Beim GVV-Konkurs geht es längst um „Schuld und Sühne“
Tiefpunkt bei den Sozialwohnungen im „Conti“
Die Singener GVV wird zur unendlichen Geschichte unterm Twiel werden. Die politische Hygiene steht noch am Anfang, literarisch wird es bald um Schuld und Sühne gehen. Aber wo bleibt der soziale Wohnungsbau? Was wird aus den Mietern? Wehre sich, wer kann! Jetzt wehrt sich erst einmal Aufsichtsratsmitglied Hermann Stocker. Zum Schutz dieses CDU-Urgesteins aus dem Singener Süden reiste gar sein Freund Volker Kauder aus Berlin an. Den Goldenen Investigations-Merkel hatte er für die Aufklärung nicht im Gepäck. Oder wollte er gar einen „Wolf im Schafspelz“ offerieren? Immerhin waren beide im letzten Singener OB-Wahlkampf als Gesundbeter im Einsatz. Wenn es nun um Aufklärung geht, wird jetzt auch schon hinterfragt, warum es keine städtische Verwaltungsberichtigung zu falschen Leerzeichen gibt? Schließlich gibt es Fakten, die man einfach im Raum stehen lassen kann. Dazu gehört, dass sich GVV-Aufsichtsräte geweigert haben, der mit Aufklärung beauftragten Juristin Auskünfte zu erteilen. Hermann Stocker ist eben so, wie er ist. Da kann ich ja froh sein, dass er mir nur ins Stammbuch schreibt, ich hätte ja in der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der GVV diese „als Problemlöser für die Region“ bezeichnet! Dazu kann ich als Journalist auch heute noch stehen. Wenn das jeder so tun könnte, wäre doch alles in Ordnung! So eben auch die Aufsichtsräte.
Die Aufarbeitung der GVV-Bilanz war 2010 wie heute schwer. Selbst der „Problemlöser für die Region“ wird von Kennern der Landschaft im sozialen Wohnungsbau als negative Aussage gesehen, denn statt in Singen Sozialwohnungen zu bauen, habe die GVV in Infrastruktur in Nachbargemeinden und Städten investiert. Letzte Großtat war die Sanierung des Markthallen-Areals in Radolfzell. Gewinne aus dem Bauträger-Geschäft brauchte die GVV, um in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Frage: Aber das hat sie doch nicht in ausreichendem Maße getan?! Da hätte der Aufsichtsrat seine Stimme ja auch erheben können.
Wer sich heute darüber aufregt, dass die Stadt Familien, konkret die Brandopfer aus der Nordstadt, im „Conti“ unterbringen muss, möge seinen Blick auf die GVV-Geschichte im sozialen Wohnungsbau schweifen lassen. Als Journalist schreibt man nicht nur – manchmal geht man mit auf Wohnungssuche. Als die Gemeinde Gottmadingen von 30 Jahren eigene Sozialwohnungen abreißen wollte, hatte ein Sozialmieter Selbstmord gemacht, weil er seine Familie nicht mehr beschützen konnte. Ich wendete mich an Emil Sräga, den Aufsichtsratsvorsitzenden der „Hegau“. Er sagte Hilfe im Frühjahr zu. Den Winter müsse die Familie mangels Umzügen aber noch überstehen. Er hat Wort gehalten und eine Rest-Familie gerettet.
Vor gut zehn Jahren hatte ich ein Problem in Singen. Aufmerksame Lehrer hatten an der Waldeckschule gemerkt, dass eine Schülerin mit ihrer Mutter bereits wochenlang im Auto schlief! Die Frau war alleinerziehend und stammte aus Rußland. Ihre Wohnung hatte sie verlassen, weil es Streit mit Nachbarn gegeben hatte. Ihre Mentalität gebot ihr den Rückzug ins Auto! Jetzt lief die Bürokratie an: Sozialamt, Jugendamt, GVV. Zum Ende der Sommerferien hatte die Frau immer noch keine Wohnung. Es gab gegenseitige Beschuldigungen: Die Frau lehne Angebote – wenig kooperativ – ab. Ihr werde nichts Gescheites angeboten, klagte sie. Zur nächsten Wohnungsbesichtigung werde ich mitkommen, teilte ich allen mit. Dann stand ich mit Vincenzo Masi, dem damaligen kaufmännischen Geschäftsführer der GVV, vor dem Block Moosgrund 2. Diese Beamtenwohnungen des Landes hatte die GVV erst kürzlich übernommen. Jetzt hat die Stadt den Bock der GVV abgekauft, um selbst wieder Wohnraum für Obdachlose zu bekommen.
