CDU-MdB Andreas Jung nach Austausch mit Pflege-Verantwortlichen: Ja zur Umsetzung, zuvor aber Klärung offener Fragen.
Pflege-Impfgesetz: »Gut gemeint, aber nicht gut gemacht!«
Konstanz. Die bald zu vollziehende einrichtungsbezogene Impfpflicht für Pflegeberufe und dort Beschäftigte, sorgt besonders durch die Ankündigung von Markus Söder, diese Aussetzen zu wollen, auch hierzulande für Diskussionen und offene Fragen. Diesbezüglich lud Andreas Jung, Mitglied des Bundestages für die CDU im Wahlkreis Konstanz, zu einem digitalen Austausch ein.
Insbesondere auf Drängen der Länder hatte der Bundestag am 10. Dezember mit den Stimmen der Ampelkoalition und der CDU/CSU-Fraktion die Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal zum 15. März beschlossen. CDU-MdB Erwin Rüddel forderte in der Debatte zudem die Ausdehnung der Impfpflicht auf das Personal in Kitas und Schulen. 10 Stunden später beschloß auch der Bundesrat in einer Sondersitzung einstimmig das vorgelegte Gesetz, mit den Stimmen Bayerns. Alle waren sich einig, das Leben älterer Menschen mit schwachem Immunsystem in den Heimen und Pflegeeinrichtungen durch eine einrichtungsbezogene Teil-Impfpflicht und ein Arbeitsverbot für nicht immunisiertes Personal zu schützen.
Mit seiner Ankündigung am Dienstag, dieses auch mit seiner Stimme beschlossene Gesetz bis auf Weiteres »de facto« nicht umzusetzen, vollzog Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nun eine abrupte Kehrtwende. Dafür gab es Unverständnis und Kritik, denn im neu eingefügten Paragraf 20a des Bundes-Infektionsschutzgesetztes steht bereits im ersten Absatz abschließend, dass Mitarbeitende in medizinischen Einrichtungen und Pflegeheimen vom 15. März an geimpft oder genesen sein müssen. Dem Präsident des Bundessozialgerichtes, Rainer Schlegel, zufolge, kann deshalb kein Bundesland die Impfpflicht aussetzen - die Impfpflicht gilt per Gesetz und alle Bundesländer sind zur Bundestreue verpflichtet.
So hatte noch letzten Freitag die Münchener Staatskanzlei einen CSU-Landrat angemahnt, das Gesetz aus guten Gründen nicht in Frage zu stellen - vorgetragene Bedenken seien ja bedacht worden. 4 Stunden nach Söder stellte sich nun auch der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Namen der Parteispitze hinter den Freistaat-Ministerpräsident.
Söder selbst hatte noch vor Jahresfrist geklagt, dass es zu viele Impfverweigerer unter dem Pflegepersonal gäbe und den Ethikrat aufgefordert, Vorschläge hinsichtlich einer Gruppen-Impfpflicht zu machen, denn in den Pflegeheimen ginge es schließlich »um Leben und Tod«.
Merz indes forderte nun ebenfalls die Aussetzung der Teil-Impfpflicht, weil arbeits-und sozialrechtliche Folgen für die Beschäftigten und Folgen für die Betriebe nicht bedacht worden seien und die Bundesregierung beide Seiten damit alleine lasse. Während CDU-geführte Bundesländer wie NRW und Schleswig-Holstein grundsätzlich am Gesetz und dessen Umsetzung festhalten, forderte gestern auch die CDU in der Stuttgarter Koalition dessen Aussetzung, was zu einer Donnerstags-Krisensitzung in der Landesregierung führte. Hier ruderte CDU-Innenminister Strobl nun zurück - man werde das Gesetz auch in BaWü umsetzen und offene rechtliche Fragen in einer Arbeitsgruppe klären.
