Große Inszinierung des "Treffen in Telgte"
Die Wege aus der Barbarei zurück zum freien Wort

Das Ensemble des 17. Jahrhunderts der Hochschule für Musik Trossingen hier mit dem Rosenkranzaltar im Hintergrund, der für diese Inszenierung im Münster Radolfzell das Hoffnungszeichen für eine Zeit nach dem Krieg war. | Foto: Fiedler
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  • Das Ensemble des 17. Jahrhunderts der Hochschule für Musik Trossingen hier mit dem Rosenkranzaltar im Hintergrund, der für diese Inszenierung im Münster Radolfzell das Hoffnungszeichen für eine Zeit nach dem Krieg war.
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Radolfzell. „Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. Unsere Geschichten von heute müssen sich nicht jetzt zugetragen haben.“ – Mit diesen (auf den ersten Blick kryptischen) Sätzen beginnt die Erzählung „Das Treffen in Telgte“ von Günter Grass. Der Autor schildert darin – in Analogie zu den Tagungen der im Nachkriegsdeutschland bedeutenden Literatenvereinigung „Gruppe 47“ – ein fiktives Treffen deutscher Dichter im Jahr 1647, also während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Und es war auch ein Stück weit ein Wink in die Gegenwart, in die Zeit, als die Kultur und das "freie Wort" dazu in Corona-Zeiten in Bedrängnis geraten war. Über 400 Zuhörer aus der ganzen Region waren für das Kooperationsprojekt zwischen dem Radolfzeller Kulturbüro und der Hochschule für Musik Trossingen im Radolfzeller Münster zusammengeströmt, um hier dieses große Zeitdokument zu erleben mit Musik aus der Zeit des endenden 30-Jährigen Kriegs und eben den Worten von Grass, mit denen er seine Sicht auf die Gründung der "Gruppe 47" skizzierte, die für ihn den Weg aus der Zeit der Nazi-Diktatur wies.

Der Ort dieser Inszenierung wurde mit Bedacht gewählt. Münsterpfarrer Heinz Vogel sagte in seiner Begrüßung, dass für ihn sofort klar gewesen sei, dass dieses Stück hier im Münster aufgeführt werden solle. Denn dort gibt es mit dem Rosenkranzaltar ein Kunstwerk, das eben gerade im Jahr 1648, dem Ende des 30-Jährigen Kriegs geschaffen wurde, in einer Zeit, die auch diese Region hart getroffen hatte. Damals war durch die Folgen von Krieg und Pest die Zahl der Einwohner Radolfzells auf 400 gesunken. Und der Altar war ein deutliches Zeichen der Hoffnung. "Hat die Kunst nicht etwas, was uns stärkt, nicht aufzugeben", stellte Vogel hier in den Raum. Das Finale des Konzerts fand mit den SängerInnen des Projekts mit der werkgetreuen Intonierung von Heinrich Schütz zum westfälischen Frieden von 1648 komponierten "Verleih uns Frieden gnädiglich" mit einem Text von Martin Luther genau an diesem mächtigen Altar statt. Auch im Gedenken daran, dass der Krieg durch den Überfall Putins auf die Ukraine seit über einem Jahr wieder nach Europa zurückgekehrt ist.

In der Inszenierung der Hochschule für Musik Trossingen auf alten Instrumenten und ganz im Geiste der Zeit, die ja auch den üppigen Barock hervorbrachte, las Rudolf Guckelsberger immer wieder zwischen den Stücken Passagen aus dem "Treffen von Telgte", so wie es Brücken im in mehrfacher Hinsicht zerstörten Europa bauen wollte, aber letztendlich doch scheiterte, weil das dort gefasste Manifest schon am Tag darauf mit der Kirche verbrannte. Lorenz Duftschmid hatte die Musikalische Leitung dieses historischen Projekts, die Vokaleinstudierung lag bei Jan Van Elsacker, der hier auch schon in Richtung Zukunft zeigte. Er hatte mit rund 80 ChorsängerInnen aus der ganzen Region vor dem Konzert einen Workshop zum Gesang des frühen Barock durchgeführt.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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