An Geschichte der »Fahrenden« erinnern
Singen ist keine Vorzeigestadt jenischer Kultur
Singen. Historische Spuren zu finden von den »Jenischen« in Singen, obwohl sie besonders das Gesicht der Stadt Singen in der Nachkriegszeit geprägt haben, ist schwierig. Es gibt sie nämlich so gut wie gar nicht in der Stadt. In Singen waren die »Fahrenden« oder »Zigüner«, wie man sie früher fälschlicherweise nannte, weil man sie mit den Sinti oder Roma einfach in einen Topf warf, lange ein soziales Problem gewesen. Sie sollten schon wegen der Schulpflicht sesshaft gemacht werden, die Siedlungen sozialen Wohnungsbaus waren schnell zu Ghettos geworden in der Arbeiterstadt - und bis heute gibt es durch viele Förderprogramme, umgesetzt über die Arbeiterwohlfahrt, den Versuch, die Chancen für junge Menschen zu verbessern, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen.
Dass sich am der Wahrnehmung der Jenischen in Singen etwas verändert, dafür kämpft Alexander Flügler schon seit vielen Jahren. Er sieht sich als ein gutes Beispiel, wie er sich als Kind von Analphabeten zum erfolgreichen Unternehmer mit derzeit rund 100 Mitarbeitern hochgearbeitet hat. Quasi vom Fensterputzer zum Chef mit einer schicken Residenz beim alten Gaswerk Singen hat er es gebracht. Auf seine jenische Herkunft ist er stolz: In seinem Garten hat er eine ganze Mauer mit einem Bild bemalen lassen, die das Leben der Jenischen früherer Zeiten zeigt: als Korbmacher, Kesselflicker, Scheren- und Messerschleifer, waren sie unterwegs im Wagen, eben als Fahrende von Ort zu Ort. Und der Igel, auf dem Feuer gebraten, war ein altes Festmahl.
»Eigentlich sind wir Urdeutsche«, unterstreicht Alexander Flügler. Die beiden Schülerinnen der Robert-Gerwig-Schule Singen, Lisa Erne und Fabienne Wildöer, haben im letzten Jahr intensive Forschungen zur Geschichte der Jenischen im Hegau angestellt, die ein sehr starkes Echo erzeugten. Die Forschung zur Geschichte dieser Minderheit, die laut einiger Quellen keltischen Gebieten entstammen könnte, und die wahrscheinlich auch zu Zeiten des 30-jährigen Kriegs im Hegau präsent war, um ihre Dienstleistungen den Burgherren anzubieten, sind schwierig. Denn die Jenischen waren nie ein Volk von schreibenden. Geschichten gingen von Mund zu Mund.
Und doch haben sie eine kulturelle Indentität, die auch Alexander Flügler immer wie-der mit Stolz unterstreicht. In der benachbarten Schweiz wurden sie dieses Jahr im September durch den Bundesrat offiziell als »nationale Minderheit« anerkannt - ein Schritt, der nach der Meinung von Alexander Flügler in Deutschland schon lange überfällig wäre und für diese Volksgruppe sehr wichtig wäre. Schließlich wurden auch die jenischen - freilich noch als »Zigeuner« - im dritten Reich verfolgt und landeten in den Arbeits- und Vernichtungslagern. Doch alle Vorstöße Flüglers, bei denen er inzwischen sogar den ehemaligen stellvertretenden Regierungssprecher Klaus Vater in Berlin an seiner Seite weiß, der seine jenische Abstammung erst spät als Erwachsener entdeckte, waren bislang vergebens gewesen.
Auf der anderen Seite weiß niemand so genau, wie viele der Jenischen es überhaupt in Deutschland gibt. Die Bundesregierung spräche von 8.000, in jenischen Kreisen ist man der Ansicht, dass es um 200.000 sein müssten. Alleine in Singen und dem Hegau wären es ja schon alleine an die 800, die dieser Minderheit zugeordnet werden könnte. Singen gilt freilich als eine der Hochburgen der Jenischen.
Vision Kulturzentrum
Schon seit vielen Jahren kämpft Alexander Flügler für ein Kulturzentrum der Jenischen hier in Singen. Erste Vorstöße gehen bereits ins Jahr 2000 zurück. Im Jahr 2003 gründete sich ein erster jenischer Verein, der in Singens Süden auch einige Male ein eigenes Fest mit eigenen Spielen feierte. Damals sei Andreas Renner als Oberbürgermeister hinter den Ideen gestanden, das sei bei seinem Nachfolger dann ganz gestorben und auch mit dem aktuellen OB Bernd Häusler wird gehadert, nachdem der Gemeinderat im letzten Jahr einen schon ziemlich konkreten Antrag für ein solches Kulturzentrum südlich der Bahnlinie als Grundstücksgeschäft abgelehnt hatte. Im Januar hat sich inzwischen ein Förderverein gegründet, der das Thema Kulturzentrum als eines für die »Reisenden« stärker voranbringen will - unter dem Vorsitz von Klaus Michael Peter, der sich auch mit Geschichte insgesamt sehr intensiv auseinandersetzt. Das Kulturzentrum soll neben einem Museum mit Blockhütten auch Wohnraum für junge Familien bieten, die hier ihre Kultur leben können.
Geplantes Treffen
Die Erkenntnis ist nicht neu, dass den Jenischen eine Lobby fehlt, die sie in politischen Dingen unterstützt, doch der Verein hat seine Arbeit aufgenommen. An Pfingsten kommenden Jahres soll ein deutliches Zeichen mit einer großen Veranstaltung im Rathaus gesetzt werden, zu der Experten wie Jenische aus einem sehr großen Radius eingeladen werden sollen. Damit hofft Flügler wie auch der Verein, entscheidende Schritte voranzukommen.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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