Antwort auf den Leserbrief zum Thema mangelnde Transparenz von Jürgen Spreemann
Wieder mehr Vertrauen gewinnen

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Stockach-Wahlwies. Die Redaktion des WOCHENBLATTs erreichte ein Antwortschreiben auf einen Leserbrief von Jürgen Spreemann, der in der WOCHENBLATT Ausgabe 18 vom 29. April sowie hier online erschienen ist:

»Sehr geehrter Herr Spreemann, Sie führen in ihrem Brief vom 29. April aus, dass die von der Regierung getroffenen Entscheidungen bezüglich der Corona-Schutzmaßnahmen aus ihrer Sicht nicht transparent und verständlich genug waren. Vor allem stellen sie die Frage, warum von Beginn an nicht weitere Wissenschaftler bezüglich den schwierigen Entscheidungen hinzugezogen wurden? Dieser Behauptung möchte ich widersprechen.

Es stimmt, dass die Professoren Drosten und Wieler, zwei der bekanntesten Virologen Deutschlands, von Beginn an zu den engsten Beratern der Bundesregierung gehörten. Prof. Drosten ist Mitentdecker des SARS-Coronavirus. 2003 entwickelte er den ersten diagnostischen Test für das Corona-Virus. 2012 forschte er am MERS-CoV-Virus mit und entwickelte einen weiteren Standardtest. Für das derzeit grassierende neue SARS-CoV-2-Virus entwickelte er Anfang 2020 einen genbasierten Test, der derzeit weltweit zur Diagnostik eingesetzt wird.

Prof. Wieler ist Leiter des Robert-Koch-Instituts, der obersten Seuchenbehörde des Landes, und forschte jahrelang in seiner wissenschaftlichen Karriere im Bereich von Tierseuchen. Was spricht also dagegen, von Beginn an auf zwei so profilierte und anerkannte Experten in ihrem Fachgebiet zu hören, und ihre Expertise in politische Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen? Des Weiteren entspricht es nicht den Tatsachen, dass die Politik nur auf diese beiden Experten bezüglich der verhängten Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Pandemie gehört hätten.

Am 21.März veröffentliche eine fachübergreifende Arbeitsgruppe der Leopoldina Akademie eine Ad-hoc Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis kommt, „dass die von der Bundesregierung und den Bundesländern ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Coronavirus-Pandemie derzeit dringend erforderlich sind.“ Dieser Arbeitsgruppe gehörten neben Epidemiologen auch Staatsrechtler, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Psychologen an (insgesamt 26 Personen).

Am 13.04. veröffentlichte die Helmholtz-Gemeinschaft eine weitere fachübergreifende Stellungnahme „mit dem übergeordneten Ziel, den sukzessiven Ausstieg aus den Kontaktbeschränkungen zu erreichen, ohne die erreichten Zwischenziele zu gefährden und ohne die Kontrolle über das Virus zu verlieren.“
Die Stellungnahmen dieser beiden anerkannten Akademien wurden bei der Entscheidungsfindung der Regierung miteinbezogen, wie man in diversen Medien nachlesen konnte. Warum erwähnen Sie das nicht bei Ihrer Argumentation bezüglich einer„Vielfalt und Transparenz der Experten-Meinungen“?

Stattdessen erwähnen Sie den hoch umstrittenen Prof. Bhakdi, als „einen der kompetentesten Fachleute auf dem Gebiet der Virologie und Epidemiologie.“ Auch dies stimmt so nicht. Prof. Bhakdi ist seit 2012 im Ruhestand. Er hat nie auf dem Gebiet der (Corona-)Viren geforscht, sondern auf dem von Bakterien, Malaria und Dengue-Fieber. Doch vor allem sind die Thesen eines Prof. Bhakdi zu Covid-19 aus wissenschaftlicher Sicht allesamt höchst fragwürdig bis irreführend. Zu dieser Einschätzung kommen Medien wie dpa oder die Süddeutsche Zeitung, nachdem sie seine Aussagen einem Fakten-Check unterzogen haben.
Als Beispiel sei hier nur Prof. Bhakdis Aussage aufgeführt, „dass die Gründe der relativ hohen Todesraten in Italien und China als Gemeinsamkeit beider Länder der horrenden Luftverschmutzung geschuldet sei, welche die Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf die Lunge verstärke.“ Diese Behauptung entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage.

Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass Prof. Bhakdis Thesen auf wenig Widerhall bei staatlichen Stellen stoßen und die Verbreitung seiner Thesen sich auf eher dubiose YouTube-Kanäle beschränkt.
Am Ende Ihres Leserbriefes machen Sie noch eine ominöse Andeutung, „wieviel wohl die Pharmaindustrie an dieser gesellschaftlichen Katastrophe verdienen wird?“ Wegen eines Impfstoffes, an dem gerade geforscht wird? Solch eine Anspielung impliziert für mich eher, dass es einen geheimen Plan der Regierung mit dieser Industrie gibt.

Solche undurchsichtigen Andeutungen, Halbwahrheiten und Thesen, die bei näherer Betrachtung alle keiner faktischen Überprüfung standhalten, halte ich in der jetzigen Situation, in der die Mehrheit der Bevölkerung sowieso schon verunsichert ist, für brandgefährlich. Warum? Weil sie noch mehr Verunsicherung und Misstrauen auslösen. Wem kann ich noch etwas glauben? Kann ich überhaupt noch den Aussagen von staatlichen Stellen Vertrauen schenken?

Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen berechtigter, sachlicher Kritik an den verhängten Maßnahmen bezüglich Kontakt- und Freiheitsbeschränkungen und gezielten Vereinfachungen und Verdrehungen von Sachverhalten und Aussagen von anerkannten Experten. Es ist das Wesen unsere Demokratie, verschiedene Meinungen und Vorschläge anzuhören, in einem sachlichen Diskurs um einen Kompromiss zu ringen, der möglichst allen Interessengruppen gerecht wird. Aber eben auf den Boden von Tatsachen und Fakten, so meine Überzeugung.

Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Krise nur dann lösen, wenn wir wieder mehr Vertrauen gewinnen: in uns als Gemeinschaft, in eine seriöse Wissenschaft, einen unabhängigen Journalismus und letztlich auch in demokratische Institutionen.«

Oliver Domröse, Wahlwies

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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