Dr. Wolfgang Schäuble spricht in Stockach über Euro, Europa und Emotionen
Ein Volksvertreter nahe am Volk

Foto: Finanzminister Wolfgang Schäuble sprach in Stockach. swb-Bild: Weiß
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Stockach (sw). Er ist ein Politprofi durch und durch. Ein Vollblutpolitiker: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach bei seinem Besuch im Stockacher Bürgerhaus »Adler Post« frei, ohne Gedächtnisstützen, ohne »Ähs«, ohne Stottern. Und er ist ein vollendeter Profi: Der Christdemokrat beherrscht das Wahlkampfgeschäft aus dem Effeff. Im Vorfeld der Bundestagswahl am Sonntag, 22. Oktober, weiß der 70-jährige Jurist aus Freiburg, wie er die Heerscharen für seine Partei mobilisieren kann. Er brüht die Themen auf, die die Volksseele zum Kochen bringen – Euroschwäche, Banken-Krise, Wertediskussion in der CDU, die Bildungspolitik der Landesregierung in Stuttgart, die Härten gegen Griechenland.

Er verkörpert solide Kompetenz, ruht gesichert in der festen Überzeugung seiner langjährigen Erfahrung, weiß mit regionaler Verbundenheit zu punkten. Seine Sprache ist klar-verständlich, auf komplizierte Fachtermini verzichtet der Finanzexperte. Sein Vortrag ist unaufgeregt, aber nicht ohne Temperment. Seine Gestik wirkt sparsam, aber wohldosiert am passenden Ort. Und zu gegebener Zeit lässt er kleine Scherzchen einfließen: Im grün-rot regierten Baden-Württemberg würde die Neuverschuldung steigen. Selbst schuld. Oder, wie er es formuliert: »Nur die allerdümmsten Kälber wählen sich ihre Metzger selbst.« Und auch das Lokalkolorit weiß er für seine Belange zu nutzen: Schwaben seien nicht immer geizig – nur wenn es um die eigenen Belange ginge, nicht aber mit fremdem Geld.

Wolfgang Schäuble spricht kein Fachchinesisch. Ist nahe am Wähler. Weiß, was er den etwa 260 Zuhörern im voll besetzten Bürgerhaus schuldet. Euro- und Zukunftsängste weiß er mit wohl gesetzten Worten zu zerstreuen: Der Euro sei sicher und stabil, erklärt Wolfgang Schäuble, das Misstrauen in die europäische Gemeinschaftswährung sei gewichen und das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgekehrt.

Mitleid mit dem arg gebeutelten Griechenland lässt der Finanzexperte nicht gelten: Damit das europäische Wirtschaftsgeflecht funktioniere, müsse sich jedes Land an bestimmte Regeln halten. Der Haushalt müsse in Ordnung, die Wirtschaft wettbewerbsfähig sein, die Reformen müssten durchgeführt werden. Ländern der Eurozone, die in die Bredouille geraten würden, werde geholfen. Wenn die Zinsen zu hoch seien, würden Bürgschaften übernommen. Das sei Hilfe zur Selbsthilfe. Doch diese Länder würden den aufgebauten Druck brauchen, um an der Situation etwas zu ändern.

Eine Frage aus dem Publikum, wann denn die Finanztransaktionssteuer komme, beantwortete Wolfgang Schäuble ausweichend: »Nicht so schnell, wie wir hoffen.« Im Prinzip sei diese Maßnahme richtig, doch sie sei an Bedingungen geknüpft. So müsse sie weltweit eingeführt werden, da sie sonst mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. Doch es sei nicht einmal gelungen, sie in Ländern der Eurozone zu etablieren. So hätten die Holländer gesagt, sie würden nur mitmachen, wenn die Engländer mit dabei wären.

Auch die Debatte um das Aufrechterhalten traditioneller Werte in der CDU kleidete Wolfgang Schäuble in seine eigenen Worte: »Manche sagen, die CDU sei auch nicht mehr das, was sie einmal war.« Doch die Zeiten würden sich ändern. Es gelte, heute die Bedingungen für Heute und Morgen zu schaffen. Alte Werte könnten in Museen gesteckt werden, doch Politik lasse sich damit nicht machen.

Und einmal mehr brach der Finanzminister eine Lanze für Europa. Hätten die Euroländer während der Finanz- und Bankenkrise noch eigene Währungen gehabt, so wäre es zu ständigen Auf- und Abwertungen in Europa gekommen. Es sei richtig gewesen, den Banken in ihrer Notsituation zu helfen. Richtig hält Wolfgang Schäuble auch verschiedene bildungspolitische Maßnahmen: In vorschulische Bildung und Integration müsse investiert werden, alle jungen Menschen hätten das Recht auf eine bestmögliche Ausbildung, und das duale Ausbildungssystem aus betrieblicher und schulischer Wissensvermittlung habe sich bewährt.

Nach bewährtem Muster teilte der Christdemokrat auch wohl gezielte Hiebe in Richtung politischem Gegner aus: Bevorzugtes Ziel war dabei die Sozialdemokratie. Manche würden sagen, eine Kanzlerwahl werde für die SPD zur Zerreißprobe werden: »Darum sollten wir ihr aus christlicher Nächstenliebe die Zerreißprobe ersparen.«

Nach seinem Referat nahm sich der Bundespolitiker viel Zeit, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Er erklärte geduldig, was Finanzmärkte sind, und ging ausführlich aus den Wunsch des Vertreters einer gemeinnützigen Organisation ein. Seine Organisation setze sich unter dem Stichwort »Geraubte Kinder« für das Schicksal von Menschen ein, die während des NS-Diktatur »zwangsgermanisiert« und ihren Eltern fortgenommen wurden, erklärte ein Zuhörer. Hier solle sich Schäuble als Finanzminister für eine Entschädigung stark machen: Wolfgang Schäuble verwies darauf, dass während der Zeit des Naziterrors sehr viele Menschen sehr schlimme Schicksale zu erleiden gehabt hätten. Es sei schwierig, hier allen finanziell gerecht zu werden.

Nach vielen Sachthemen brach der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung die Diskussion auch auf eine menschliche Seite herunter: Wolfgang Schäuble habe während eines Klassentreffens festgestellt, dass er im Gegensatz zu seinen ehemaligen Schulkameraden gar nicht so viel in der Welt herumkomme. Darum habe er, Andreas Jung, ihn nach Stockach eingeladen. Damit er mal herauskomme und was anderes sehe.

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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