Radolfzells Oberbürgermeister Martin Staab im Interview mit dem Wochenblatt
Die Region wird wieder zur alten Stärke kommen
Radolfzell. Was kann eine Stadt jetzt tun, um wieder gut aus der Krise herauszukommen, welche Entwicklungen, die die Krise in Gang gesetzt hat sollten fortgeführt werden und führt die aktuelle wirtschaftliche Lage zum Stillstand auf kommunaler Ebene? Über diese und weitere Fragen sprach das Wochenblatt mit dem Radolfzeller Oberbürgermeister Martin Staab.
Wochenblatt: Die letzten Monate haben weltweit sehr viele Veränderungen gebracht. Hat sich in dieser Zeit Ihre Sichtweise auf unsere Region, oder auf die lokalen Welten insgesamt verändert?
Martin Staab: Ja, ich denke, die lokalen Welten haben eine größere Bedeutung bekommen. Wir spüren zwar die Auswirkungen der Pandemie auf unsere lokalen Welten. Beispielsweise dadurch, dass wir nicht einfach Impfstoffe besorgen oder Landesverordnungen außer Kraft setzen können. Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir spüren, dass es viele gibt, die auch in diesen Zeiten tolle Sachen auf die Beine stellen. Seien es Vereine, Gastronomen oder Einzelhändler. Das zeigt mir, dass die Heimat für die Menschen an Bedeutung zugenommen hat. Ich würde der Tatsache, dass der Online-Handel im Moment floriert da nicht so viel Bedeutung beimessen. Das ist nun mal so, wenn die Läden geschlossen sind, aber ich glaube, das wird sich auch wieder ändern, sobald die Geschäfte öffnen dürfen. Die Menschen werden zurückkehren und werden das Thema Vertrauen und Sicherheit in den lokalen Welten verstärkt suchen.
Wochenblatt: Also sind die Lokalen Welten Ihrer Meinung nach nicht in Gefahr?
Martin Staab: Die lokalen Welten sind nicht in Gefahr. Wir spüren zwar schon über Jahre Veränderungen, gerade was den Online-Handel angeht, aber ich glaube nicht, dass da die Corona-Pandemie einen großen Schalter umlegen wird. Es wird immer davon abhängig sein, dass man ein gutes Warenangebot hat beziehungsweise gute Dienstleistungen anbietet. Und viele wichtige Dinge gibt es einfach nicht im Internet, oder haben Sie schon mal versucht, im Internet einen Haarschnitt zu bekommen? Auch Gastronomie ist etwas örtlich gebundenes und ich glaube unser Einzelhandel ist so stark, dass er auch die Kunden aus der Region wieder binden kann.
Wochenblatt: Was sind Ihrer Meinung nach die großen Stärken unserer Region?
Martin Staab: Die erste Stärke ist, dass wir hier eine sehr starke Verbundenheit und Identität mit unserer Region haben. Das ist nicht überall so. Die Menschen hier sind sehr tief verwurzelt mit ihrer Heimat und das ist sicherlich eine der ersten großen Stärken und das Wichtigste. Das Zweite: Auch wenn wir hier keine Großstadt in der Nähe haben, sind wir mit einem starken Oberzentrum wie Konstanz und Mittelzentren wie Singen und Radolfzell doch ein Verdichtungsraum, der attraktiv ist für Menschen zum Leben und zum Arbeiten. Das bringt natürlich auch eine entsprechende wirtschaftliche Stärke mit sich, die dabei helfen wird, wieder gut aus der Krise herauszukommen.
Wochenblatt: Gibt es auch Schwächen? Und wenn ja, was können Sie als Oberbürgermeister von Radolfzell tun um diese zu beseitigen?
Martin Staab: (überlegt): Ich glaube unsere Region hat wenige Schwächen. Wir sind in vielen Feldern sehr stark. Entwicklungspotential liegt sicher in der regionalen Zusammenarbeit, wobei sich das in den letzten Jahren bereits gut weiterentwickelt hat.
Wochenblatt: Auch die Stadt Radolfzell bekommt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise zu spüren und muss den Gürtel deshalb enger schnallen. Kommt jetzt der große Stillstand?
Martin Staab: Sicher nicht. Wir haben vor zwei Wochen einen Haushalt beschlossen, der wieder so viele Investitionen beinhaltet, dass wir gar nicht alles schaffen können in diesem Jahr. Dabei hat nur eine Fokussierung auf das Wichtigste stattgefunden und es sind alle politischen Bereiche abgedeckt. Seien es Schulen, Vereine oder Klimaschutz. Der Gemeinderat hat uns einen Haushalt mitgegeben, mit dem wir dieses Jahr wieder ordentlich Arbeit haben.
