Denkwürdiger Radolfzeller Narrenspiegel
Ein Abend im Zeichen von Newcomern und Abschieden

Eine hitzige Diskussion beim Narrenspiegel boten sich bei "Inas Nacht" von links: St. Ratold, Imperia und der Singener Bär. | Foto: Philipp Findling
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  • Eine hitzige Diskussion beim Narrenspiegel boten sich bei "Inas Nacht" von links: St. Ratold, Imperia und der Singener Bär.
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Radolfzell. Närrische Abende sind für viele Freunde der fünften Jahreszeit immer etwas ganz Besonderes. So auch beim Radolfzeller Narrenspiegel im Milchwerk, welcher am gestrigen 26. Januar erstmals an einem Freitag premierte und ganz im Zeichen von Newcomern und Abschied stand.

Schon einige Minuten vor Einlass zeigten die Gardisten der Narrizella Ratoldi, wohin der Weg des Abends gehen könnte, so konnten sich erste Gäste wie Bürgermeisterin Monika Laule, Petra Bialoncig von der Werner-Messmer-Stiftung, Landrat Zeno Danner und OB Simon Gröger an einem "Hau den Lukas" mit prominienten Gesichtern aus der Region ihr Glück am Hammer probieren. 

Gleich nach dem Einmarsch der Zunft folgte nach der Übergabe einer Narrizella-Kappe an Bürgermeisterin Laule für ihre Verdienste  für die Zeller Fasnet der sehr frühe Höhepunkt des Abends, als Ehrenpräsident und Fasnetsurgestein Lothar Rapp nach 39 Jahren zum letzten Mal als Kappedeschle zu seiner Narrenschelte ansetzte. Hierbei setzte er direkt zu Beginn mit dem Krankenhaus bei einem Thema an, welches sich für die Stadt mittlerweile zu einem Evergreen entwickelt hat. "De Kranketransport wird immer meh für viele zu einer wahren Odyssee." Auch eine kleine Spitze in Richtung des Zeller Stadtrat nicht verkneifen, so habe er das Gefühl, "dass mancher Würdenträger dort schon so lange dort ist, "dass er do feschtklebt, als sei er", in Anlehnung an eine der zwei bekannten Klimabewegungen, "einer seiner letzten Generation." Doch sei es für ihn auch eine Tugend, dass "d' Zukunft g'hört de Jugend." Ebenfalls ihr Fett weg bekam, wie aktuell des Öfteren, die Ampelregierung, lobte in Anlehnung an die aktuellen Bauernproteste auch ein "dreifach Hoch auf die Landwirtschaft, da wo noch de Landwirt schafft" aus. Doch auch der Ehrenpräsident selbst ist ratlos darüber, wer in Berlin den Karren noch aus dem Dreck ziehen soll: "Vielleicht löst d' Probleme Friedrich Merz, hahaha des war en Scherz." Allgemein war Rapps ungewohnt kurze Schelte geprägt von bissigen, aber auch rhetorisch starken Momenten, in denen nach manch einer Pointe man im Milchwerk eine Stecknadel hätte fallen hören können. Am eindrücklichsten wurde dies bei seinem Kommentar zu den aktuellen Rechtsbewegungen, welche er als "Bilder am Horizont, welche ma us dunkle Zeit kennt hond" bezeichnete. Für ihn ginge es nur "mit Humor, so hört man sage, det ma's Lebe leichter ertrage". Dahingehend wünsche er sich Nachsicht für die Ampel sowie eine ganz simple Lösung: "Lösche ma de Glühende Docht, so hät am End des immer was brocht."

Abschied für die Problembeseitiger

Im Anschluss gab es ein eher weniger erfreuliches Wiedersehen mit dem Problembeseitigungsdienst, gespielt von den beiden Co-Regisseuren des Abends, Ole Schmal und Tim Schwenke, ist die "Ruine" Radolfzeller Krankenhaus nun doch zu ihrem Bedauern dicht gemacht worden. "Jetzt wurde doch nix aus der Heilungs mit freudvoller und horizontaler Bewegung." Obendrein sind beide jetzt auch noch arbeitslos, was der Gemeinderat unmittelbar zu spüren bekam. "Uns beide wollen sie nicht mehr, es ist nur noch Geld für Spielplätze und einen Dorfpalast in Markelfingen da." Einen betagten Patienten verfrachtete eine Krankenschwester auch noch glatt ins "Pflegeheim Gemeinderat". Auch "Ingrid von Indeed" konnte den ehemaligen "Problembeseitigern" nicht wirklich weiterhelfen, so habe man unter anderem bei Kindergarten-Containern keine Lust darauf, "sich bei einem Latte Macchiato mit Helikoptermuttis über die Essgewohnheiten von den Kindern zu unterhalten." Da sie auch nicht als "Influencer wie der OB" arbeiten wollen, hieß es für die beiden Abschied nehmen vom Krankenhaus. 

