Volkstrauertag im Zeichen des Ehrenfriedhofs
„Versöhnung ist möglich“
Steißlingen. Unter einem ganz besonderen Zeichen stand der diesjährige Volkstrauertag in Steißlingen, denn dort wurde mit seiner sehr stark besuchten Feier der durch die Altpfadfinder restaurierte Ehrenfriedhof als Zeichen der Erinnerung gewürdigt, der seinen 100. Jahrestag im Oktober feierte, das auch Auslöser für die Aktion der Altpfadfinder war, eine Gruppe, die 1970 die Pfadfinder im Ort gründete und sich nun durch den Ehrenfriedhof wieder zusammengefunden hatte, wie Willi Streit als einer der Altpfadfinder und Mitinitiator der Aktion zufrieden feststellen konnte.
Festredner für den Anlass, in den die traditionelle Kranzniederlegung des Tages mit eingebettet wurde, war auch ein „Altpfadfinder“, nämlich Pater Dr. Martin Maier, der – gebürtig aus Meßkirch – seine Jugendjahre einst in Steißlingen verbracht hatte und seit letztem Herbst Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Adveniat mit Sitz in Essen ist. Maier erinnerte an die tragischen Folgen der Weltkriege anhand der fast 216 Kreuze auf dem Ehrenfriedhof. Von den Opfern seien nur 13 in Steißlingen begraben, alle anderen dort, wo sie im Krieg umgekommen waren. Die Zahl der in den beiden Weltkriegen Umgekommenen aus Steißlingen wird auf 242 geschätzt.
Auch in seiner Verwandtschaft hatte der Krieg Opfer gefordert. Sein Großonkel sei in Italien 1944 gefallen und liege auf dem Soldatenfriedhof in Pomezia, ein anderer Verwandter sei zwar aus dem Krieg zurückgekehrt, aber tief traumatisiert gewesen und aus seiner Sicht dann 1975 „am Krieg“ gestorben. Aus einem der Briefe, die im Zusammenhang mit der Restaurierung des Ehrenfriedhofs dokumentiert wurden, gibt es den erschütternden Satz eines jungen Mannes, der in Stalingrad schon schwer verwundet war und daran bald drauf verstarb: »Ich habe doch noch gar nicht gelebt«, so seine letzten Zeilen.
»Haben wir aus den vergangenen Kriegen etwas gelernt?«, fragte er in die Runde der Gäste dieser Feierstunde. Martin Maier meinte ja. Auf den Trümmern der beiden Weltkriege habe man die europäische Einigung vorangetrieben; nachdem vor 100 Jahren Frankreich noch der »Erzfeind« gewesen sei, pflege man inzwischen zum Beispiel in Steißlingen die Partnerschaft mit dem französischen Ort Palais sur Mer. »Versöhnung ist möglich«, unterstrich Martin Maier mehrmals in seiner Ansprache. Sie könne auch über den Gräbern wachsen.
Angesichts des aktuellen Kriegs russischer Truppen gegen die Ukraine bedauerte Maier, dass die Instrumente der Vereinten Nationen zu schwach und zu stumpf seien, um diesen völkerrechtswidrigen Krieg beenden zu können. Maier selbst war sieben Jahre in Brüssel für den Jesuitenorden für europäische Angelegenheiten im Einsatz, er war als Pfarrer auch in Lateinamerika im Einsatz gewesen, als Beauftragter seines Ordens auch in Bosnien tätig gewesen und sein Rezept auch für die aktuelle Lage ist für ihn durch Papst Franziskus vorgegeben: »Dialog ist der Sauerstoff des Friedens.« Und die Ansage: »Wir alle sollten selbst alles in unserer Macht Stehende tun für den Frieden und jeder kann seinen Beitrag leisten«, ganz im Sinne der Bergpredigt Jesu.
Dokumentation vorgestellt
Mit der Kranzniederlegung durch Bürgermeister Benjamin Mors, die vom Musikverein Steißlingen mit Ehrenaufstellung der Feuerwehr begleitet wurde, nachdem zuvor ein Chor mit den Anwesenden »We shall overcome« angestimmt hatte, war die Feierstunde noch lange nicht zu Ende. In der Friedhofskapelle stellten Markus Günther und Willi Streit die von den Altpfadfindern ausgearbeitete Dokumentation über den Ehrenfriedhof wie auch die Restaurierung erstmals vor. Sie ist inzwischen auch auf der Homepage der Gemeinde Steißlingen veröffentlicht worden. Dr. Martin Maier wurde im Rahmen der Zeremonie durch die Übergabe des für dieses Jubiläum geschaffenen Halstuchs symbolisch in den Kreis der Altpfadfinder aufgenommen.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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