Ovationen für "Unter anderen Umständen"
Die Blase der Trauer muss platzen fürs Leben

Sprichwörtlich im Regen stehen gelassen fühlen sich Hanna (Anna Eger) und Kasper (Jasper Diedrichsen) mit dem Tod ihres gemeinsamen Kindes vor der Geburt. | Foto: Ilja Mess/ Theater Konstanz
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  • Sprichwörtlich im Regen stehen gelassen fühlen sich Hanna (Anna Eger) und Kasper (Jasper Diedrichsen) mit dem Tod ihres gemeinsamen Kindes vor der Geburt.
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Konstanz. Eigentlich sind es ja immer freudige Nachrichten, wenn sich neues Leben ankündigt. Die Schwangerschaft wird dann poetisch mit "In anderen Umständen" beschrieben. Auch bei Hanna (Anna Eger) und Kasper (Jasper Diedrichsen) hat es "Upsala" gemacht, die sich bei einem Musikprojekt kennengelernt hatten. Er, der Dirigent, der immer mit seiner Wasserflasche quietschte, wenn er sie quetschte, sie die Celistin. Doch die Schwangerschaft, die die beiden immer näher zueinander bringt, wird ein Ende in einer Tragödie haben, die schon der "Chor der wehklagenden Frauen", gespielt vom "Stadtensemble" des Theaters eingangs ankündigt.

Hannah beschreibt nach all der Euphorie den Moment, in dem sie spürt, dass alles anders wird, als die Schwangerschaft eigentlich "schon fertig" ist. Das Herz hört auf zu schlagen, es stirbt noch in ihrem Bauch. Als sie mit diesem Gefühl ins Krankenhaus geht, ist nur eine Studentin in der Klinik, für die Bestätigung dieser "Stille" muss erst eine Ärztin geholt werden. Damit beginnt für die beiden ein ganz anderes Leben. Die Regeln sehen in solchen Fällen vor, dass eine natürliche Geburt eingeleitet werden soll, um damit Abschied von dem "Sternenkind" nehmen zu können, um die Schwangerschaft abzuschließen. Hannah wollte eigentlich von Anfang an einen Kaiserschnitt.

Nähe und Distanz

Doch drei Tage müsse sie nach der Einleitung warten, sie haben viel gelacht, erzählen sie, aber auch viel geweint. In der spärlich dekorierten Bühne, auf der es nur diesen gemeinsamen Raum zu geben scheint, in dem sie sich ineinander verkriechen, in dem sie sich in ihrem Weg der Trauer voneinander entfernen, wird auch eine neue Einsamkeit deutlich. Als das tote Kind geboren wurde: Die Frage, wie und wo es beerdigen, die kalten Gespräche bei der Bestatterin, die Erkenntnis, dass auch ihr Umfeld, auch die eigene Mutter nun nicht mehr wissen, wie mit dieser Tragödie umzugehen ist. Das treibt die beiden immer mehr in eine Blase, die sie aber zum Platzen bringen müssen, um wieder aus ihrer Tragödie nach vorne schauen zu können.

Verwandte schicken Hannah plötzlich keine Bilder mehr vom eigenen Nachwuchs - einer dieser Nadelstiche. Eine Motte spielt plötzlich eine Hauptrolle, die immer wieder in den Kopf kommt. Sie saß auf der Lampe im Krankenhaus, hat sich in das Hirn von Kasper eingebrannt. Die Trauer eskaliert in heftigen Ausbrüchen, in lauten Konfrontationen. "Wer war schuld?" - bleibt da im Raum stehen, wie wieder nach Hause kommen, in eine Welt, in der vorher noch alles anders war. Wie wieder rauskommen aus dieser Isolation und der Einsamkeit dieser tragischen Zeit? "Draußen geht das Leben einfach weiter", muss Hannah feststellen - und auch die Verschiedenheit der Trauer bewältigen. Sie kann sich nicht mehr ans Cello setzen, er hatte Passagen in der Zeit höchster Anspannung komponiert. Was nun?

Susanne Frieling und Florian Schaumberger, die dieses Stück entwickelt haben, das in der Spiegelhalle des Konstanzer Stadttheaters seine Uraufführung erlebte, haben ein Thema aufgenommen, über das sonst nicht gerne gesprochen wird. Weil es eben das beschreibt, vor dem viele Menschen unglaubliche Angst haben, immer wieder. Immerhin erleidet laut den von den Stückentwicklern erhobenen Daten jede sechste Frau in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Ein Thema, das auch von der Gesellschaft ins "private" verbannt wird und immer über Schuldfragen stolpert - die meist offen bleiben müssen, weil es einfach Schicksal sein kann.
Ihre Inszenierung mit den beiden großartigen Schauspielern im Kreis des Stadtensembles nimmt das Publikum mit auf eine unglaubliche emotionale Achterbahnfahrt, die hier in verdichteten Szenen (Dramaturgie: Carola von Gradulewski) trotz emotional so reduzierter Szenen im Kopf abgehen. Das lässt viele dieser Gefühle anklingen, mit denen die beiden von ihrem Umfeld, aber auch von der Gesellschaft alleine gelassen werden. Das trifft ins Herz. Und: Das kann vielleicht auch etwas verändern im Blick auf die Menschen, die durch die "anderen Umstände" ein Stück ihres Lebens verlieren, was auch nie wieder zurückkommen kann.
Ein Meinstück und ein "Schauspiel" einer so anderen Art, dass man selbst gar nicht mehr wahrnimmt hier im Theater zu sitzen.
"Unter anderen Umständen" wird noch bis 11. Mai in der Spiegelhalle des Theaters Konstanz gespielt. Mehr unter theaterkonstanz.de

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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