Betreuungsrecht: Wir drücken uns um die letzten Wahrheiten
Verantwortung für Mitmenschen übernehmen
Wir Menschen sind in manchen Bereichen merkwürdig: Wie wissen alles, wir regeln alles - und dennoch drücken wir uns um Themen, die unsere Welt wirklich bewegen (sollten). Rechtsanwälte halten Vorträge über "Erben und Vererben" vor Vereinen und Verbänden. Andere dozieren über die Apparatemedizin und reden über die Vorsorgevollmacht. Vor lauter verschiedenen Begriffen werden die Menschen verunsichert: Was brauche ich wirklich im Hinblick auf die Endlichkeit meines Lebens? Der Singener Stadtseniorenrat hat ein hervorragendes Heft entwickelt, in dem alles notwendige Vorgedruckte zur Unterschrift parat ist: Einfach, schlicht, übersichtlich! Ein paar Dinge müssen - auch unabhängig vom Alter - geklärt sein: Wer ist mein nächster Angehöriger, der für mich spricht, wenn ich es nicht mehr kann? Wem also muss der Arzt zum Beispiel im Krankenhaus über meinen Zustand Auskunft geben? Wir reden oft sehr aufgeregt über andere Lebensformen als die Ehe. Wichtiger wäre oft, die rechtliche Beauftragung der Wahrnehmung der Interessen generell zu klären! Auf 20 Seiten ist hier ein Ratgeber entstanden, der einfach Themen abarbeitet, bei denen die Fußangeln oft im Detail liegen.
Mein Vorwurf: Wir beschäftigen uns zu oft mit den falschen Themen, lassen uns die Wichtigkeit von Themen einreden, ohne zu reflektieren, was für uns wirklich (über-)lebenswichtig ist. Diesen Problemkreisen will ich in den kommenden Wochen hier in meiner Kolumne nachgehen.
Am Anfang dieser Themen steht das Betreuungsrecht. Es trat am 1. Januar 1992 in Kraft und schuf ein neues Instrumentarium, das die Keule der Entmündigung entschärfte. Da haben wir in Deutschland natürlich eine traurige Geschichte durch die Nazi-Herrschaft. Da wurde für zigtausende das Leben in Selbstbestimmung mit arischen Füßen getreten! Unsere Sozialgesetzgebung kennt bei Kindern und Jugendlichen schon lange die Pflegschaft von Amtswegen neben der Vormundschaft: Hilfestellung für ein selbstbestimmtes Leben im häuslichen Rahmen. Meine Formulierungen mögen für manchen Aufschrei sorgen, doch es gibt immer sottige und sottige! Der Betreuer blieb bis heute weitgehend ein unbekanntes Wesen!
Zwei Beispiele aus den Anfangstagen des damals nagelneuen Rechts. Ein Mitarbeiter des Sozialamts stieg aus und machte sich als Betreuer selbständig. Er hatte durch seinen Beruf tagtäglich erlebt, wie wichtig es für Menschen mit Einschränkungen ist, jemand zur Betreuung an seiner Seite zu haben, wenn man nicht mehr in vollem Umfang für sich selbst sorgen kann. Die andere Seite der Medaille hatte mein Kollege Christof Baudrexel gleich im Blick: Das mögliche Geschäft mit der Betreuung. Da hatte ein Rechtspfleger sich selbst zum Betreuer machen lassen und rechnete fröhlich seine Aufwendungen ab! Das war letztlich wohl alles korrekt, zeigt aber bis heute, wie dünn das Eis bei diesem Themenbereich ist. Christof war - wie oft - zu früh am Thema dran, denn das Betreuungsrecht musste sich erst noch vollständig entwickeln. Heute gibt es Betreuungsvereine, die nicht nur grundsätzlich beraten sondern auch die ehrenamtliche Komponente stärken, denn grundsätzlich kann jeder Bürger Verantwortung für seinen Mitmenschen übernehmen, wenn der das wünscht.
Vor der Bestellung eines gesetzlichen Vertreters kann also ein persönlicher Betreuer benannt werden, woran sich leicht dann auch die Vormundschaftsgerichte orientieren. Und es kann auch jemand verfügen, wen er auf keinen Fall als Betreuer haben will. Es kann die Betreuung auch differenziert angeordnet werden: Finanzgeschäfte, Rechtsfragen, Gesundheit oder Aufenthaltsbestimmungsrecht. Auch trotz Einsetzung eines Betreuers bleiben Grundrechte wie das Wahlrecht und mehr. Betreuung ist also eine Sache für Leute mit Einfühlungsvermögen! An dem Punkt ist mit Christof Baudrexel im Ohr geblieben.
Vielleicht muss man Betreuungsfälle selbst miterleben, um die Tiefe der Problematik wirklich zu verstehen. Ein Mann erlitt einen schweren Herzinfarkt. Als er wieder aus dem Koma erwachte, waren sein Unternehmen, sein Geld, sein Haus weg. Aber seine Frau saß weiter an seiner Seite: Heute pflegt er sie! Das Eintreten einer Demenz ist allerdings oft ein schleichender Prozess. Ein Beispiel: Solange der Ehepartner der Halt ist, klappt noch alles ganz gut. Doch dessen Tod stürzt den Partner in ein tiefes Loch, weshalb die Bestellung eines Betreuers angemessen erscheint, zumal die Tochter nicht auffindbar ist. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist damit verbunden: Zweimal Quartierwechsel ins betreute Wohnen - ein glückliches Lebensende sieht anders aus. Am Geld wäre dies in diesem Fall nicht gescheitert. Andere Betreuungsfälle sind in der Abwicklung finanziell begrenzt. Beim Politischen Aschermittwoch wird es in Singen auch um die Pflege in der Zukunft gehen. Reichen Rente und Pflegegeld nicht aus, geht es ans Vermögen, oft ans eigene Häusle. Wer zahlt die Pflegedienste? Warum holen viele die "Polin" zur Pflege ins Haus? Oder ist es dann eine Einbahnstraße: Ab ins Heim! Davor haben viele Menschen Angst. Mit dem Ausfüllen der Betreuungsvollmacht können sie hier früh eine Vorentscheidung - ganz im eigenen Sinn - treffen.
Man stelle sich vor: Da wird ein Betreuer bestellt, der zwar rechtlich nur bis zum Tod die Fäden in der Hand hat, aber bei dem das Erbe dahinter stets im Blick bleibt? Allein dieser Gedanke sollte Motivation genug sein, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Vorsorgemappe des Singener Stadtseniorenrats ist die richtige Grundlage dafür. Er hat jeden ersten Dienstag im Monat Sprechstunde von 10 bis 11.30 Uhr im Rathaus.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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