Premiere über die versteckten Depressionen
Schon draussen, aber nicht zurück in der Welt

- Sylvana Schneider, Sarah Siri Lee König, Jonas Pätzold, Anna Eger, Jana Alexia Rödiger unter „Horizont“ im Chor auf den Ausblick eingebildeter Ausblicke und beim Blick in sich selbst.
- Foto: Theater Konstanz/Ilja Mess
- hochgeladen von Tobias Lange
Konstanz. Ein Theaterstück, das sogar mit einem Happy End beginnt, ist „No Shame in Hope“ (Eine Jogginghose ist ja kein Schicksal) von Svealena Kutschke, das unter der Regie von Simone Greyer in einem grandiosen Bühnenbild von Mona Marie Hartmann am Freitagabend, 17. Januar, im Konstanzer Stadttheater Premiere feierte. Am Schluss bleibt freilich ein einsames „Hallo?“ im Raum stehen, bevor die Lichter ausgehen.
Beim Happy End sind Luca (Sylvana Schneider) Carla (Jana Alexia Rödiger) und Linn (Sarah Liri Lee König) fast wie im Himmel, grüßen von der Decke der Bühne in ihren superlangen Jogginghosen, die den Boden gerade noch berühren. Beim Runterkommen, das nicht ganz ohne Verzögerungen klappt, wir schnell klar, dass die drei endlich wieder „draussen“ sind aus einer Klinik für psychische Behandlungen, in der sich, das wird von ihnen unterschiedlich bewertet, mehrere Wochen oder gar Monate gemeinsam verbracht haben, in denen sie ich optimiert haben wollen, also nun vor einem neuen Leben stehen, das sich länger mehr nach der Organisation der Defizite davor anfühlen sollte. Im „neuen Leben“ danach ist das Trio freilich längst noch nicht angekommen, wie Erzähler Jonas Pätzold erklärt, denn erst mal haben sie Aufnahme im Uralt-Imbiss von Anna Egger gefunden, der eigentlich nur Dinge aus der Vergangenheit anbietet.
Von den Dosen mit warmen Bier muss man den Staub erst ausblasen und sie haben gar noch den Verschluss aus den „90ern“. Depressionen, psychische Krisen, Burnout, seelischen Verletzungen sollen dort geheilt werden, was die drei glauben hinter sich gelassen haben, und aus dem die längst nicht „draussen“ sind, sondern dass ihnen in diesem Imbiss der Vergangenheit den Blick zurückwerfen lässt, zum Beispiel zum „ersten Kurs“ und was daraus geworden ist, als der Glanz der Illusion abgeblättert ist, nachdem hier die glitzernden Pailletten enthüllt wurde, die sich unter den Jogginghosen verbargen.
Wegschauen ist in diesem so verdichteten Stück nicht drin, das erlauben schon die Bilder von der Bühne nicht, die den Imbiss zum Karussell machen, bei dem der Bus zurück ins Leben einfach nicht ankommen will und das Trio im Chor, gefühlt so eintrainiert in den unzähligen Therapien, seine Antworten gibt, eine besondere dramaturgische Pointe. Die Zuschauer sehen den Horizont, gleich in mehreren Versionen und Buchstabenordnungen, die vier Frauen blicken trotz aller Vorstellungsversuche nicht zu den Bergen oder dem Meer, sondern immer wieder nun auf diese trübe leere Kreuzung vor dem trostlosen Imbiss, der einfach immer das Gefühl von 3 Uhr Nacht vermittelt wie Linn erkannt und wo es nicht „Wunder, Wunder, Wunder“, geben wird wie immer gemeinsam beschworen.
Wo ist die neue Welt, jedenfalls nicht am Horizont. Eine Leinwand macht das liegende Quintett im Großformat sichtbar, das zur Erkenntnis kommt, dass der Körper der Frau immer Politik war und ist und wie möglich gemacht werden solle, dass das eigene Gehirn mit einem zusammenarbeitet. Und ob man Einsamkeit mit einem „3 Kilo-Herz“ bewältigt, dass man sich hier in der Therapie antrainiert hatte.
In vielen Handlungsteilchen, die die Zuschauer durchaus zur Dauer-Aufmerksamkeit fordern, wird in dieser Zeit nach den Jogginghosen der Anstalt, dieser Uniform der Psychiatrie, der Horizont hinter den grauen Häusern über die drei Hinaus erstreckt, die eben nicht für sich allein „krank“ sind oder waren, sondern bald Teil einer Vergangenheit werden, die für Deutschland die Nazi-Zeit meint. Die die Stigmatisierung unserer Zeit gegenüber psychischen Erkrankungen, mit den Denunziationen im Vorhof des letzten Weltkrieges in Verbindung stellt, weil, so eine Erkenntnis, wir davon Längst nicht geheilt sind, da ja jeder mit der Geschichte der eigenen Familie anfangen müsste, wie die Imbissbetreiberin erklärt, während sie die Auskunft, wann nun der Bus „zurück“ nun kommen könnte, schuldig bleiben muss.
Und als der dann kommt und die Frauen wie in einen Lichtkegel hineinzieht, bleibt der Erzähler zurück, der seine Geschichte in diesem Stück genau in die andere Geschichte geht und der allein zurückbleibt mit eben diesem „Hallo?“. Kurz gesagt: die Geschichte geht weiter, auch wenn die drei nun ihr Kapitel abschießen wollen. Der Sprachwitz dieser Aufführung kann freilich die gewaltigen Fragestellungen einfangen, das macht das Stück trotz aller Sprünge zwischen den Ichwelten über diese bewegenden Bilder hinaus zum besonderen Ereignis.
von Oliver Fiedler
Autor:Redaktion aus Singen |
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