadtgeschichte aufzuarbeiten und transparent zu beleuchten. „Wir wollen zeigen, wie die Mechanismen von Manipulation, Ausgrenzung und Gleichschaltung damals funktioniert haben“, erklärte Laule. Zwar ist es nicht die erste Auseinandersetzung der Stadt mit diesem dunklen Kapitel – dazu zählen bereits Bücher, Zeitzeugenprojekte, Theaterstücke, Stolpersteine oder Straßenbenennungen. Doch gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen und wachsender Geschichtsvergessenheit sei es umso bedeutender, sich mit den lokalen Auswirkungen der NS-Diktatur auseinanderzusetzen, so Laule weiter. Die Ausstellung sei aktueller denn je: „Sie zeigt, wie fragil Demokratie und Freiheit sind – und wie wichtig es ist, dieser Gefahr aktiv entgegenzutreten. Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich.“

Museumsleiter Rüdiger Specht hob bei seiner Einführung hervor, dass die Ausstellung bewusst den Blick auf die alltäglichen Erfahrungen lenkt: „Es geht nicht nur um große politische Entwicklungen, sondern vor allem um die kleinen Geschichten – darum, wie Menschen mit Schuld, Schweigen und Neubeginn umgegangen sind.“ Die Ausstellung ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen und zahlreicher Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Ergänzt wird sie durch Dokumente aus dem Stadtarchiv sowie durch private Leihgaben.

Eine Ausstellung für und mit der Bevölkerung

Specht bezeichnet die Schau als eine Ausstellung der Bevölkerung: Zahlreiche Radolfzellerinnen und Radolfzeller folgten einem öffentlichen Aufruf und stellten dem Museum persönliche Erinnerungsstücke zur Verfügung. Zusammen mit Leihgaben aus regionalen Museen wird dadurch deutlich, wie tief die NS-Zeit bis heute in vielen Familien verankert ist.
Die Ausstellung ist in fünf Themenbereiche gegliedert, die den Einfluss der NS-Zeit auf die Radolfzeller Bevölkerung beleuchten. Im Foyer erwarten die Besucherinnen und Besucher zentrale Schlagworte, die anhand konkreter Radolfzeller Beispiele erläutert. Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Alltag, etwa dem Schulwesen, der Hitlerjugend, dem Reichsarbeitsdienst oder dem Winterhilfswerk. Weitere Räume thematisieren die SS-Kaserne, die Kriegsproduktion, den Luftschutz sowie die Rolle der jungen Generation.

Den Abschluss der Ausstellung bildet die unmittelbare Nachkriegszeit. In dieser Zeit wurden die Weichen für die heutigen Städtepartnerschaften Radolfzells mit dem schweizerischen Amriswil und der südfranzösischen Stadt Istres gestellt.
Neben zahlreichen Exponaten von Bürgerinnen und Bürgern haben auch verschiedene Museen der Region Leihgaben zur Verfügung gestellt – darunter das Hegau-Museum und die Hegau-Bibliothek in Singen, das Rosgartenmuseum und das Wessenbergmuseum in Konstanz sowie das Freilichtmuseum Unteruhldingen. Die Ausstellung ist bis zum 8. Februar 2026 im Stadtmuseum Radolfzell zu sehen.

Quelle: Kulturamt Radolfzell

Erik Hörenberg (Leiter des städtischen Fachbereichs Kultur), Bürgermeisterin Monika Laule, Jacqueline Berl (Museumspädagogin) und Rüdiger Specht (Leiter des Stadtmuseums) (von links) vor dem Stadtmuseum Radolfzell. | Foto: swb - Bild: Juleda Kadrija
Rüdiger Specht zeigt die Jacke, die Albert Riesterer, Pfarrer aus dem Hegau, während seiner Inhaftierung in einem Konzentrationslager getragen hat. Die Jacke ist eine Leihgabe aus dem Archäologischen Hegau Museum in Singen. | Foto: Juleda Kadrija
Der Radolfzeller Carl Diez verbrachte mehrere Haftzeiten hinter dieser Zellentür der Radolfzeller Haftanstalt "Café Achteck". | Foto: swb - Bild: Juleda Kadrija
Der Gipsentwurf für das Kriegerdenkmal in Radolfzell, eine Leihgabe der städtischen Wessenberg-Galerie Konstanz, wird im Radolfzeller Stadtmuseum nach der Anlieferung von Jacqueline Berl, Museumspädagogin, und der Objektrestauratorin Beatrice Kraft-Maier ausgepackt. | Foto: Kultur Radolfzell
Der Gipsentwurf für das Kriegerdenkmal in Nahaufnahme. | Foto: swb - Bild: Juleda Kadrija
Autor:

Juleda Kadrija aus Singen

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