Am Samstag jährt sich das Kriegsende zum 75. Mal
Radolfzell gedenkt der Befreiung
Radolfzell. »In den bangen Minuten, ja Sekunden, in denen das Schicksal der Stadt Radolfzell noch immer auf Messers Schneide stand, fiel endlich die Entscheidung: Auf dem Münsterturm stieg um 13:30 die weiße Fahne hoch (…).« So beschreibt der damalige Stadtchronist und NSDAP-Mitglied Josef Zimmermann die Übergabe Radolfzells an die Alliierten vor genau 75 Jahren am 25. April 1945.
Vier Tage zuvor waren bei einem Tiefflieger-Angriff auf die Stadt das Krankenhaus und der Güterbahnhof getroffen worden. Ein Zug der Wehrmacht, der Munition geladen hatte, war explodiert. Drei Menschen waren ums Leben gekommen und immer mehr verängstigte Radolfzeller suchten Zuflucht in den Aussengemeinden oder versteckten sich im Wald.
Die Stadt hielt den Atem an, als am Morgen des 25. April die Panzer der französischen Armee anrollten. Kurz nach 8 Uhr schlugen in Radolfzell Raketengeschosse und Panzergranaten ein. Die SS-Einheit in der Kaserne erwiderte das Feuer. Sieben deutsche Soldaten und zwei Zivilisten verloren ihr Leben. Häuser in der Innenstadt standen in Flammen. Werks- und Wirtschaftsgebäude der Allweiler AG wurden getroffen. Und der Bevölkerung war klar, dass die Stadt nicht mehr zu verteidigen war.
Gegen 13 Uhr ging das Ultimatum des französischen Kommandanten ein. Die SS solle abziehen, sonst werde die Stadt vollständig zerstört. Der SS-Kommandant drohte daraufhin, kampffähige Männer, die sich weigerten, weiterzukämpfen würden erschossen. Ein weiteres Mal forderte der französische Kommandant nun direkt die Stadt auf, innerhalb von fünf Minuten „ein äußeres Zeichen zu setzen“ oder Radolfzell würde zerstört. Gegen den ausdrücklichen Befehl der SS ließ Vikar Karl Ruby auf Geheiß des Stadtpfarrers Josef Zuber um 13.30 Uhr ein weißes Bettlaken aus dem Münsterturm wehen.
Als um 14 Uhr die französischen Panzer in die Stadt rollten, trafen sie auf keinen Widerstand. Radolfzell atmete auf.
Christof Stadler, ehrenamtlicher Denkmalpfleger und mit der lokalen Geschichte bestens vertraut, wird am Freitag, 6. November 2020, die dramatischen Ereignisse zum Kriegsende in Radolfzell in seinem Vortrag »Und wenn das ganze Nest dem Erdboden gleich gemacht wird… Das Kriegsende 1945 in Radolfzell« rekapitulieren und damit dankbar an die Bewahrung der Stadt Radolfzell vor 75 Jahren erinnern. Der Ort des Vortrags wird noch bekannt gegeben.
Als Zeichen des Friedens werden in diesem Jahr am Samstag, 25. April und Sonntag, 26. April, weiße Fahnen am Münsterturm sichtbar sein. Wie 1945 werden dies Bettlaken sein. Damals war es allerdings nur eine Fahne und diesmal sollen mehrere Fahnen an allen Seiten gehisst werden. Die »Originalfahne« befindet sich im Münster, teilt die Stadtverwaltung mit.
Um 12 Uhr wird es am Samstag ein Vollgeläut geben, um mit diesem Signal nach außen hin den Ereignissen vor 75 Jahren zu gedenken. Heinz Vogel, Pfarrer und Leiter der Seelsorgeeinheit St. Radolt, möchte den Menschen hierzu gerne folgende Botschaft mit auf den Weg geben:
»Ich habe Respekt vor denen, die damals diese Zeichen setzten. Wenn es um eine Botschaft für heute geht, dann, dass es immer die mutigen Menschen braucht, die das Ganze im Blick haben und mit Verstand mutig handeln.«
Oberbürgermeister Martin Staab, betont in diesem Zusammenhang die Stärke, den Zusammenhalt sowie das Durchhaltevermögen der Radolfzeller Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf die aktuelle Situation:
»Ein Jubiläum wie der 75. Jahrestag der friedlichen Übergabe der Stadt bringt die Bürgerinnen und Bürger zusammen. Ein gemeinsames Gedenken im Münster oder auf dem Marktplatz ist in diesem Jahr leider nicht möglich. In einer Zeit, in der unser Sozialleben weitgehend am Telefon und über Social Media stattfindet, kann es dennoch ein Trost sein, wenn am Samstag um 12 Uhr alle Radolfzeller die Münsterglocken läuten hören. Das Vollgeläut mahnt uns zum Innehalten und Gedenken. Egal, wo wir uns zu diesem Zeitpunkt befinden werden, ob in unseren Wohnungen oder aus weiter Ferne: Lassen Sie uns diesen Moment nutzen, um innezuhalten.«
- Dominique Hahn
Autor:Redaktion aus Singen |
Kommentare