Wochenblatt: Nicht nur die Stadt ist wirtschaftlich getroffen, auch viele Bürgerinnen und Bürger sind im Moment besorgt um ihre wirtschaftliche Situation. Wie nehmen Sie diese Sorgen und Nöte in der Bevölkerung auf?
Martin Staab: Ich bekomme das in vielen Gesprächen zu spüren. Es gibt viele Menschen, die sich gerade Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Im Moment sind viele noch durch Kurzarbeitergeld abgesichert, deshalb glaube ich auch, dass es nicht zu einer großen wirtschaftlichen Not kommen wird, aber der ein oder andere Unternehmer wird sicher zu kämpfen haben. Wir versuchen gerade über den Landkreis Druck zu machen auf Landes- und Bundesebene, damit die Hilfen endlich ausgezahlt werden. Es kann nicht sein, dass Unternehmen über Monate auf die Mittel warten müssen. Nachdem der Bund zwar auf Digitalisierung gesetzt hat kann man so einen Antrag zwar innerhalb von Minuten auch am Wochenende stellen aber dann geschieht monatelang nichts. Da werden wir weiter nachhaken müssen, denn es ergibt keinen Sinn, große Rettungspakete aufzusetzen, und dann nicht auszuzahlen. Da die Corona-Zahlen im Moment ganz gut aussehen, hoffe ich zudem, dass wir auch bald wieder Lockerungen erleben können.
Wochenblatt: Welche Möglichkeiten haben Sie, um in Stuttgart und Berlin Druck zu machen?
Martin Staab: Es gibt immer wieder die Spitzengespräche in Stuttgart, bei denen auch die kommunalen Landesverbände, also Städte- und Gemeindetag eingebunden sind. Diese bekommen von uns natürlich eine Rückkopplung. Außen bekommt man das vielleicht gar nicht so mit, aber letztes Jahr hat das ganz gut funktioniert. Wenn wir als Städte in großer Einigkeit aufgetreten sind, war immer Einsicht oder Kompromissbereitschaft auf Seiten der Landesebene spürbar. Da läuft also viel auch hinter den Kulissen, aber wir tragen mit unserer Position als Kommunen auf jeden Fall zur Meinungsbildung auf Landesebene bei.
Wochenblatt: Im Zusammenhang mit dem Lockdown und den Corona-Maßnahmen gibt es ja durchaus auch Regelungen, die man als Bürger nur schwer nachvollziehen kann und deren Sinn man unter Umständen nicht wirklich versteht. Geht es Ihnen als Oberbürgermeister da anders, oder gibt es auch Dinge, die sie in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehen können?
Martin Staab: Da geht es mir nicht anders als allen anderen Bürgerinnen und Bürgern. Auch wir erfahren die neuesten Entscheidungen manches Mal erst aus den Medien. Wenn geboten hinterfragen wir, wieso bestimmte Dinge ausgerechnet so geregelt werden und nicht anders, aber ich glaube das Allermeiste hat schon seinen Sinn, auch wenn es vielleicht erst auf den zweiten Blick rüber kommt. Allerdings gibt es Dinge, die sind für uns auch mit Erklärung des Landes nicht verständlich.
Wochenblatt: Was macht Ihnen im Moment die größten Sorgen?
Martin Staab: Die größten Sorgen machen mir im Moment das öffentliche Leben, und die Tatsache, dass wir im Moment keine Chance haben, auch nur im kleinen Kreis soziale Kontakte zu pflegen. Die Öffnung der Schulen und Kitas – die damit verbundenen Sorgen der Eltern und Kinder. Das eingeschränkte Vereinsleben gehört auch dazu. Das zweite sind tatsächlich die wirtschaftlichen Sorgen der Unternehmerinnen und Unternehmer in der Region. Da gibt es Verwerfungen, die wir schnellstens beseitigen müssen, wenn es wieder aufwärts geht.
Wochenblatt: Und was macht Ihnen am meisten Mut?