Auf diesem Hintergrund lud CDU-MdB Andreas Jung zeitgleich zu einem digitalen Austausch mit Vertretern von Kommunen und Einrichtungen der pflegerischen und medizinischen Versorgung sowie MdB Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und MdL Stefan Teufel, Sprecher der CDU-Landtagsfraktion für Soziales, Gesundheit und Integration, ein. Letzterer sieht die Teil-Impfpflicht eingebettet in eine allgemeine Impfpflicht und will offene Fragen bei der Umsetzung vorab geklärt sehen. MdB Sorge verlangt über die aktuelle Debatte hinaus, die Konkretisierungen und Härtefallregelungen brauche, nach weiteren Perspektiven und Öffnungsszenarien und fragt sich angesichts eines möglichen Abflachens, ob wir überhaupt eine Impfpflicht brauchen.
Singens Bürgermeisterin Ute Seifried empfindet das Ergebnis der Vorbereitung des Gesetzes als »Desaster«, da handwerkliche Fragen vorab wohl nicht geklärt wurden, danach sei monatelang nichts geschehen. Sie wünscht sich mehr Nähe der Abgeordneten zu den Praktikern vor Ort, warnt vor einem weiteren Verlust von Pflegekräften, sieht aber auch eine Demontage unseres Rechtsstaates durch Missachtung geltender Regeln, so durch "Spaziergänger".
Caritas-Vertreter Oliver Kuppel fragt sich, wie Betriebe angesichts 10-19 Prozent impfunwilliger Pflegekräfte und Selbstkündigungen nach dem 15. März aufrecht erhalten werden können, gerade für Behinderte, Alte, Sterbende. Das Gesetz sei »gut gemeint, aber nicht gut gemacht«, löse Dramatik beim Personal und Ängste bei den Bewohnern aus und lasse wenig Hoffnung zu, dass Gesundheitsämter Ausnahmen bei Ungeimpften genehmigen.
Elke Gundel von der im Landkreis tätigen Stiftung Liebenau mahnte nun schnelle Entscheidungen der Politik an - die Diskussion erschwere es Interessierten, in die Berufe zu gehen.
Ein »Imageproblem« für die Branche fürchtet auch Gisela Meßmer vom Pflegezentrum St.Verena in Rielasingen und dies gerade angesichts bereits begonnener Erweiterungen der Einrichtung ob unserer demografischen Entwicklung.
Matthias Frank, Heimleiter im Singener Michael-Herler-Heim, hat einen etwas anderen Blick und sieht »keine großen Abwanderungsgedanken« beim Personal, erinnert aber an den allgemeinen Fachkräftemangel und appelliert an die CDU, jetzt nicht in einen »Oppositionsreflex« zu verfallen.
Nach Urs Brun vom Diakonischen Werkt mit dem »Haus am Hohentwiel« belastet die Umsetzung von Verwaltungsvorschriften zunehmend das Tagesgeschäft. Dies bestätigt Erika Fuchs von der Margarete Blarer gGmbH, wo zwei Pflegekräfte nun in die Schweiz gehen. Sie hält die aktuelle Debatte der Landespolitiker für »unsäglich peinlich«, es sei unklar, was passiert.
Jung, der Versäumnisse beim Gesetzesverfahren einräumt, steht - im Gegensatz zu Söder’s angekündigtem Boykott - zur Umsetzung des Bundesgesetzes, besteht aber zuvor auf einer Konkretisierung und Klärung offener Fragen, die aber bereits am Freitag in einer Sondersitzung erörtert werden sollen. Wie MdL Teufel, der eine Pflege-Enquète-Kommission ankündigte, sieht auch Jung, dass grenzüberschreitende Regelungen in unserer 3-Länder-Region nötig, aber noch nicht gelungen sind.
Für Dr. Stefan Bushuven vom Gesundheitsverbund des Landkreises ist die Kommunikation mit den noch Ungeimpften zentral, denn Geimpfte haben besseren Schutz vor schwerem Verlauf und vor Tod. Viele Fälle seien durch den der Aufbau von Immunschutz verhindert worden, so Buskoven: »Impfung rettet Leben und Lebensqualität.«
Offen blieb am Ende die Frage, wie wohl mit einem Heim im Landkreis verfahren werden kann, in dem nur 20 Prozent der Pflegekräfte geimpft sind. Das gibt es wohl wirklich.
- Bernhard Grunewald
Autor:Redaktion aus Singen |
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