Zurück zum damaligen Lokaltermin. Von früheren Freunden kannte ich die Wohnsituation eigentlich: Gute bürgerliche Lage. Und jetzt? Die Situation wurde kribbelig: Masi war wegen der immer noch fehlenden Frau nervös. Bewohner stürzten sich auf mich: „Endlich kümmere sich mal ein Journalist um ihre Wohnsituation!“ Die Liste der Lagen war lang – vom Dreck im Kellerabgang bis zum nachbarschaftlichen Lärm. Die Frau kam immer noch nicht, Masi zeigte mir auf mein Drängen hin die Wohnung, die die GVV der Frau mit Tochter anbieten wolle.
Ich war schockiert: Fetzen als Fußbodenbelag, das Badezimmer massiv sanierungsbedürftig! Kloschüssel abgewrackt, Badewanne dreckig, Fliesen defekt! Masi: Das müsse die Mieterin richten lassen. Für mich war klar: Hilfe in besonderen Lebenslagen – da müsse das Sozialamt Geld locker machen. Aber da waren schon alle vorher schwerhörig gewesen.
War das die beste Lösung für alle? Die Frau war mit ihrer Tochter nach Rußland heimgefahren! Wenn sie hier keiner wolle, sorge sie „daheim“ wieder für ihre Tochter! Für „25 Jahre GVV“ fing ich neu an zu recherchieren: Wie viele Wohnungen hat die GVV überhaupt noch im Bestand? Die „soziale Stadt“ im Langenrain war zur Erfolgsgeschichte verurteilt gewesen. Ich hatte irgendwann aufgegeben nachzuforschen, wo rund 300 Bewohner zwischen Ankündigung der grundlegenden Sanierung bis zum Baubeginn verschwunden waren? Dass überwiegend Sozialhilfeempfänger „verschwinden“ konnten, schockierte mich. Von wegen wissenschaftliche Begleitung in einem Bundesmodell? Meine Arbeitshypothese: Da hatten alleinerziehende Mütter plötzlich eine neue Bleibe (beim Kindsvater?) gefunden. Andere zogen zu Angehörigen, bevor das Sozialamt („Leistungserbringer“) an der Tür klingelte. Oder hatten „Illegale“ einfach Angst vor der Polizei?
Wohnraum für Asylbewerber? Die GVV hat vieles angerissen und verkauft. Liquidität schaffen statt sozialer Verantwortung. Mein Schock war bei der GVV-Bilanz, mit wie wenig Personal die GmbH zur Wohnungsbauverwaltung mutierte. Die Stadt Singen hatte ihre Gebäudeverwaltung im Rathaus aufgelöst. Das war der Synergieeffekt beim Verkauf der rund 700 Sozialwohnungen der Stadt gewesen. Und auf der anderen Seite sagte die GVV-Mitarbeiter, wenn ein roter Ferrari mit Villinger Kennzeichen wieder vor dem Hegau-Tower stand: „Grundler verkauft wieder Wohnungen.“
Und heute? Die Baugenossenschaft Hegau sorgt in der Romaiasstraße für Asylunterkünfte. Notunterkünfte gibt es im städtisch erworbenen „Conti“. Vom Kunsthallenareal redet niemand mehr. Aber die sonst Schweigsamen aalen sich in Schuld und Sühne verbal. Die „soziale Stadt“ hat irgendwie nicht funktioniert. Obdachlos darf man in Singen nicht werden. In den 70er-Jahren haben wir den Treffpunkt Süd als Kindergarten geschaffen. Kein Bedarf mehr? Häuser wurden abgerissen; wo nicht verkauft und neu gebaut wurde, sieht es öde aus. Die GVV hat Probleme anderer Gemeinden gelöst, ist aber unübersehbar selbst zum Riesenproblem geworden. Das müssen auch die Aufsichtsräte von einst zur Kenntnis nehmen. Und die OB-Wahl ist rechtens. Das müssen auch die Wahlanfechter von einst zur Kenntnis nehmen!
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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