Initiative macht den 17. Juni zum »Tag der offenen Gesellschaft«
Demokratie lebt von ihrer Offenheit

Harald Welzer offene Gesellschaft | Foto: Professor Harald Welzer ist einer der Initiatoren des »Tag der offenen Gesellschaft« am 17. Juni. swb-Bild: Wolfgang Schmidt
  • Harald Welzer offene Gesellschaft
  • Foto: Professor Harald Welzer ist einer der Initiatoren des »Tag der offenen Gesellschaft« am 17. Juni. swb-Bild: Wolfgang Schmidt
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Berlin. Professor Dr. Harald Welzer ist Mitbegründer der Initiative Offene Gesellschaft in Berlin. Er lädt dazu ein, am bundesweiten Tag der offenen Gesellschaft, dem 17 Juni, gemeinsam zu tafeln, um ein international sichtbares Zeichen für Gastfreundschaft, Vielfalt und Freiheit zu setzen.
Herr Welzer, Sie sorgen sich um die offene Gesellschaft. Glauben Sie, dass die Deutschen immer verschlossener werden?
Nein. Ich glaube eigentlich, dass die große Mehrheit in den vergangenen Jahrzehnten immer offener geworden ist. Aber es gibt diverse neue rechte Angriffe auf die offene Gesellschaft und das sollte Anlass zur Besorgnis geben.
Was genau verstehen Sie unter einer offenen Gesellschaft?
Die offene Gesellschaft ist die Form des demokratischen Verfassungsstaates, wie wir ihn haben. Sie muss nicht erfunden werden, denn es gibt sie auf der Basis des Grundgesetzes. Stattdessen geht es darum, sie stärker zu kommunizieren und zu verteidigen gegen falsche Vorstellungen davon, wie eine moderne Gesellschaft aussieht und funktioniert.
Welche falschen Vorstellungen meinen Sie?
Eine offene Gesellschaft ist zum einen nicht eine Multikulti-Bunter-Teller-Gesellschaft, die sich keine Rechenschaft darüber ablegt, was ihre gesetzlichen Standards sind. Sie ist zum anderen aber auch nicht das, was von rechten Gruppierungen als der »Untergang des Abendlandes« bezeichnet wird. Die offene Gesellschaft ist die Form von europäischer Nachkriegsgesellschaft, die den Menschen Freiheit und dabei enorm hohe Sicherheit garantiert.
Heißt offen nicht auch weniger sicher?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man das historisch betrachtet, haben wir nirgendwo mehr Lebenssicherheit für den Einzelnen. Deshalb ist es total falsch, wenn manche Politiker Freiheit gegen Sicherheit ausspielen. Einfaches Beispiel: Sie leben heute in der Türkei sicherlich wesentlich unsicherer als in der Bundesrepublik – einfach deswegen, weil sie dort jederzeit von staatlicher Willkür abhängen können. Das ist im Rechtsstaat nicht möglich.
Wie ernst nehmen Sie das Sicherheitsbedürfnis der Menschen?
Das Sicherheitsbedürfnis ist völlig legitim. Wir haben vom internationalen Terrorismus bis hin zu unterschiedlichen Kriminalitätsraten durchaus Aspekte, die verunsichernd wirken. Aber man muss auch daran erinnern, dass es noch nie so sicher war zu leben wie heute. Häufig entsteht durch mediale Effekte eine große Unsicherheit.
Warum ist eine offene Gesellschaft so wichtig?
Weil wir es als Privileg begreifen können, in so einer Gesellschaft zu leben. Hier hat jeder die Freiheit, zu leben, wie er möchte. Jeder kann mitgestalten – verbunden mit der rechtlichen Sicherheit, dass man keiner Willkür unterworfen ist. Zusätzlich leben wir in einer Gesellschaft mit dem höchsten Lebensstandard, den es je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.
Wie kann man zum Erhalt der offenen Gesellschaft beitragen?
Es gibt in diesem Jahr ein erstaunlich erhöhtes Politikinteresse, was sich an der gesteigerten Wahlbeteiligung deutlich macht, aber auch an Initiativen wie unserer – wahrscheinlich auch angestoßen durch das schlechte Beispiel von Donald Trump. Das braucht eine offene Gesellschaft: Ein aktives politisches Gemeinwesen, Leute, die sich einmischen.
Was genau planen Sie am 17. Juni?
Wir planen ein bundesweites Ereignis, das symbolisch für die offene Gesellschaft steht. Stattfinden soll deutschlandweit in der Summe ein riesengroßes Dinner, zu dem alle – von Privatleuten über Institutionen bis hin zu Unternehmen – um 17 Uhr ihre Tische und Stühle rausstellen und Menschen zum Essen einladen. Zu diesem Essen veranstalten sie Events rund um die offene Gesellschaft, die von Debatten über Performances bis hin zu Konzerten reichen. Es wäre doch toll, wenn dieses Ereignis das größte Dinner der Welt für die offene Gesellschaft würde!
Wie kann man mitmachen?
Man kann mitmachen, indem man sich selbst mit seinen Freunden, seinen Arbeitskollegen oder mit der Firma mit einer Tafel beteiligt und diese auf www.die-offene-gesellschaft.de/17juni anmeldet. Dort ist auch zu sehen, wer wo mitmacht. Die Durchführung obliegt jedem selbst, wir geben die logistische Hilfestellung. Toll wäre, wenn die Leute an den Tischen darüber nachdenken würden, was die nächste Aktion für die offene Gesellschaft sein könnte. Es gibt Tischdecken mit unserem Logo drauf, die man sich an 100 Stellen deutschlandweit abholen kann. Auf diese könnte man seine Ideen schreiben. Wir wollen einen Fonds einrichten, um die tollsten zu prämieren.
Welche Rolle spielen Medien in einer offenen Gesellschaft?
Medien im modernen Sinne gibt es überhaupt nur in einer offenen Gesellschaft, weil nur dort Meinungs- und Pressefreiheit herrschen. Die Rolle von seriösen Medien ist von zentraler Bedeutung, weil man dort geprüfte und umfassende Informationen, Kommentare und Deutungen bekommt.
Wie können Anzeigenblätter zu einer offenen Gesellschaft beitragen?
Für viele Menschen spielen sich die wesentlichen Teile ihres Lebens im sozialen Nahbereich ab. Anzeigenblätter haben die enorm wichtige Funktion, über das zu berichten, was sich vor Ort abspielt, besonders im Bereich lokaler Politik und des ehrenamtlichen Engagements.
Weitere Informationen gibt es unter www.die-offene-gesellschaft.de/17juni sowie in Professor Dr. Harald Welzers Buch: Wir sind die Mehrheit. Für eine offene Gesellschaft (FISCHER Taschenbuch)

Das Interview führte Stefanie Roloff

(Quelle: BVDA).

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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