Debüt der Seegras-Band

Bei der nächsten Szene, welche sich den Gastromangel in der Stadt zum Thema nahm, unternahmen zwei Segler einen Ausflug an den Radolfzeller See, bei dem man "gut stehen kann, der hat doch Niedrigwasser". Zudem bedauere man die Zeit zwischen vor und nach der Fasnet. "Du bist schon ein Verrückter, schon im Sommer an d' Fasnet zu denke." Diese Szene wurde, für viele sehr überraschend zur Geburtsstunde für die Seegras-Band, welche von nun an die Seefunker beim Narrenspiegel beerben. Beim ersten Lied schwärmte man direkt vom Bier im Zunfthauseck, so ist "beim Bier in der Mole die ganze Kohle weg". Ähnlich dem Lied "Ausklaar" der Schweizer Band Patent Ochsner läutete man sozusagen die Ära der Seegras-Band ein: "Narri, Narro! Me oder minger, du un i d' ganze Fasnet g'sunge." 

Ein denkwürdiger Radolfzeller Narrenspiegel

Höchst prominent wurde es dann anschließend bei "Inas Nacht". Hier zeigte sich zu Beginn, dass die Seefunker, zum Erstaunen vieler Festgäste, doch nicht ganz weg vom Fenster sind, so agierten sie als Shanty-Chor der Show. "Ina Müller" selbst konnte dabei drei ganz bekannte Gäste aus dem Landkreis begrüßen. Den Anfang machte der Zeller Namensgeber St. Ratold, der sich direkt beschwerte, dass es hier "fast nur noch Tattoostudios statt Kaffees" gibt und an dem Ort, wo einst auf der Mettnau Weinreben standen, "jetzt ein Kunstrasenplatz gebaut wurde". Wie jeder Showgast bekam auch Ratold die berühmten Bierdeckelfragen gestellt, so wollte die Gastgeberin unter anderem wissen, was er denn unter dem Mantel trage. "Schiesser natürlich." Es folgte mit der Imperia seine große Liebe aus dem Jahr 1416, welche Konstanz nicht mehr als "Kreis-, sondern Kantonshauptstadt" betitelte. Wanderschuhe, so ihre Antwort auf eine Bierdeckelfrage, brauche sie nicht mehr, "ich drehe am See gemütlich meine Runden". Der Dritte in der Runde war der Singener Bär, welcher seine Rolle zunächst falsch interpretierte, gleich zu trällern begann und von St. Ratold direkt einen Denkzettel bekam. So sei das Schönste an Singen "die B 34 nach Radolfzell". Dem konterte der Bär, so werde seiner Stadt "immer mehr zur Metropole am See, nur ohne See". Bevor jedoch die Fehde der drei Gäste zu eskalieren drohte, begrüßte "Ina" die Seegras-Band auf der Bühne, laut denen alle Wege nach Rom, "aber irgendwann auch zurück nach Radolfzell" führen, der für sie wie ein "Heimathafenozean" ist.

Urlaub in Liggeringen

Es folgte höchst unterhaltsamen Ausflug an den Markelfinger Winkel und den Zeller See, wo zwei Enten sich darin bemühten, ihren Standort mit allen für sie notwendigen Mitteln und tierischen Unterstützern zu verteidigen. Leider, so müssen sie feststellen gibt es "bald keine Fischerin vom Bodensee mehr".  Auch ein Menschenschutzgebiet machten die beiden schnell aus: "Böhringen, Singen, Liggeringen".  
Die letzte Szene des Abends spielte sich, angelehnt an den Fernsehklassiker "Heidi", im "beschaulichen Liggeringen" ab, wo Monika (Laule) mit ihrem Großvater, vermutlich aus dem Gemeinderat, Urlaub macht. Zu ihrem Mitleid möchte jedoch der Geißenpeter, gespielt von Garde-Hauptmann Daniel Hepfer, diesen Ort verlassen, "so erfüllt mich hier nichts mehr". Doch weder die längste 30er Zone aller Ortsteile (Böhringen), wo man schön entschleunigen könne, als auch der "Beach" in Markelfingen können ihn nicht überzeugen. Auch die Ortsteilweisheiten des Großvaters ("Ist die Halle viel zu klein, heizt der Narrenverein dir ein" für Markelfingen) konnten ihn nicht umstimmen. Ernüchterung gab es auch, als ihm der von einer Ziege als "Mö-ö-ggingen" bemeckerte Ortsteil als "gut zu vögeln" angepriesen wurde sowie Güttingen und Stahringen nur mit "Mehr geht immer" beworben wurde. Abhilfe konnte nur der neue Narrenspiegel-OB leisten, der als überzeugendes Argument für Radolfzell die "Fasnet als Alleinstellungsmerkmal" lieferte und, mit dem Tross in der Stadt angekommen, eine Flotte Sohle aufs Parkett legte. 

Kurz vor Schluss nach den Dankesworten von Präsident Martin Schäuble hatte dann aber der scheidende Lothar Rapp, frei nach einem Albumtitel von Supertramp, nochmal "Final Last Words" an das närrische Volk im Milchwerk. So fragte er sich schon länger, warum der Berliner Reichstag eine Kuppel habe. Da ihm die KI jedoch keine gescheite Lösung geben konnte, musste er sich im Vorfeld an Oberjunker Helmut Villinger wenden, der ihm, als Schlusswort des Abends, eine kluge wie auch satirisch passende Erklärung gab, so "gibt es schließlich nirgends einen Zirkus ohne Flachdach".

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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