Gerd Zahner skizziert Gaienhofener Bezüge zu Hermann Hesse
Ludwig Finckh als „alter vernagelter Nazi“

Die einen heroisieren Ludwig Finckh als den Retter des Stoffels, der seine braunen Beziehungen für einen frühgrünen Zweck einsetzte. Hermann Hesse, dessen Nähe er fast peinlich suchte, bezeichnete dessen Autobiografie 1961 als Buch eines „alten vernagelten Nazis“. Der Singener Autor Gerd Zahner hat sich jetzt auf den Weg der Wahrheitsfindung gemacht. In seinem theaterfähigen Dialog setzt er Ludwig Finckh 1957 im „Kreuz“ ans Fenster und lässt ihn Fräulein Lange, der Bedienung, mit zitternden Händen erzählen, wie er sein Leben eingeordnet sieht und worauf er im Brief, der geschlossen im Couvert vor ihm liegt, sehnsuchtsvoll wartet. Fazit: Eine Generalabsolution hat ihm Hermann Hesse nicht geschickt: Kein Freispruch für den einsamen, alten Mann. Und sein letzter Wein geht nicht mehr aufs Haus!

Wo siedelt man eine Lebensgeschichte an? Ort? Zeit? Inhaltliche Nähe? Blick der Nachwelt? Wer war Ludwig Finckh (1876 – 1964) wirklich? Er gehört zur Geschichte von Gaienhofen, blieb aber meist außen vor, wenn über die neue Heimat deutscher Künstler und Intellektueller auf der Höri speziell in der Nachfolge von Walter Kaesbach (1879-1961) geschrieben wurde. Dieser wurde oft zum Ziehvater der Künstlerkolonie auf der Höri hochstilisiert, dabei hatte er den Tipp von Helmuth Macke bekommen, der 1933 hergezogen war. Ich wurde ungläubig, als ich ein Aquarell von Erich Heckel vom Konstanzer Hafen von 1930 in den Händen hielt. Über das „Bellevue“ in Kreuzlingen, Treffpunkt traumatisierter Intellektueller nach dem Ersten Weltkrieg, fand ich den Weg zu Ludwig Kirchner und die Therapeuten Spengler in Davos. Ich begann zu hinterfragen, wer mir welches Bild von den kulturtreibenden Menschen auf der Höri vermitteln wollte. Immerhin war ich einigen noch zu Lebzeiten als ganz junger Journalist begegnet. Es galt andererseits als schick, über die Höri als Zufluchtstätte der Kulturgrößen vor dem Nazi-Ausstellungsverbot (Bücher) zu schreiben.

Mit dem Erinnern ist das so eine Sache: Die Eigenprofilierung bestimmt die Sicht der Dinge. Kaum zu glauben, wie spät das Hesse-Museum eröffnet wurde, und dass das einzige jemals vom Nobelpreisträger (1946) selbst erbaute Haus 2003 vor der Abriß gerettet werden musste! Die lokale Geschichte wurde selektiv betrachtet. Dabei prallten hier zu Beginn des letzten Jahrhunderts zwei Welten aufeinander, die unser ganzes Weltbild verändert haben: Hermann Hesse und Ludwig Finckh. Der aus Reutlingen stammende Tübinger Medizinstudent freundete sich dort mit dem Buchhändlerlehrling Hermann Hesse an. Finckh folgte 1905 Hesse nach Gaienhofen. Das Stadtarchiv Reutlingen vermerkt dazu: „Das völlig abgelegene Dörflein entsprach der antimodernen Grundhaltung der beiden Neuromantiker“. Beide waren durchaus erfolgreiche freie Schriftsteller. Aber was wurde aus ihrer Freundschaft von einst? Diese Frage ist für die Aufarbeitung deutscher Geschichte relevant. Finckh lechzte wie viele seiner Nachkriegs-Zeitgenossen nach einem „Persilschein“. Nach hartnäckigem Drängen empfing Hesse 1957 in seinem Haus in Montagnola. Doch eine Generalabsolution verweigerte Hesse seinem einstigen Freund, bezeichnete ihn als „alten, vernagelten Nazi“.

