Ajmal Farman aus Engen spricht über die Lage in Afghanistan
»Wie ein schlechter Traum«
Engen. Die Bilder aus Afghanistan sorgen weltweit für Bestürzung. Verzweifelte Menschen fürchten um ihr Leben und wollen das Land verlassen, seit die Taliban die Herrschaft übernommen haben. Seit Donnerstag hat die Bundesregierung ihre Evakuierungsmission von Bundesbürgern, Ortskräften und gefährdeten Personen eingestellt. Das Wochenblatt sprach über die Situation in Afghanistan mit Ajmal Farman, Vorsitzender von »Unser buntes Engen«.
Farman stammt aus Afghanistan, lebt seit 1988 in Deutschland und seit 2004 in Engen. Er versucht Menschen bei der Flucht aus dem Land am Hindukusch mit seinen Möglichkeiten zu helfen.
Wochenblatt: Was war Ihr erster Gedanke als Sie von der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gehört haben?
Ajmal Farman: »Ich dachte, das ist ein schlechter Traum, das kann nichts mit der Realität zu tun haben und wenn ich aufwache, ist es vorbei.«
Wochenblatt: Sie haben noch Freunde und Familie in Afghanistan, wie haben die reagiert?
Ajmal Farman: »Sie haben sich schnell gemeldet und auch ich habe Kontakte aufgebaut um nachzufragen, wie es ihnen geht und was sie brauchen.«
Wochenblatt: Wie können Sie diesen Menschen von Engen aus helfen?
Ajmal Farman: »Wir haben verschiedene Kontakte über Bekannte, Familie und Verwandte und wir nehmen alle Möglichkeiten in Anspruch um zu vermitteln, damit diese Menschen in Sicherheit gebracht werden und auch einen Weg finden, sich zu retten indem sie Afghanistan verlassen.«
Wochenblatt: Wie schätzen Sie die Situation heute ein, auch nachdem die Evakuierungsmission von der Bundesregierung beendet wurde?
Ajmal Farman: »Die Evakuierung war sicher eine wichtige Maßnahme, um die ausländischen Kräfte und die mit ihnen verbunden Personen zu unterstützen. Aber die anderen Menschen, die diese Möglichkeiten nicht hatten, die bleiben auf der Strecke, sie sind nun großen Gefahren ausgesetzt.«
Wochenblatt: Was lief verkehrt bei der Aktion Afghanistan, was wurde falsch eingeschätzt, was falsch gemacht?
Ajmal Farman: »Um diese Frage korrekt beurteilen zu können, muss man sich die Frage stellen: Wer sind die Taliban? Wer steckt dahinter, wo waren sie in den vergangenen 20 Jahren und woher haben sie diese Stärke? Man hat 20 Jahre lang mit allen Mitteln eine Regierung und ein Militär aufbauen wollen, um die Zukunft nachhaltig zu sichern. Doch dann schafft es eine Gruppe, ein ganzes Land innerhalb weniger Tage einzunehmen.«
Wochenblatt: Was hätte man besser machen können von deutscher Seite?
Ajmal Farman: »Ich denke, es ist immer ganz wichtig, das Große und Ganze zu betrachten. Deutschland hat viel richtig gemacht und punktuell gute Einzelarbeiten geleistet. Aber nun wurde deutlich, dass in den vergangenen 20 Jahren alles in den Händen der Amerikaner lag, die federführend waren. Ohne die USA lief gar nichts, nach dem Abzug der US-Truppen waren auf einmal auch die anderen Länder weg. Wenn das Große wegbricht, hat man keine Chance etwas zu bewegen. Das zeigte sich auch bei der Evakuierung.
Was letztendlich die Amerikaner für Ziele verfolgen, das ist leider für die Welt alles andere als transparent. Während die Amerikaner anfangs Stabilität und Demokratie in Afghanistan aufbauen wollten, spielen jetzt diese Faktoren keine Rolle mehr. In seiner jüngsten Rede sprach der amerikanische Präsident dann aber davon, dass es Amerika nur darum ging, Al-Qaida zu vernichten und die terroristische Gefahr gegen Amerika zu verhindern. Dies ist ja doch schon vor zehn Jahren geschehen, also hätten die Amerikaner damals schon abziehen müssen, oder?
All dies zeigt keine Verlässlichkeit. Deshalb war viel Gutes – auch von Deutschland – leider vergebens, weil das Große nicht gestimmt hat.«
Wochenblatt: Was muss man jetzt tun, um den Menschen in Afghanistan zu helfen, nachdem sich die Lage nach den Anschlägen am Kabuler Flughafen weiter zuspitzt?
Ajmal Farman: »Das Wichtigste sind jetzt Verhandlungen. Klar, die Taliban sind eine Gruppierung, die früher schon ihr wahres Gesicht bezüglich der Menschen- und besonders der Frauenrechte gezeigt haben. Die bittere Wahrheit ist: die Tailban haben jetzt das Sagen. Doch sie ganz zu akzeptieren, entspräche nicht unserem Anspruch auf ein freies Leben in Afghanistan. Dennoch müssen wir jetzt mit den Taliban und afghanischen Vertretern verhandeln, um dem Land Strukturen zu geben bis wieder eine eigene Regierung gebildet werden kann.«
Wochenblatt: Wie können Sie konkret helfen?
Ajmal Farman: »Es gibt unzählige Menschen, die den Weg raus aus Afghanistan suchen. Bisher war nur der Flughafen das Tor dazu und das war – wie die jüngsten Anschläge zeigen – ein gefährliches Pflaster. Nun gibt es dort Menschen mit Verbindungen zu internationalen Organisationen, aber auch andere, die das Recht haben zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Bei der ersten Gruppe versuche ich Dokumente zusammenzustellen und an die richtigen Stellen weiterzuleiten, damit diesen Menschen geholfen wird.
In Engen haben wir viele Asylbewerber begleitet, die in Deutschland kein Asyl bekamen, weil Afghanistan als sicheres Herkunftsland galt. Sie kehrten mit Unterstützung zurück und wollten sich in ihrer Heimat etwas aufbauen. Auch sie stehen nun wieder mit leeren Händen da, kontaktieren uns und wollen zurück nach Deutschland.
Ganz aktuell schickte mir eine Familie mit vier Kindern aus Kabul Unterlagen. Der Vater war ein Jahr in Engen, kehrte 2016 freiwillig zurück und fühlt sich nun durch die Taliban bedroht, wie ein Schreiben zeigt.«
Wochenblatt: Rechnen Sie wieder mit Ablehnung gegenüber zu erwartenden Flüchtlingen?
Ajmal Farman: »Die Gesellschaft hier ist schon gespalten. Einige werden fragen: Warum sollen wir diesen Menschen helfen? Das geht uns doch nichts an. Mit dieser Einstellung werden wir sicher konfrontiert. Doch da helfen nur Gespräche und Aufklärung, oft sind wir gar nicht so weit auseinander mit unseren Meinungen.«
Wochenblatt: Welchen Schluss ziehen Sie aus den letzten Erfahrungen?
Ajmal Farman: »Wichtig ist es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und eine ordentliche Aufklärung zu betreiben. Wichtig ist auch, die Taliban zu begreifen mit ihrer großen politischen und militärischen Macht.
Bei uns hier in Deutschland, glaube ich, wurde die Situation in Afghanistan unterschätzt. Nun hoffe ich, dass die geflüchteten Afghanen über Folgeanträge neue Chancen auf Bleiberecht erhalten und sie jetzt besser akzeptiert und verstanden werden.«
Autor:Ute Mucha aus Moos |
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