Meist kam es anders als erwartet
Rätsel um Singener Bürgermeisterwahlen

In der Kommunalpolitik gibt es einige Rituale, von denen sich manche selbst entzaubert haben. So bei den Haushaltsplandebatten: Die Zwänge sind heute so stark, die Finanzen so knapp, dass wirklicher Gestaltungsspielraum kaum zu erkennen ist. Eines bleibt in Großen Kreisstädten: Die Wahl das Bürgermeisters, des hauptamtlichen Beigeordneten. Da ist der Gemeinderat noch Herr im Haus. Wirklich? Ein Blick in die Singener Geschichte zeigt, wie viele Geheimnisse mit der Wahl jeweils verbunden sind, welche Mythen aufgebaut werden und wo Politik zur Märchenstunde wird. Derzeit hat der Gemeinderat in Singen eine Denksportaufgabe vor sich: Welches Profil soll der künftige Singener OB-Stellvertreter haben? Wie sollen die Resorts zugeschnitten sein? Und wieder kommen die alten Fragen hoch: in Baubürgermeister oder ein Sozialbürgermeister? Und sofort kommt die Erinnerung, denn das hatten wir ja schon öfter. Da lohnt sich eine kleine Chronologie der Bürgermeister. Vieles war in der Vergangenheit eine Frage der Mehrheiten. Aber der Unterschied zu einer Papstwahl war gering: Meist kam es hinterher anders als erwartet und spekuliert!

Oberbürgermeister Theopont Diez (CDU) hatte mit Otto Muser einen Sozialdemokraten an seiner Seite, der vor allem den Sozialbereich abdeckte. Als dessen Schwiegersohn Friedhelm Möhrle 1969 sensationell den Amtsinhaber im ersten Wahlgang besiegte, war die Wahl des Bürgermeisters eine Zerreißprobe für die alten Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat. Neben dem Juristen Möhrle brauche man einen Techniker, wurde plötzlich postuliert. Aus dem bürgerlichen Lager wurde Gerd Auer ins Gespräch gebracht. Dann wurde FDP-Stadtrat Dr. Ernst Waldschütz in Crailsheim fündig und präsentierte den dortigen Leiter der Stadtwerke, Günter Neurohr, den Singenern als Kandidat. Und er wurde vom Gemeinderat gewählt von einer Mehrheit, die jenseits der CDU lag. Und dann kam alles anders: Neurohr bekam Ärger mit Möhrle und suchte Schutz bei der CDU und erzielte vor Möhrle das Spitzenresultat bei der Kreistagswahl 1973. Würde nun Neurohr 1977 bei der OB-Wahl gegen seinen Chef antreten? Es kam wieder anders, denn der Radolfzeller Bürgermeister starb plötzlich. Und Neurohr gewann die Wahl in Radolfzell.

Also brauchte Singen 1976 einen neuen Bürgermeister. Die CDU hatte im Gemeinderat die absolute Mehrheit und hatte somit die freie Entscheidung. Bürgermeister wurde der bisherige Vermessungsdirektor Helmut Ruf. Der war also ein Techniker und hatte die höheren Rotary-Weihen. Bei der CDU gab es internen Ärger, denn einer der ihren wäre auch gerne Bürgermeister geworden: Der ehrenamtliche erste Beigeordnete Wilhelm Grimm. Grimm sagte mir einmal unter vier Augen, er habe sich die Ausschreibung der Stelle sehr genau angeschaut. Was die Dezernatsverteilung vom Amtsinhaber verlange, das könne er leisten, das traue er sich zu! Die Parteiversammlung rügte später die Fraktion für die Entscheidung. Wunden waren zurück geblieben.

Eines änderte sich nicht, denn er allmächtige Stadtoberbaudirektor Hannes Ott blieb in Möhrles Zuständigkeitsbereich. Wozu also der Techniker? 1985 lief Rufs Amtszeit aus. Der CDU wurde als stärkster Fraktion unter einem SPD-OB das Vorschlagsrecht eingeräumt. Sie hatte sechs Bewerber intern in der engeren Wahl. Die Entscheidung fiel in der Stichwahl gegen Bauamtsleiter Rüdiger Neef und für Joachim Fuchtel. Fuchtel wäre ein Sozialbürgermeister geworden, eine Gemeinderatsmehrheit gegen die CDU stimmte plötzlich aus heiterem Himmel für den parteilosen Neef. Die Geschichte wiederholte sich nun anders herum: Neef ging zur SPD und wurde sogar deren Fraktionschef im Kreistag. Fuchtel kandidierte anschießend gegen Möhrle bei der OB-Wahl und holte sich eine blutige Nase. Kurz darauf rückte er in den Bundestag nach und ist heute dort parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsbereich. Nachdem die CDU den Haushalt 1989 blockiert hatte, wurde mit Manfred Schlegel einer der ihren zum Bürgermeister gewählt und in die Stadtführung integriert. Schlegel bekam das Baurechtsamt zugeordnet, woran es politisch eben auch mangelte. So viel zum Techniker als erstem Bürgermeister!

Unter OB Andreas Renner wurden nacheinander beide Bürgermeister abgeschafft: Erst beendete eine Mehrheit links der Mitte Schlegels Amtszeit, dann die anderen Neefs Periode. Renner wollte erst keinen mehr an seiner Seite haben, wurde aber Sozialminister, bevor er einen gefordert hätte. Als Oliver Ehret (CDU) zum OB gewählt war, brauchte er einen Bürgermeister, der nur Bernd Häusler heißen konnte, nachdem der als Amtsverweser seine Qualitäten bewiesen hatte. Der Amtsverweser war nötig geworden, weil ehrenamtliche OB-Stellvertreter die Funktionen in den GmbHs nicht wahrnehmen konnten. Ehret übernahm die GmbHs, überließ Häusler das Personalwesen und vor allem die Finanzen der Stadt! Das haben damals viele nicht verstanden, denn gerade diese beiden Resorts sind eigentlich Chefsache! Das führt in die aktuelle Diskussion zur Ausschreibung des Postens des Bürgermeisters. Baubürgermeister oder Sozialbürgermeister? Die GVV muss Chefsache sein, das hat Häusler klar angepackt. Was darüber hinaus geht, ( das hat die Sanierung im Langenrain gezeigt ) ist pure Sozialpolitik. Wie einst Friedhelm Möhrle den mächtigen Ott an die Hand genommen hat, um ihm später auch persönlich die rote Karte zu zeigen, so hat Häusler heute die GVV zu führen.

In der Zeit erheblicher Finanznöte der Stadt wurden unter Renner Sozial-und Jugendamt an den Landkreis zurückdelegiert. Das war aber nicht das Ende der Sozialpolitik für Singen. Die Aufgabenbereiche landete dann teilweise bei Rechtsrat Thorsten Kalb. Und die Zukunftsaufgaben von Kinderbetreuung bis verlässlicher Ganztagsschule?

Ja, es kam immer etwas anders als gedacht. Das zeigt der kleine Ausflug in die Personalpolitik an der Rathausspitze. In den 90er Jahren habe ich gerne einen bitterbösen Spaß über die Singener Dreiherrlichkeit im Rathaus am Beispiel der Nordstadtentwicklung gemacht: Neef plant das Wohngebiet, Schlegel sorgt als Sozialbürgermeister für die Belegung der Restwohnungen und Renner hält einen Vortrag über Kriminalprävention! Möge es künftig anders werden.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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