Gedenkfeier am Ort der abgebrannten Synagoge
Drei jüdische Schicksale von der Höri

Rund 70 Teilnehmer gedachten am Freitagabend der Opfer der Reichspogromnacht, der am 10. November 1938 auch die Synagoge in Wangen zum Opfer fiel. Links im Vordergrund: Maria Sontheim, hinter ihr Hubert Sontheim. | Foto: Anja Kurz
  • Rund 70 Teilnehmer gedachten am Freitagabend der Opfer der Reichspogromnacht, der am 10. November 1938 auch die Synagoge in Wangen zum Opfer fiel. Links im Vordergrund: Maria Sontheim, hinter ihr Hubert Sontheim.
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Öhningen-Wangen. Kerzen und ihre Lichter zeichneten am Freitagabend, 10. November, den Grundriss der einstigen Wangener Synagoge nach. Diese wurde vor 85 Jahren durch SS-Soldaten niedergebrannt, am Folgetag der großen Reichspogrome in der Nacht des 9. Novembers. Zum Gedenken veranstaltete der Gäste-, Kultur- und Dorfverein eine Feier, bei der auch die Geschichten und Gedanken dreier Juden vorgetragen wurden, die diese Zeit in Wangen miterlebt hatten.

Vier Kerzen markierten dazu auf dem Boden die Eckpunkte der einstigen Synagoge. Die Anwesenden lud Mitorganisatorin Deborah Wolf ein, die Ränder des Grundrisses mit weiteren Lichtern zu ergänzen.

Erich Bloch

Wolf trug einen Bericht von Erich Bloch vor, der 1938 auf einem Bauernhof in Gaienhofen-Horn lebte. Am 10. November wollte er das auf dem Hof erwirtschaftete Gemüse in Konstanz verkaufen und sah dabei frühmorgens die Kolonnen der in Radolfzell stationierten SS-Soldaten auf dem Weg nach Wangen. Da habe er gewusst, "jetzt werden die Juden drangsaliert". Er rechnete damit, dass sie auch nach Horn kommen würden und warnte seine Frau, Elise Levinger: "Es kann auch bei uns was passieren, bereite dich vor." Wie viele männliche Juden wurde er im Horner Rathaus in Schutzhaft genommen und dabei schwer misshandelt. Später gelang Erich Bloch die Flucht nach Israel, er kehrte jedoch in den späten 1960er-Jahren nach Konstanz zurück und schrieb dort beispielsweise das Buch "Die Geschichte der Juden von Konstanz".
Die gelesene Passage stammt aus Interviews von Erich Bloch in dem Buch "Das verlorene Paradies - Ein Leben am Bodensee 1897-1939", die von Werner Trapp für das Buch bearbeitet wurden.

Dr. Hannelore König

Die nächste Person, Dr. Hannelore König, war die Tante von Sprecherin Deborah Wolf. Vorgelesen wurde ein Teil eines Interviews mit König aus dem Buch "In der Heimat eine Fremde" von Anne Overlack.
So berichtete Hannelore König, dass sie 1938 in Stein zur Schule ging. Während am 10. November auf dem Weg zur Schule noch alles wie immer schien, habe ihnen auf dem Weg zurück ein Schweizer Zöllner gesagt: "In Wangen ist was passiert."
Im Ort angekommen, fiel ihr ein verbrannter Geruch auf. Vielleicht brannte die Synagoge da noch. Zuhause wartete ihre weinende Mutter auf Hannelore König. Sie hatte die SS-Wagen gesehen und ihr war schnell klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Auch ihr Vater, Dr. Nathan Wolf, wurde in Schutzhaft genommen und im Keller des Wangener Rathauses misshandelt: "Ich habe mich später oft gefragt, was in Bürgermeister Denz vorgegangen sein mag, als sein alter Sportsfreund im Keller seiner Rathauses zusammengeschlagen wurde." Wenig später wurde er von der SS abgeholt und für vier Wochen nach Dachau gebracht.

Walter Bloch

Helmut Fidler, Historiker und ebenfalls einer der Organisatoren, gab zuletzt einen Einblick in das Erleben des damals zehnjährigen Walter Bloch. Er war der Sohn von Erich und Paula Bloch, deren Ehe allerdings auseinanderging. Während sein Vater in Horn lebte, wohnte er mit seiner Mutter in Wangen. Am 10. November wurde er, wie auch die anderen Juden seiner Klasse, aus der Schule vertrieben, "das war mein letzter Schultag in Deutschland". Vom Fenster der Wohnung beobachteten er und seine Mutter das weitere Geschehen. "Gemütlich" seien die Feuerwehrmänner zur brennenden Synagoge angerückt und ausgestiegen, doch "machten keine Anstalten, den Brand zu löschen".
Weiter erzählte er, dass er ursprünglich dachte, er sei ein Kind wie jedes andere. Doch durch die anhaltende Propaganda gegen Juden habe sich mehr und mehr ein Gefühl der Minderwertigkeit eingeschlichen. Nach der Pogromnacht hätten die Ausgrenzung noch weiter zugenommen, von Tag zu Tag sei es unerträglicher geworden. In Einkaufsläden und Kinos wurden Juden nicht mehr geduldet.

Fidler las aus seinem eigenen Buch "Jüdisches Leben am Bodensee". Darin enthalten ist ein Interview mit Walter Bloch, das ursprünglich aus dem Buch "Der olle Hitler soll sterben" von Anja Salewsy stammt.
Ergänzend fügte Deborah Wolf hinzu, dass die britische Regierung auf die Novemberpogrome mit einer unbegrenzten Aufnahme jüdischer Kinder in englischen Pflegefamilien reagierte. Walter Bloch war eines der Kinder, die auf diesem Weg flüchten konnten. Vor ein paar Jahren verstarb er in England, kam allerdings immer wieder nach Wangen zurück.

"Wir wollen hier nicht mahnen, sondern gedenken", sagte Wolf zum Abschluss. "Aber halten Sie ihre Augen auf, was um Sie herum passiert." Zwischen den Wortbeiträgen rahmte Tom Geisenberger am Saxophon den Abend musikalisch ein.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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