Der Wähler lässt sich nur begrenzt in die Stimmzettel gucken
Wenn der „Genosse Trend“ schwarz trägt
Wer wird gewählt? Wer hat wirklich Aussichten? Diese Frage stellen sich Listenmacher und Kandidaten nur allzu oft vor Kommunalwahlen. Nach dem Wahltag haben sie eine Antwort. Die inszenierten Siegerposen kennen wir von der Berliner Politik-Szene. Die Rituale sind bisweilen peinlich, gehören aber wohl zum Zusammenspiel von Politik und Journaille. Vieles ist eben ein Geben und Nehmen. Dafür gibt es dann ein besonderes Interview exklusiv! Und der Wähler? Lässt er sich bei den großangelegten Analysen wirklich in die Karten, sprich den Stimmzettel, gucken? Welchen Einfluss auf seine Meinungsbildung hat die veröffentlichte Meinung? Sie ist gewiss wichtig. Aber die Journalisten dürfen ihren Einfluss auch nicht überschätzen. Natürlich sind sie nicht unschuldig, wenn der Genosse Trend plötzlich schwarz trägt.
Die Neuordnungen in der gesetzlichen Rente und das Kommunalwahlergebnis haben eine grundlegende Frage aufgeworfen: Wie geht unsere Gesellschaft mit dem demografischen Faktor um? Bei der Rente wird dem Begriff der Gerechtigkeit ein vermeintlicher Wechsel auf die Zukunft entgegengehalten. Schmarotzen etwa die Alten auf Kosten der künftigen Jungen? Das gleiche Thema wird seit der Regierungsbildung in den Medien durchdekliniert. Jetzt gehen die Alten auch noch mehr zum Wählen – und die Parteien richten sich auch darauf ein! Wenn erwartete Wahlsensationen ausbleiben, dann blieben halt die richtigen Wähler der Urne fern! Und wieder lässt sich darüber stundenlang „ablästern“.
Die Wahl vom Sonntag war für mich die erste Abstimmung seit 1968, bei der ich nicht auf irgendeine Weise mitgewirkt hatte. Dabei sind die Beobachtungen aus der Entfernung einfach spannend: Wahlspots, Plakate, Prospekte und die mediale Vorbereitungen in den Zeitungen. Man spürt die Absichten und ist verstimmt! Wer setzt sich wo in Szene? Welche Themen sollen Stimmen bringen? Warum hat sich der Wähler wieder (oder auch nicht) verführen lassen? Mit welcher Finesse bauten Kandidaten einer möglichen Pleite vor? Da unterscheidet man schnell den Profi vom Feierabendkandidaten. Wenn nicht, dann ist er vielleicht nicht der Profi, den er vorgibt zu sein.
Beginnen wir beim Alter, denn Alterspräsidenten haben wir jetzt wohl genug. Manche von ihnen müssten auch schon beginnen, ihren Heiligenschein zu polieren, denn sie ziehen andere Mitkandidaten wahrlich ins Mandat mit. Vieles hat mit akzeptierter Führerschaft zu tun. Spannend wird es an dem Punkt, wenn längerjährige Mandatsträger nicht mehr stimmenmäßig zulegen können. Dann ist im Ort etwas passiert. Gibt es quer durch Listen keine herausragenden Ergebnisse, dann fehlt es schlichtweg an intellektueller Meinungsführerschaft. Schneidet der dazugehörige Bürgermeister bei der Kreistagswahl auch noch schlecht ab, dann sind wir eben im kommunalpolitischen Niemandsland gelandet! Das kann sich dann jeder selbst ausrechnen.
Die Region schaute natürlich auf Singen, wo nicht nur die OB-Wahl sondern auch die GVV-Pleite zu verkraften war. Da hat der Wähler einen klaren Auftrag erteilt und wohldosiert abgestraft. Eine üble inszenierte Gerüchteküche verfing beim Wähler nicht, OB Bernd Häusler ist schlichtweg der Hoffnungsträger. Und der Gemeinderat? Er muss sich neu zusammenraufen und seinen Arbeitsstil finden. Zusammengerückt sind die Gemeinderäte in einigen Städten und Gemeinden. So hat auch in Radolfzell die CDU die OB-Wahl nur gerupft überstanden. Und Konstanz merkt jetzt, dass alles Grün nicht unbedingt grenzenlos in den Himmel wächst.
Das Grundproblem liegt im Personalangebot der Parteien und Listen. Ausländervertreter wie junge Bewerber blieben oft „Kanonenfutter“. Vielfach waren sie auch nicht genügend bekannt. Wer in örtlichen Vereinen vernetzt ist, hat Vorteile. Problematisch sind die beruflich erfolgreichen Kandidaten mittleren Alters. Als Newcomer sind sie begehrt – werden dann aber doch nicht gewählt. Ob sie dann nach fünf Jahren noch einmal antreten, ist fraglich. Außer, sie sind längst zum Parteisoldaten geworden.
Immer wieder geht es um die Frage, wer das örtliche Handwerk und Gewerbe vertritt. Dirk Oehle, der Vorsitzender der Singener IG-Süd, hat es in Singen bei der Neuen Linie geschafft. Nicht geschafft hat es Peter Ibbeken, der MIT-Vorsitzende im Kreis und im Land, in seiner Wohngemeinde Ludwigshafen bei der CDU. Die fleißig genutzte Lokalpresse hat nichts geholfen, gewählt wurden allerdings alteingesessene Leute aus dem Gewerbe – selbst auf anderen Listen. Junge Leute blieben ebenso wie Rentner Ibbeken auf der Strecke. Wieder hat sich der Wähler nicht in die Karten sehen lassen. Und der erhoffte Genosse Trend trägt wieder Trauer. Bis zum nächsten Jubelbericht in der Heimatgazette.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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