Markelfinger Sommergespräch mit Dr. Ulrich Schneider, Paritätischer Gesamtverband
Nicht aufgeben - Klartext reden!

Sommergespräch Markelfingen  | Foto: Hart, aber herzlich: Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband im Gespräch mit Stephan Schmutz (Mitte) und Bernd Löhle (rechts) .swb-Bild: Grunewald
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Markelfingen. Die zahlreichen Besucher auf der Terrasse des Markelfinger Naturfreundehauses erlebten im Rahmen des Sommergesprächs von Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband einen Abend voller Gegensätze: ein herrlicher Sonnenuntergang über der Markelfinger Bucht, ein friedvoller Tagesausklang einerseits - aber wenig Herrliches und Friedvolles, was Ulrich Schneider im Gespräch mit Moderator Stephan Schmutz über die zunehmend ungleiche Verteilung von Armut und Reichtum in Deutschland zu berichten wusste. Bernd Löhle, Vorsitzender im Paritätischen Kreisverband Konstanz, wies bereits in seiner Begrüßung auf Verwerfungen im Arbeitsmarkt hin und kritisierte die Entwicklung im Wohnungsmarkt: »Bis zu 70 Prozent der Stellenangebote laufen heute über Leiharbeit, früher undenkbar, und von ehemals 2,7 Millionen Sozialwohnungen sind gerade mal 1,2 Millionen. übriggeblieben, Tendenz sinkend, so dass immer mehr Normalbürger betroffen sind«.

Bekannt von unzähligen Interviews und Auftritten in prägenden Talk-Sendungen von Anne Will bis Maybritt Ilner, nahm auch Schneider kein Blatt vor den Mund: »Deutschland fällt zunehmend auseinander - wir entwickeln Parallelwelten, wobei zehn Prozent unserer Bevölkerung 75 Prozent des Reichtums auf sich vereinigen, während 40 Prozent der hier lebenden Menschen Schulden haben.« Schneider, Autor des Buches »Kein Wohlstand für alle?«, erinnerte an 186 Prozent Einkommenszuwachs im DAX-Bereich, während der Niedriglohnsektor 15 Prozent Einkommen verlor. Zudem kritisierte er, »dass in obszöner Weise riesige Vermögen angehäuft und vererbt wurden«, ohne dass eine Vermögenssteuer auch starke Schultern einschloss, um Beiträge für unsere Gesellschaft zu leisten. Dem stünden teils marode, unterversorgte Schulen und geschlossene Schwimmbäder entgegen, so dass erstmals eine Generation von Kindern heranwüchse, die nicht mehr schwimmen lernen könne. Und er erinnerte an eine Zeit in Deutschland, in der in der Pflege keine Gewinne gemacht werden durften und Kommunen eine eigene Wasserversorgung zur Daseinsversorgung der Bevölkerung betrieben.

Der Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung erhalte zwar viel gute Elemente im Bereich Pflege, Wohnen, Bildung, Kindergärten, aber es fehle an einem Steuerkonzept zur Finanzierung unseres Sozialstaates. »In zehn Jahren haben wir keine Sozialwohnungen mehr«, so Schneider. »Statt 6,4 Milliarden jährlich fliesst nur eine Milliarde in diesen Bereich«. Trippelschritte sieht er auch im Pflegebereich, wo die beabsichtigte Schaffung von zusätzlich 7.000 Stellen einem tatsächlichen Bedarf an 100.000 Stellen bis 2030 entgegenstünde. Rentenvorschläge von Finanzminister Olaf Scholz, unser Rentensysstem auch für die Jahre 2020 bis2030 bei 48 Prozent zu stabilisieren, hält der Pritätische zwar für löblich, beharrt aber auf 53 Prozent, was durchaus finazierbar wäre, so Schneider, um den Älteren unter uns ein Leben in Würde statt Armut zu ermöglichen.

Dies gelte auch in Hinblick auf die absehbare Situation in Griechenland: Niemand sei neidisch auf Griechenland, bei 70 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und einem rigoros durchgesetzten Sparprogramm, hauptsächlich, um den Banken leichtfertig vergebene Schulden zurückzubezahlen: »Wenn man für Menschen ist, ist man für Menschen überall, nicht nur in Deutschland«, rief Schneider unter dem stärksten Beifall des Abends. Und Geflüchtete dürften auch keine Sündenböcke sein, immerhin sei ein Drittel bereits Steuerzahler und sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Er glaubt auch nicht an Alternativlosigkeit in der demokratischen Diskussion um politische Grundsatzfragen und will Kritiker nicht ins Abseits gestellt sehen, fordert eine neue Aufklärung, ein neues Denken, was sich hart an Realitäten orientieren soll, sieht aber auch die Grenzen von politischem Handeln enger gesetzt als früher. Immerhin mache sein Verband kontinuierlich Druck, um die Situation von Millionen Menschen in unserem Land zu verbessern: »Und das ist der Weg - immer dranbleiben, einfache Wahrheiten klar ausdrücken, gute Vorschläge machen, um Mehrheiten ringen, auch mal auf die Nerven gehen!« Positive, nachdenkliche Botschaften am Ende eines klug geführten Gespräches mit Stephan Schmutz und vielen fragenden Anwesenden.

Bernhard Grunewald

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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