Martin Staab: Besonders der Mut unserer Einzelhändler und Unternehmer, die zuversichtlich bleiben und sagen wir schaffen es durch die Krise. Dabei spielt auch die gute und unterstützende Arbeit der Aktionsgemeinschaft für den Einzelhandel eine wichtige Rolle. Mut macht mir aber auch die Tatsache, dass wir immer wieder die Möglichkeit haben zu unterstützen, beispielsweise ganz aktuell im Gastro-Kreis, wo wir als Stadt eine Web-App zur Verfügung stellen wollen, die die Registrierung zur Kontaktnachverfolgung einfacher macht, wenn die Gastronomie wieder öffnen darf. Wir sind auch im Moment in der Lage, Zahlungen, die an die Stadt geleistet werden müssen, seien es Steuern, Mieten oder Pachten zu stunden. Dafür bekommen wir auch positive Rückmeldungen. Es kämpfen im Moment alle um ihre Zukunft, aber bei mir ist noch keiner aufgeschlagen, der schon aufgegeben hätte.
Wochenblatt: Nun hat Radolfzell mit der Ausrichtung der Baden-Württembergischen Heimattage gerade ein großes Festjahr. Ist das nur eine Herausforderung oder kann es auch eine Chance sein für die Stadt in diesen Zeiten?
Martin Staab: Besonders angesichts der Tatsache, dass uns die sozialen Kontakte im Moment sehr fehlen, wäre es natürlich schöner, man könnte diese Veranstaltungen persönlich und gemeinsam feiern. Natürlich ist es eine Herausforderung, diese ganzen Formate in dieser Form zu planen, aber ich denke, wenn die Impfstrategie aufgeht, werden wir im Sommer wieder eine gewisse Normalität haben. Und wenn eine Veranstaltung wie die Narrenreise im November stattfinden muss, dann ist das besser als sie nicht durchzuführen. Wichtig ist, dass wir an den Heimattagen festhalten, die Chancen nutzen und die Herausforderung annehmen unsere lokale Welt landesweit zu präsentieren.
Wochenblatt: Was brauchen wir Ihrer Meinung nach, um jetzt wieder gut aus der Krise herauszukommen?
Martin Staab: Wir müssen den Dialog mit allen Beteiligten suchen um zu schauen, wo die Bedürfnisse sind, und wo die Stadt noch mehr helfen kann. Wir versuchen mit vielen kleinen Hilfestellungen zu unterstützen, dazu zählt die angesprochene Web-App für die Registrierung für die Gastronomie, die auch von anderen Dienstleistern ebenso genutzt werden kann. Oder eine Online-Schulung für den Einzelhandel vermittelt durch unsere Wirtschaftsförderung. Ich glaube, das ist einer der Trends, der sich fortsetzen wird, und es zeigte sich ja schon in den letzten Jahren, dass es viele gibt, die lokal ein Ladengeschäft und als zusätzliches Standbein einen Online-Shop haben. Wenn wir es schaffen, uns mit diesen neuen Ideen und Formaten aufzustellen, werden wir auch gut aus der Krise kommen. Wir werden uns außerdem etwas einfallen lassen, wie wir die Vereinslandschaft noch besser unterstützen können, damit sie die Hilfe erfährt, die sie benötigt.
Wochenblatt: Gibt es irgendetwas aus den letzten Monaten, das Sie gerne mitnehmen würden in die Zeit nach der Krise?
Martin Staab: Auf jeden Fall! Die Digitalisierung der Verwaltung zum Beispiel ist ja seit vielen Jahren ein Schlagwort, aber bewegt hat sich lange nichts. Das hat jetzt einen Schub bekommen und wird auch noch weiter vorankommen. Nehmen Sie als Vergleich das Online-Banking. Das macht heute niemand zwischen 8 und 16 Uhr. Zu diesen Zeiten arbeiten die Leute nämlich. Online-Banking mache ich abends oder am Wochenende, und zu diesen Zeiten ist meine Bank auch erreichbar. Das Gleiche muss die Verwaltung in Zukunft bieten. Wir müssen 24/7 erreichbar sein. Wir werden nicht immer gleich antworten können, aber es muss immer möglich sein, Anträge einzureichen oder Fragen zu stellen und spätestens am nächsten Werktag eine Antwort zu bekommen.
Wochenblatt: Was wünschen Sie sich für die nächsten Monate?
Martin Staab: Ich würde mir wünschen, dass wir am Ende des Jahres mit unserer Impfstrategie Erfolg hatten, dass wir schöne Heimattage feiern konnten und dass mir die Bürgerinnen und Bürger wieder ihr Vertrauen schenken.
- Dominique Hahn
Autor:Redaktion aus Singen |
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