Werte werden in unserer Gesellschaft ins Gegenteil verkehrt
Warum „Spaß“ mein Unwort des Jahres ist

Da geht es um einen brutalen Krieg – und in einem Propaganda-Spot fällt plötzlich das Wort „Spaß“! Passiert am Sonntagabend bei Günther Jauchs Talkrunde rund um den IS-Terror im allzu nahen Osten. Da hört der „Spaß“ endgültig auf! Aber: Halten uns da nicht fundamentalistische Islamisten den Spiegel vor? Vielleicht definieren sie den „Spaß“ etwa nur etwas anders? Schließlich leben wir schon lange in einer Spaßgesellschaft, in der „Spaßbremse“ schon länger ein Schimpfwort ist. Das wollen die jungen Männer wohl auch nicht sein, die auf bestem Deutsch zum „heiligen Krieg“ eingeladen werden. Jetzt muss ich aufpassen, nicht in meinen üblichen leichten Zynismus zu fallen. Das entspräche auch wieder nicht der „political correctness“, der sich auch Günther Jauch am Sonntagabend verpflichtet schien. Als Zuschauer litt ich mit ihm, weil ich mir schon vorstellte, was seine üblichen Kritiker am Montag mit ihm machen würden: Wann würde bei ihm der „Spaß“ definitiv aufhören? Er ließ einen Immam gewähren, der ihm im Notfall auch noch glauben gemacht hätte, dass Karl Marx sein „Kapital“ aus dem Koran abgeschrieben habe. Ich fragte mich nur, was Jauch nach der Sendung mit dem Redakteur macht, der ihm diesen Talk-Gast eingeladen hat? Einen angeblichen Prediger aus der Hochburg der Hassbotschafter in Berlin, der sich als Friedensengel darstellt, der höchstens mit rhetorischen Watteböllchen um sich wirft?!

Nicht einmal der eingeblendete „Werbeblock“ eines „Radikalisierten“ kann den Predigerschwall bremsen: Mit dem Wort „Spaß“ hört der Spaß doch endgültig auf! Selbst der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wirkt „weichgespült“, denn der Immam hat vorgebaut und wehrt sich gegen die neue „Islamophobie“, also die fälschlicherweise geschürte Angst vor dem Islam. So einfach ist das: Man dreht die Sprache einfach um! Das haben wir ja von Ron Hubbard und Scientology längst gelernt: Wenn er von Ethik spricht, dann meint er nicht unsere! Ja, wir haben unsere Werte austauschbar gemacht – in Sprache und Taten. Moderator Jauch wird plötzlich in seiner leichten Hilfslosigkeit zum Anschauungsobjekt wider Willen.

Für mich ist „Spaß“ an diesem Abend endgültig zu meinem Unwort des Jahres geworden. Als würde jemand „just for fun“ in den Krieg ziehen wollen! Haben wir uns nicht irgendwann geschworen, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen dürfe? Und jetzt hören sich die Abendnachrichten verdächtig nach Kriegsberichterstattung an! Dabei haben wir gelernt, das Thema Krieg weit von uns wegzuschieben. Unsere Spaßgesellschaft lebte von anderen Erlebnisbereichen, die nicht unbedingt ehrlicher sein mussten. Da sang Roberto Blanco „Ein bisschen Spaß muss sein“ und verbreitete Party-Laune allenthalben. Er spielte den Krösus am Rande der Tennis-Arenen, bis sein Vermarktungsimage wie ein Luftballon platzte. Eben alles nur ein Spiel.

Was ist wirklich im Leben? Peter Peschka und ich bastelt längst am nächsten Politischen Aschermittwoch des Wochenblatts: Was sind die wirklichen Themen in unserer Gesellschaft? Vieles hat sich verschoben, vieles ganz materiell. Wofür geben wir unser Geld aus? Was ist uns wieviel wert? Was sind wir bereit, für „Spaß“ zu investieren? Die vermeintlichen Gotteskrieger sogar ihr Leben. Aber das war wieder zynisch formuliert. Entschuldigung.

Wir alle geben mehr Geld für Technologie aus, Unterhaltungselektronik, Kommunikation auf dem Tablet. Ums neue Smart-Phone wird schon wochenlang im Voraus gerätselt. Viele verwechseln längst, was das teure Gerät kann und was sie selbst für Fähigkeiten haben. Frei nach Erich Fromm: „Haben oder Sein?“ Dabei zerrinnt das Geld zwischen den Fingern. Viele geben ihr Geld für falsche Werte aus, bis die Kasse leer ist. Statt des hochgepriesenen Glücks kommt dann der Gerichtsvollzieher. Dann ist Schluss mit lustig!

Doch draußen warten schon die nächsten Götter, Gurus und Rattenfänger von Hameln. Viele haben lange den ungebremsten Kapitalismus angebetet. Da kamen die Yupies, die Strahlemänner des Neoliberalismus. Mir fällt da immer eine Geschichte des Spiegels ein, der sich vor 40 Jahren erstmals mit der chinesischen Wirtschaftspolitik nach Mao beschäftigt hat, als die Menschen dort die erzwungene Uniformität der Kulturrevolution überwunden zu haben schienen. Der Spiegel befragte die ersten großen Wirtschaftsführer zur Zeit der Ping-Pong-Diplomatie, ob sie nicht angesichts ihrer Kenntnisse, ihres Könnens lieber amerikanische Konzerne führen wollten, wo man viel Geld verdienen könne. Sie lehnten durchweg ab. Dann hätten sie zwar mehr Geld, aber in China hätten sie weitaus mehr Macht! Ja, so sind die unterschiedlichen Werte. Das Geld ist nicht immer alles, zumal Macht eine äußerst wirksame Droge sein kann oder schlichtweg ist!

Macht über andere Menschen zeigen die schrecklichen Bilder aus den aktuellen Kampfgebieten der IS. So in etwa dürfte es auch im Mitteleuropa im Mittelalter ausgesehen haben. Bestimmten Menschen hat brutale Gewaltausübung immer schon einen Adrenalinstoß versetzt. Manche nennen das „Spaß“. Ich nicht. Deshalb ist es auch mein Unwort des Jahres. Zum Nachdenken hat mich der Immam dennoch gebracht: welche Perspektiven bieten wir diesen jungen Männern als Alternativen? Die wertfreie Glitzerwelt eines durchkommerzialisierten Tag-und Nachlebens kann es nicht sein!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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