Neurologische Rehabilitation erweitert vor der Haustür
Kliniken Schmieder 40 Jahre in Allensbach

Die Schlagzeile ist nüchtern, dabei verbirgt sich dahinter eine unvergleichbare Erfolgsgeschichte in unserer Region. Zwei neue Gebäude sind in den letzten beiden Jahren entstanden: ein barrierefreies Empfangsgebäude mit großzügigem Aufenthaltsbereich, integriert die zentrale Belegungsabteilung mit neuem Bettenhaus. Am 27. Mai wird um 16 Uhr eingeweiht, zum „Tag der offenen Tür“ ist die Bevölkerung am 5. Juni eingeladen. 40 Jahre Veränderung und ein neues Profil verrät die Einladung. 15,4 Millionen Euro wurden jetzt investiert, 35 zusätzliche Betten so geschaffen. Ja, Weltbewegendes wurde hier im Kreis Konstanz geschaffen, seit Dr. Friedrich Schmieder 1950 die Kliniken im Schloss Rheinburg in Gailingen gründete. Für mich sind es Begegnungen aus nahezu 50 Jahren, seit ich als Mitglied des Schulchors des Singener Hegau-Gymnasiums erstmals auf der Bühne der Gailinger Hochrheinhalle stand. Nachdem Singen erstmals den Traum von einer Stadthalle ausgeträumt hatte, weil die Stadt nie ein Thermalbad werden würde, bestaunten wir das neue Kulturzentrum am Hochrhein. Willy Millowitsch stand hier mit seiner Theatercrew auf der Bühne. Und das machten alles die neuen Kliniken Schmieder aus? Meine Neugierde war geweckt.

Gleich mit 210 Betten wurden die neuen Gailinger Kliniken 1960 eröffnet. Und dazu stand die neue Infrastruktur von Gailingen weitgehend. Dr. Schmieder hatte einen enormen wissenschaftlichen Kenntnistand aus der Hirnforschung an der Uni Heidelberg hinter den Rauhen Berg mitgebracht. Seine Konzeption der neurologischen Rehabilitation setzt bei einem Gesamtbild des Menschen an. Dazu gehörten eben auch Geselligkeit und Kultur. Die Schmiederschen Patienten waren draußen unterwegs, genossen in Grüppchen die Schifffahrt auf dem Rhein. In Gailingen gab es plötzlich ein Kino! Dr. Schmieder hatte den Betreiber des Singener Central-Kinos gleichsam „abgeworben“, denn er setzte früh auf die „neuen Medien“. Heinz Behrends erzählte mir staunend, wie es audiovisuelles Trainungsprogramm entwickelt wird, um es dann im Film für die Rehabilitation umzusetzen. Die Kliniken verfügten inzwischen über einen eigenen Narrenverein, den des Dr. Eisenbart, bei dem ich Behrends wiedersehen sollte.

Kurzer Sprung ins heutige Jahr: Die Kliniken Schmieder konzentrieren sich auf sechs Standorte in Baden-Württemberg, in denen im letzten Jahr 13000 Patienten von 1800 Mitarbeitern betreut wurden. Behandelt wird in allen neurologischen Phasen. Das kleine Imperium wird von Dr. Dagmar Schmieder, einer Tochter des Begründers, geleitet, die das Erbe ihres Vaters auch geschickt im vorpolitischen Raum fortführt.

Gerade die 70er Jahre waren vom Kampf um Anerkennung geprägt. Die Krankenkassen als flächendeckender Finanzierer neurologischer Rehabilitation in der heutigen Situation waren damals kaum zu erträumen. Als Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt 2007 die Einrichtungen in Allensbach besichtigte, war es zwar ein großer Tag für die Kliniken aber inzwischen fast schon so etwas wie gelebter „Alltag“. Der Ministerin wurden Patienten vorgestellt, durch die Lücken bei der neurologischen Nachsorge von Gesellschaft und Politik darstellbar waren.

Aber genau da begannen meine beruflichen Erinnerungen wach zu werden. In den 70er Jahren: Dr. Schmieder war zwar in der Region politisch bestens vernetzt, doch bisher hatten Landesminister einen großen Bogen um die Kliniken in Gailingen gemacht. Dr. Robert Maus, Landrat und Landtagsabgeordneter, hatte es möglich gemacht: Sozialministerin Annemarie Griesinger reiste an, um sich selbst einen Eindruck von den Kliniken zu verschaffen. Zum ersten Mal gehörte eine Frau dem Landeskabinett an. Und sie sollte in die Geschichte eingehen. Bei Wikipedia heißt es lapidar: „Sie setzte sich in dieser Zeit unter anderem für ein flächendeckendes System von Sozialstationen und Behindertenwerkstätten ein.“ Aber auch für Gailingen und Dr. Schmieders bahnbrechende Therapien gab es einen Durchbruch.

1974 wurde dann in Allensbach eröffnet. Zu Besuch in den Kliniken war bald Lothar Späth als Fraktionsvorsitzender mit seinen Landtagskollegen. Da ging es zum einen um die Weiterführung der Autobahn ab Allensbach-West und auch darum, wie weit die Trassenführung zu einer Lärmbelastung für die Kliniken führen könnte. Und natürlich präsentierte Dr. Schmieder dem späteren Landesvater sein Werk. Die Nähe zur Landespolitik pflegte seine Tochter Dagmar weiterhin mit Erfolg. Das zahlte sich bei der Krankenhausbedarfsplanung des Landes im Jahr 1990 durchaus aus. Der Standort Allensbach wurde mit klarem Profil abgesichert: Die neurologische Akut-Versorgung wurde zu einem Gewinn für die ganze Landschaft, hinzu kam der Schritt in die Geriatrie. Die Neurologie am Singener Hegau-Klinikum arbeitet heute unter dem gemeinsamen Dach mit Chefarzt Professor Dr. Christof Klötsch. Die Zusammenarbeit hat sich bewährt. Entwickelt wurden Konzepte, um bei Schlaganfällen schneller handeln zu können. Aufregend ist es da für einen Journalisten, das selbst in der Praxis zu erleben, worüber er einst aus einer Pressekonferenz geschrieben hat.

Promis sind in Allensbach an der Tagesordnung: alles still und diskret. Es geht um die Hilfe am Menschen, den individuellen Neustart ins Leben. Hier ist das Lebenswerk von Dr. Friedrich Schmieder stets präsent. Seine Liebe zur bildenden Kunst ist überall sichtbar. Hier wird der Mensch mit allen seinen Sinnen angesprochen. Und die Forschung arbeitet unter dem gleichen Dach. Weltbewegend.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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