Seine Amtszeit vom Rat gerne verlängert
Hirlings Ohrfeige traf Helmut Ruf
Helmut Ruf war in seiner Zeit als Leiter des Vermessungsamts der Stadt und als Bürgermeister einfach souverän. Dabei hatte er starke Gegenspieler im Amt wie im Gemeinderat. Selbst wenn er Gegenwind zu spüren bekam, blieb er gelassen. Er war eben doch ein Immobilienprofi durch und durch. Auseinandersetzen musste er sich gerade in den 70er Jahren mit den neuen Kräften am Markt. Bautreuhand und Betonbau GmbH setzten Zeichen. Wie aber würde es mit der Statik aussehen, wenn die Prüfer angesagt waren? Eine junge Journalisten-Generation lag plötzlich auf der Lauer. Die Kameras spielten plötzlich eine große Rolle. Großer Vorreiter war mein Studienfreund Dieter Britz, der Meister der Brennweiten. Unvergessen ist, wie wir während des Bauprüfungstermins an einem Samstag bei der Betonbau im Gebüsch lagen. Wir dokumentierten, wie schwere Gewichte vom Dachwerk herunterhingen. Doch am Ende war alles in Ordnung, aber auch diese Meldung mussten wir glauben. Auch mit Kameras bewaffnet, blieb der Journalist weitgehend hilflos, denn Fakten zählten trotz des neuen Hanges zu Glaubensbekenntnissen!
Helmut Ruf blieb souverän trotz mancher Anfeindungen. Waren etwa in der Südstadt Anliegerbeiträge falsch berechnet worden? Waren Grundstücksbesitzer etwa zweimal oder gar dreimal zur Kasse gebeten worden? Mitten in einem OB-Wahlkampf behauptete dies Rathausmitarbeiterin Frau Schiller. Mitten in der Auseinandersetzung war ich bei einem Faktencheck im Rathaus dabei. Ich legte mich schnell fest: Anliegerbeiträge wurden natürlich mehrfach herangezogen – für die Grundstücke an der Grubwaldstraße sowie für die Entwässerung im Grubwaldgebiet! Wer ein Eckgrundstück ergattert hatte, zahlte einmal für die rechte Seite und einmal für die andere Seite! Verschenkt wurde nichts seitens der Stadt. Unruhe herrschte beim Lokaltermin, Helmut Ruf blieb gelassen, selbst beim Gegenwind!
Wenn es um Immobilien ging, dann fiel in Singen damals immer wieder der Name Rudolf Hirling! Da waren Emotionen unterwegs, wenn die Stadtoberen und der staatenlose Stadtrevoluzzer aneinander gerieten. Eines hatten beide gemeinsam: Sie bekundeten immer wieder, dass ihnen in der Stadt schlichtweg nichts gehöre! Deshalb schenkte die Poppele-Zunft einmal Helmut Ruf einen Quadratmeter! Hirling hatte zusammen mit seinen Geschwistern geschworen, dass sie vom Grundbesitz ihres Vaters keinen Quadratmeter herschenken würden, denn sein Erbe sollte im Umfang erhalten bleiben! Hirling gab nichts her im Namen der Erbengemeinschaft, tauschte aber für gemeinnützige Zwecke. Hielt sich die städtische Seite nicht korrekt an die Vereinbarungen, war der nächste Krach gewiss.
Da Hirling über viele Grundstücke in der Stadt verfügte, brauchte man immer wieder seriöse Vermittler. Helmut Graf und Hein Rheinberger waren vorab zu nennen. So konnte die Leichenhalle dank des Entgegenkommens von Hirling gebaut werden. Der aber tobte plötzlich: Wo sind die wunderschönen Bäume geblieben? Hirling habe zwar das Grundstück zur Verfügung gestellt, nicht aber die Bäume hergegeben. Dass die gefällt werden müssten, war ihm schon klar. Aber das Holz wolle er wieder in seinem Besitz haben! Auch diese Sicht der Dinge konnte Journalisten einleuchten! War nun die nächste Friedensrunde fällig? Wer also war neben dem OB der bekannteste Singener im Land? Es war Rudolf Hirling!
Dann kam der Tag der Tage im Singener Rathaus: Die Erbengemeinschaft Hirling sollte an der Freiheitstraße im Gehwegbereich enteignet werden. Das Regierungspräsidium hatte geladen. In einer Sitzungspause ohrfeigte Rudolf Hirling Bürgermeister Helmut Ruf. Ich stand nebendran und wurde Zeuge der Tat und dann für die Kriminalpolizei. Ich befand mich in einer Fensternische mit Verfahrensbeteiligten, darunter Rudolf Hirling, als der Bürgermeister zur Verhandlung kam. Ruf begrüßte mich mit Handschlag; dann streckte er seine Hand Hirling aus. Die Szene war gespenstisch, denn Hirling verweigerte den Handschlag und holte zur Ohrfeige aus! Der Skandal war da! Hirling wurde wenig später für einen Parkstreifen enteignet, den später niemand mehr gebraucht hat.
Der stellvertretende Singener Kripochef Seebacher ging gründlich an die Arbeit. Hatte Hirling einmal mehr auf nicht zurechnungsfähig plädieren wollen? 1956 hatte er den berühmten Paragrafen im Zusammenhang mit dem Bau der Gewerbeschule „verpasst“ bekommen. Seebacher wälzte Aktenberge, wollte eingrenzen, weshalb genau Hirling nicht zurechnungsfähig sein sollte? Ja, wenn ihm bei städtischen Bauangelegenheiten Unrecht geschehe. Meiner Meinung nach gehörte hier keine Ohrfeige dazu! Vielmehr hatte ich die Aktion voller Berechnung kommen sehen! Aber offenbar ist es in Deutschland leichter der Paragrafen der Schuldunfähigkeit zu bekommen, als ihn wieder loszuwerden!? Letzteres wollte Hirling selbst zudem nicht. Es war doch viel zu schön, böse Zeitungszettel unter Missachtung des Urheberechts verbreiten zu können! Die Affäre verlief im Sand, seine Sonnenblumen blühten weiter an der Herz-Jesu-Kirche. Rufs Amtszeit wurde verlängert, weil alle mit seiner Amtsführung zufrieden waren. Das war dann auch die Zielsetzung bei seiner Amtseinführung gewesen.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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