Dabei dreht sich doch die heimische alemannische Heimat um ihn, der den Hegau als „des Herrgotts Kegelspiel“ bezeichnet hatte. Ludwig Finckhs Wege führen durch die Landschaft. Im Internet ist die nachdenkenswerte Formulierung. „Wahrzeichen des Hegaus ist der Doppelgipfel des Hohenstoffeln. Am Fuße seiner nördlichen Zinne findet der Wanderer neben dem offengelassenen Steinbruch eine Gedenktafel mit der Aufschrift: ‚gewidmet Ludwig Finckh, dem Dichter und Hüter der Landschaft‘.“ Beim „Wahrzeichen“ bekomme ich Bauchweh: Ist schon wieder ein Superlativ nötig? Warum dann dieser? Für mich wären es Hohentwiel und Hohenkrähen, die Heimat des Popolius. Zuordnungen und Einstufungen eine Frage der jeweils gängigen Kultursicht? Ins Blickfeld gerückt ist Finckh heute neu. In Freiburg arbeitet der aus Radolfzell stammende Historiker Markus Wolter an den Fakten. In Singen hat Autor Gerd Zahner die inhaltlichen Konflikte beider Protagonisten jetzt zur Bühnenreife komprimiert. Sein Arbeitstitel: „ Ein Mensch bleibt Sieger im Kreuz“.

Wie sieht sich der Retter der Heimat in Zahners Stück selbst? Einen lockeren Spruch hat Finckh immer parat, wenn er mit der Bedienung parliert: „Lieder im Kreuz als am Kreuz“. Dafür ist sie es, wenn ein Mensch im Kreuz Sieger bleibt! Aber er trotzt: „Ich bin Arzt und Dichter und Forscher“. Er wertet Widerholt und die Macht des Hohentwiels: „Heute verehren die Singener, was sie einst verheerte.“ Seine eigenen Verdienste: „ Ja, er hat zwei Kronen des Hohenstoffel vor der Basalt-Gier gerettet!“ Und Hund Boppi? Dem wird mit deutscher Zeckengründlichkeit geholfen. Hat der Gaienhofener Bürgermeister Finckh verleumdet und als unerträglichen Nazi bezichtigt, der alle im Ort bevormunde? War er etwa fast schon ein Friedensfürst, weil er sich gegen den Sandabbau, den Bergabbau für Autobahnen und den Westwall kämpfte. 1938 habe Göring entschieden, den Stoffel-Abbau einzustellen. Finckh wörtlich: „Weinte ich!“ Und weiter: „Die wirklich großen Siege machen uns immer weinend!“

Was bewegt den Menschen Finckh sonst noch wirklich in seinem Leben? Er hatte geglaubt, Hermann Hesse könne an seinem Vorbild wachsen, seine Bücher liebe er ja . . . Mutterschaft und Familie als Werte habe er allerdings verflucht. Es geht um die „Boppis“, jetzt heißt so sein Hund, früher ein Behinderter im Buch „Camendzind“ von Hesse. Finckh wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe im Dritten Reich Euthanasie propagiert. Es sei eine Frechheit, nach dem Krieg fünf Jahre mit Berufsverbot zum Schweigen gebracht worden zu sein. Und auf dem Gelände Tiergarten4, dem Standort der Behindertenvernichtungsplanung, spielte heute doch die Philharmonie!

Ja, Biografen sind wie schlechte Schneider! Der Anzug ist zu groß oder zu klein: Für Finckh war er 1941 zu groß und vor allem zu früh! Er veranstaltete Lesungen daraus, doch nach 1945 wog alles plötzlich anders und vor allem viel schwerer. Er habe zur Sippenkunde aufgerufen , nicht zum totalen Krieg! Es ging zum Glückssymbole, das Hakenkreuz, das er aus dem Runenschlaf wach küßte. Und jede deutsche Mutter bedürfte einer Ehrung: am Muttertag! „Meins“ läßt Zahner Finckh sagen: „Wer hätte mehr die Welt verändert!“ „Ich wurde nie reich damit“; „ich meinte es gut“. So rechtfertigt sich Finckh im Bühnenstück. Er habe jetzt eines gelernt, Hesse hätte viel früher als er begriffen, das Geschichten ein abruptes Ende nehmen müßten! Bevor das Nachdenken einsetzt? Gerd Zahner hat dafür eine neue Tür geöffnet

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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