Wenn die SS-Vergangenheit die Universität einholt
„Konzentrationsgeruch“ im Audimax

Faschismus, Totalitarismus , Kriegsverbrechen, Unrechtsstaaten, Völkermord: Wie gehen wir heute damit um, wenn die Ereignisse uns näher kommen? Der Konstanzer Professor Hans Robert Jauss war ein hochrangiger SS-Vertreter, ein rechtmäßig verurteilter Kriegsverbrecher. Und dennoch findet er Fürsprecher, wenn Autor Gerd Zahner mit seinem bühnenreifen Stück „Die Liste der Unerwünschten“ die längst bekannte Wahrheit auf die Bühne, also auf den Begriff, bringt. Im Konstanzer Audimax wurde die Szene letzten Mittwoch nicht zum Tribunal. Eigentlich war alles vorab klar: Das von der Uni in Auftrag gegebene Gutachten von Dr. Jens Westenmeier wurde am Nachmittag in den Kernpunkten veröffentlich. Danach war Jauch ein SS-Mann aus Überzeugung. Seine Vita ließ keine Zweifel offen. Was Regisseur Didi Danquart und Schauspieler Luc Feit auf die Bühne gezaubert hatten, erntete mehr als Gesinnungsbeifall. Unter den rund 500 Besuchern spürte Dankquart einen „Konzentrationsgeruch“ während der Aufführung. Viele fühlten sich betroffen. Gutachter Dr. Westenmaier fühlte sich „emotional mitgenommen“. Das galt vor allem für jüngere Besucher aus dem studentischen Bereich. Der Block der Jauss-Freunde war beim Betreten des Saals nicht zu übersehen. Mein Blick blieb bei dem Mann hängen, der später als erster in der Diskussion seine vorgefertigte Stellungnahme abgeben sollte. Schließlich geht es um mehr als die Aufarbeitung einer Nazi-Karriere. Viele Köpfe aus dem Wissenschaftsbetrieb hingen am „Tropf“ von Professor Jauss, manche Karrieren waren von ihm angestoßen. Dann noch geht es um den Wissenschaftsbetrieb schlechthin: Für wieviel Innovation sollte die Reformuniversität Konstanz wirklich gut sein?

Warum die Causa Jauss? Autor Gerd Zahner redete Klartext: Um über Junkerschulen im Dritten Reich zu reden, wäre niemand gekommen! Darüber wolle er reden. Er sehe Parallelen zu den Prinzipien der Waffen-SS heute wieder. Die Koranschulen seien ähnlich, es gehe immer wieder auf der Welt darum, Soldaten zu produzieren. Die Auseinandersetzung mit den Junkernschulen sei nötig, um die Gegenwart besser analysieren zu können. Zahners „Pech“: Auf diesen Aspekt wollte in der nachfolgenden öffentlichen Diskussion niemand eingehen. Vielmehr ging es um die heeren Ziele der Wissenschaftlichkeit und des Wissenschaftsbetriebs. Wie war das also mit der Liste der Unerwünschten? Waren unter den Franzosen, die Opfer wurden, auch Anhänger des Vichy-Regimes, die selbst Nazianhänger aus Begeisterung waren? Wie war das mit der eingespielten Namensliste am Anfang: Abgeprüft, ob da keine falschen darunter waren? Hat Jauss überhaupt selbst Leute ins KZ geschickt? Dr. Westenmeier räumt ein, dass Aussagen zu den Vichy-Anhängern noch im Schlussgutachten zu tätigen wären. Aber im Klartext: Jauss sei kein Ausnahmefall. Solche Lebenswege und „Karrierewege“ als SS-Führer seien immer wieder in den Akten zu finden. Da sei ein kritischer Geist hochpolitisiert, der in ein radikales Bekenntnis münde. In der Diskussion war das Bemühen zu spüren, bei Jauss das Werk und die Verdienste um die Konstanzer Universität von seiner Vorgeschichte zu trennen. Der Konstanzer Wissenschaftsbetrieb meldete sich Zug um Zug zu Wort: Bedenkenträger, wenn es um Details des aufgeführten Stücks ging. War er nun als Kriegsverbrecher verurteilt? Dr. Westenmeier relativiert es, Gerd Zahner legt juristisch nach: Das Kontrollratsgesetz kannte Kriegsverbrechen in vier Punkten. Nach dem vierten wurde Jauss rechtskräftig verurteilt, der Text war im Stück verlesen worden! Der nächste Anlauf zur Relativierung: Wessen Texte spielte überhaupt Luc Feit? Fiktionen des Autors oder wie bei „Richard III“? Zahner ein neuer Shakespeare? Der Rechtsanwalt kontert: Jede Menge Dokumente, Aktenmaterial – und dann gibt es natürlich immer noch einen Autoren!

Aber, was machen die anderen Autoren? Im Internet ist zu lesen: „Ein Denkmal wackelt“. Da wackelte im Audimax aber nichts mehr, kein Hauch von umstürzenden Monumenten. Die „Causa Jauss“ ist erledigt. Wach werden lässt ein Zwischenruf einer Zuhörerin, die sich als Jüdin outet: Bei Diskussionen um die Schuld aus der Vergangenheit habe sich in Deutschland immer noch nichts geändert! Sie geht mit einer Freundin demonstrativ. Zwei Tage später lese ich die Überschrift „Ein Romanist im Zwielicht“. Das ist genau das, was diese Frau meinte: Hier wird schon wieder relativiert, so wie wir es aus der Nachkriegszeit kennen. Die einen sagen eben so, und die anderen sagen es anders. Wer von uns war schon dabei? Da meldet sich ein „Ehemaliger“ von Jauss, der aus Frankreich extra angereist war, um der Wahrheit seines früheren Professors näher zu kommen. Er stellt die richtige Schlussfrage: Wie konnte Jauss alle so täuschen, dieser alerte Professor sein, eben ein beliebter Gesprächspartner? Der Franzose gab die Antwort: „Alles bei der SS gelernt!“

Das war doch der Anfang bei Zahner: Menschenverachtende Strukturen, Totalitarismus, Islamismus. Und wir diskutieren plötzlich darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Wie gehen wir mit dieser Vergangenheit heute um? Mit ähnlichen Gedankengängen wie die Rechtfertiger von Jauss? Da kommen bei mir Erinnerungen hoch. Bei einer Diskussion um Nazi-Verbrechen meinte eine Teilnehmerin: „KdF“ sei ja doch ganz gut gewesen! Und Jauss? Hat der nicht zwischendrin hochgeistige Literatur gelesen? Und in Konstanz war das dann „tätige Reue“?

Eine persönliche Rückfrage hat mich letzte Woche bewegt. Als ich Oliver Fiedler eine Textänderung zur „Causa Jauch“ ankündigte, sprachen wir darüber, dass ich ja auch Jauss als Professor erlebt hatte. Fiedler fragte ganz direkt: „Und Sie haben nichts gemerkt?“ Ja, da liegt eine Generation zwischen uns. Und ich antwortete: „Nein, aber wir waren von der Schule her schon gewohnt, Lehrer mit Nazi-Vergangenheit vor uns zu haben.“ Romanisten dürften dabei eine besondere Affinität gehabt haben.

PS: Um der Wahrhaftigkeit willen: Jauss schreibt man mit ß, ich habe mir die andere Schreibweise wegen inhaltlicher Rechtfertigung angeeignet.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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