Ortschronik vorgestellt
Markelfingen feiert (über) 1300 Jahre Geschichte
Radolfzell-Markelfingen. Stolze 1300 Jahre ist das Dorf Markelfingen alt, wenn man einer Urkunde von damals Glauben schenkt. Warum man das allerdings nur bedingt tun sollte, gab es am Samstag, 27. April, zu Erfahren, beim Auftakt des Ortsjubiläums und der Präsentation der neuen Ortschronik.
Bevor es allerdings eine kleine Reise durch die vielseitige Geschichte des Ortes gab, machte der Fanfarenzug Markelfingen mit seinem Einzug den Auftakt des Abends. Nach dem "Markelfinger Lied", für das Erich Moser als Sänger und an der Gitarre tosenden Applaus erntete, machte Oberbürgermeister Simon Gröger mit einem Vorgeschmack aus der Chronik mächtig Appetit auf die darin enthaltenen Geschichten und Anekdoten. Zu Beginn stellte er fest, das die Gründungsurkunde Radolfzells 100 Jahre jünger ist, als eine Urkunde der Reichenau, die Markelfingen betrifft. Der Haken: Diese Urkunde ist gefälscht, aber korrekt, was Markelfingen betrifft. Während der Ort früher zur Reichenau gehörte, ist er "heute einer der Ortsteile von Radolfzell und das ist auch gut so", fuhr Gröger fort und verwies für mehr Informationen auf die aktuelle Sonderausstellung im Stadtmuseum. Weil "Geschichte von Menschen geschrieben" wird, brachte der OB auch noch eine Anekdote mit. Zeichnete sich Markelfingen früher durch seine vielen Mühlen aus, wurde es einst oft "Mühlendorf" genannt. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts gesellte sich ein weiterer Spitzname hinzu: In dem "Weindorf" war damals ein beträchtlicher Weinkonsum zu verzeichnen, wozu Gröger hinzufügte: "Markelfinger haben wohl auch in der Vergangenheit gut gelebt."
Viel Unterstützung
Seit 50 Jahren ist Markelfingen ein Ortsteil von Radolfzell, eine Zeitspanne, die der neuen Ortschronik im Vergleich zur Vorgängerversion aus 1975 hinzugefügt wurde. "Markelfingen hat sich seit der Eingemeindung stark verändert", befindet Ortsvorsteher Lorenz Thum. Das schlage sich auch in der Chronik wieder, zudem sei der Zeit des Nationalsozialismus entsprechend Raum gewidmet. Insgesamt sieben Autoren konnte er für ihren Beitrag danken, außerdem einigen Gastautoren, Gesprächspartnern, Bildgebern und anderweitigen Unterstützern. Vereine und Gewerbe konnten sich etwa mit einem Portrait selbst einbringen. Maßgeblich betreut wurde das Projekt in den vier Jahren seiner Entstehung von Hildegard Bibby, der ehemaligen Leiterin des Radolfzeller Stadtarchivs. Und weil ohne finanzielle Unterstützung solch ein Projekt nicht zu stemmen wäre, gab es auch eine ganze Reihe Sponsoren aus Markelfingen, Radolfzell und darüber hinaus, denen Thum danken konnte.
Für die angenehme Zusammenarbeit bedankte sich Peter Zabel von der Druckerei Zabel, wo die Seiten des 1,7 Kilogramm schweren Buches gedruckt wurden. Als regionale Druckerei sei es eine Freude an solchen Projekten mitzuarbeiten.
Hildegard Bibby berichtete von den Anfängen und der Entstehung der Chronik. Bei der Planung sei schnell klar gewesen, dass man eine klassische Ortsgeschichte umsetzen wollte, orientiert an der Ortschronik von Möggingen. Der Inhalt sollte wissenschaftlich fundiert, dennoch für Laien gut lesbar und großzügig bebildert sein.
Die Hauptbeiträge wurden von sieben Autoren geschrieben, die am Samstagabend ihre Arbeiten jeweils kurz vorstellten. Simon Götz befasste sich mit den ersten Jahren der Markelfinger Geschichte, die schriftlich festgehalten wurde. In dieser Zeitspanne sei das Dorf laut Götz ein "Zankapfel" zwischen Reichenau, Konstanz und Radolfzell gewesen.
Die Illusion des runden Jubiläums störte anschließend der Kreisarchäologe Dr. Jürgen Hald: Über 5.800 Jahre zurück reichen die Spuren erster Siedler in Markelfingen, die sich hier damals mit Pfahlbauten am See niederließen. In der Chronik enthalten sind auch einige neue archäologische Erkenntnisse, während hier vor 50 Jahren nur ein paar Spuren bekannt waren.
Mit dem Banker und Hobbyhistoriker Sven Hepting gab es einen Sprung in die Zeit von 1950 bis heute. Hier habe Markelfingen eine "Transformation von der Landwirtschaft zum Tourismus" gemacht. Im Jahr 1954, dem Jahr, als der Zeltplatz eröffnet wurde, habe es etwa 3.000 Übernachtungen dort gegeben, berichtet Hepting. 1960 seien es dann bereits 31.000 gewesen, eine Verzehnfachung in nur sechs Jahren. Im gleichen Zeitraum hätten sich die landwirtschaftlichen Betriebe nahezu halbiert.
Unwillkommenskultur, die zu denken gibt
Prof. Dr. Jürgen Klöckler, Stadtarchivar in Konstanz, befasste sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und der französischen Besatzung in Markelfingen. Er hob die "sehr gute Quellenlage" für diese Epoche hervor und konzentrierte sich in seinem Einblick auf zwei Auffälligkeiten. Unter dem Stichpunkt "Elitenkontinuität" berichtete er vom nationalsozialistischen Bürgermeister Markelfingens, von 1936 bis 1945 und trotz Absetzung von 1948 bis 1964 dieses Amt bekleidete - kein Einzelfall, wie er betonte. Zudem zeigte er die "Unwillkommenskultur" der Nachkriegszeit auf. Die Stimmung in dem Dorf gegenüber den Zuwanderern aus Ostdeutschland war nach 1945 denkbar schlecht. "Das sollte uns mit Blick auf unsere Tage zu denken geben", endete der Stadtarchivar.
Deutlich lockerer konnte Hans-Georg Langer mit seinem Thema umgehen. Er habe alteingesessene Markelfinger um interessante Geschichten gebeten. Statt hier eine in Gänze zu erzählen, weckte Langer mit drei Anrissen die Neugier der Zuhörenden. Wer also wissen will, warum ein Polizist einst mal Kindergartenkinder eingesperrt hat, muss das in der Chronik selbst nachlesen.
Als einzige Autorin trat anschließend Sibylle Probst-Lunitz ans Mikrofon, die die Zeitspanne vom 30-jährigen Krieg bis zum Ende der Weimarer Republik zusammengefasst hat.
Mit mehreren Beiträgen beteiligt war der Lokal- und Regionalhistoriker Christoph Stadler. Dieser widmete sich etwa der Geschichte der katholischen Kirche St. Laurentius, der ehemaligen Wallfahrtskapelle, dem für die Region einmaligen Entstehen Markelfingens entlang des heutigen Mühlbachs und einer Würdigung an Walter Fiedler, der vor 50 Jahren die Chronik erstellte.
Die Ortschronik kostet 27 Euro und kann unter anderem bei der Ortsverwaltung, im Radolfzeller Stadtmuseum oder den dortigen Buchhandlungen erworben werden.
Für Musik zwischendurch sorge der Musikverein Markelfingen, für den musikalischen Ausklang der Frauenchor Cantastics aus Markelfingen.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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