Leserbrief über die Verständigung ohne Sprache
Mein persönliches Pfingstwunder

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Zur "Fiedlers Tag" vom 4. Juni wird uns geschrieben: "Seit vielen Jahren engagiere ich mich in der sozialen Beratung von geflüchteten Menschen. Und so ist auch derzeit das Engagement vieler ehrenamtlicher Helfer erneut sehr gefragt. Mit der Ankunft von Kriegsopfern aus der Ukraine ist neben dem Staat auch die deutsche Zivilgesellschaft gefragt, sich für die Versorgung, Unterkunft und Eingliederung derjenigen einzusetzen, die aufgrund der russischen Bomben ihre Heimat verlassen mussten. Und all das klappte von meiner Stelle aus auch wunderbar. Bis vor eineinhalb Wochen…

Ganz kurzfristig rief mich ein Kollege an, ein junger Mann aus der Nähe von Kiew sei hier angekommen und benötige dringend eine erste Orientierung. Das was noch nichts Besonderes, denn solche Situationen sind in der jüngeren Vergangenheit häufig aufgetreten. Insofern empfing ich den Flüchtling Mitte 20 und freute mich, dass ich ihm zumindest bei der Suche nach einer Wohnung und der Vermittlung an die zuständigen Ämter und Behörden würde helfen können. Doch dann stand ich vor einem Problem: Bisher hatten die Geflüchteten mit guten Englischkenntnissen kommuniziert. Aber der bislang als Auszubildender in der Ukraine tätige Mann sprach lediglich Ukrainisch.

Eigentlich war auch das kein Hindernis, denn auf solche Momente waren wir bislang gut vorbereitet. Freiwillige Dolmetscher standen für gewöhnlich zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit und sprangen bei Sprachbarrieren ein. Allerdings schien das dieses Mal anders zu sein: Egal, wohin ich telefonierte, ich bekam dieselbe Auskunft. Derzeit war kein Übersetzer vorhanden und die Nutzung einer etwaigen App wollte auch nicht wirklich gelingen. Seine wichtigsten Daten konnte mir Dimitri (Name geändert) auf ein Blatt Papier schreiben. Allerdings standen wir dann vor einer echten Hürde: Wie sollte ich alle Informationen übermitteln, wenn meine Kenntnisse bei Englisch und Französisch endeten, mein Gegenüber neben seiner Muttersprache aber lediglich ein paar Brocken Polnisch konnte?

Tatsächlich kann ich heute kaum noch schildern, was dann passierte. Aber es erinnerte mich an das Pfingstwunder: Dimitri und ich kämpften uns durch die wichtigsten Grundlagen für einen Neustart in Deutschland nach der Flucht aus der umkämpften Ukraine. Mit Händen und Füßen, Schreiben und Malen, einer Übersetzungs-Software und dem peniblen Versuch meinerseits und seinerseits, anhand der Worte des Anderen zumindest einzelne Wörter zu verstehen und zu deuten, mühten wir uns knapp drei Stunden durch Adressen, einen Dschungel an Paragrafen und Vorschriften und die nötigsten Angaben, die es Dimitri doch möglich machten, sich auf den Weg zum zuständigen Ansprechpartner zu machen.

Obwohl man die Sprache des Mitmenschen nicht kennt, scheint man sich verständigen zu können. So war es auch, als die Jünger am 50. Tag nach Ostern zu jener Zeit auf die Apostel trafen und gemeinsam Schawuot – das jüdische Wochenfest – zelebrierten. Nachdem Jesus seinen Jüngern bereits am Abend des Ostertages erschienen war und ihnen den Geist Gottes einhauchte (Joh 20,19-23), erzählt die Apostelgeschichte (Kap. 2, Vers 3 -13), dass am Pfingsttag die Begebenheit der „Zungen wie von Feuer“ auf die versammelte Gesellschaft herabkam und die Jünger die Apostel in ihrer eigenen Sprache reden hörten – obwohl sie sie eigentlich weder verstanden, noch zu sprechen beherrschten. Sie waren vom Heiligen Geist beseelt worden, der Brücken überwand und sie somit einander näherbrachte.

Ein Fest der Verständigung – wann könnte es passender sein als in Kriegszeiten! Ein Zufall, dass das Markusevangelium in Kapitel 1, Vers 10 den Geist als (Friedens-)Taube beschrieb, die sich bei der Taufe Jesus auf ihn setzte? Was als Geburtsstunde der Kirchen interpretiert wird, ist ein Augenblick der Versöhnung. Immerhin kann Sprache die Menschen über Grenzen der Völker hinweg verbinden – wenn wir einander zuhören und uns bemühen, die Botschaft des Gegenübers entsprechend zu erfassen. Auch bei meiner Begegnung mit Dimitri wirkte der Heilige Geist, davon bin ich überzeugt. Auch ich konnte ihn mit einer frohen Kunde in die Welt entlassen: Er ist nun in Sicherheit, wir werden uns um ihn kümmern und ihm ermöglichen, in Deutschland ein neues Leben beginnen zu können.

Während die Jünger der Verkündigung der christlichen Nachricht lauschten und sie danach verbreiteten, sind es auch heute die Rufe nach dem Ende der Gewalt, welche wir zum Pfingstfest unter die Gemeinschaft bringen sollten. Ich bin mir sicher, das Symbol der Taube wird in allen Herren Ländern gleich aufgefasst und gilt als Ermutigung und Auftrag, die friedenstiftenden Aspekte der Religionen zu Pentakoste hervorzuheben und auch dorthin zu tragen, wo derzeit noch immer Hass, Zwietracht und Missgunst herrschen.

Nein, ich glaube nicht daran, dass Putin dadurch seinen Feldzug beenden wird. Und doch setzen wir ihm als Christen mit Pfingsten einen Moment der Einigkeit aller Zivilisationen guten Willens entgegen. Gottes Geist wirkt unverhofft und überraschend. Er überwindet Grenzen dort, wo niemand sie für möglich hielt. Er befähigt uns, einander zu verstehen. Gerade das brauchen wir jetzt, wenn Gesprächskanäle zugeschüttet sind und die Diplomatie für den Frieden an ihr Limit gekommen ist. Zwischen mir und Dimitri hat die Kommunikation auf merkwürdige Weise funktioniert. Warum nicht auch anderswo?"
Dennis Riehle, Konstanz

Autor:

Redaktion aus Singen

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