Weiter Nachdenken zum Politischen Aschermittwoch des Wochenblatts
Gesellschaftsspiel: Der Schwache trägt das Risiko

Beim letzten politischen Aschermittwoch des Singener Wochenblatts ging es um die Zukunft des Gesundheitswesens im Wochenblatt-Land. Das Thema wirkt nach. Letzte Woche ging es in der Print-Ausgabe im Interview mit Klaus Schramm, dem Leiter der Agentur für Arbeit unter dem Hohentwiel um die Grenzen zur Armut. Oder wie anders sollte man die Berechtigung zum Einkauf im Tafel-Laden bezeichnen? In der letzten Woche ging es um die künftigen Beitragssätze zur Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Die Mehrkosten, zumindest das Risiko dazu, wurden neu definiert. Die Zuzahlungen sind schon lange ein heißes Thema, an dem sich manche Krankenkassen schon die Finger verbrannt haben. Das gab am Aschermittwoch DAK-Vizechef Claus Moldenhauer auf der Wochenblatt-Bühne offen zu, denn der DAK waren durch die Einführung viele Mitglieder weggelaufen. Klar ist aber auch, dass Zusatzbeiträge nur eine von verschiedenen Justierschrauben im Beitragssystem sind. Das Ganze ist wie ein Gesellschaftsspiel: Wer trägt nun das Risiko? Ist es am Ende nicht der Schwache, der auf Leistungen vom Solidarsystem hofft?

Es lohnt sich ein Blick auf die Praxis der Krankenkassen bei den Hilfsmitteln oder auch Heilmitteln. Hier können die Krankenkassen mit einem einzigen Satz Geld sparen: „Die Kosten können von uns nicht übernommen werden!“ Da geht es gleich an die Grundlagen des ganzen Systems: Wer verschreibt Leistungen? Das tut der Arzt. Doch folgt die Krankenkassen seinen Verordnungen etwa nicht? Er wird zu weiteren Begründngen zum Rezept aufgefordert, zu Dienstleistungen außerhalb der Honorarordnungen. Seine Verordnung wird in Frage gestellt, seine Kompetenz in gleichem Maße. Werden Hilfsmittel abgelehnt, bekommt ein Patient Nachhilfeunterricht besonderer Art:

„Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder seinen Gesundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich, sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Das Hilfsmittel dient nicht der Krankenbehandlung oder dem Behinderungsausgleich, es gehört in lhren persönlichen Verantwortungsbereich. Die medizinischen Voraussetzungen für das beantragte Hilfsmittel liegen nicht vor. Leistungen, die nicht notwendig sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“

Die sprachliche Feinabstimmung muss Widerspruch provozieren. Hier werden die Grundfeste unseres medizinischen Systems zutiefst erschüttert. Der Patient versichert sich gegen Krankheit und Handicaps. Dafür bekommt er das „Kleingedruckte“ galant nachgereicht. Er hat also den Eintritt von Krankheit und Behinderung selbst zu vermeiden. Ist das nicht genau die alte Position der „gekippten“ Bonus-Regelung, dass der Gesunde, der ein Quartal lang nicht zum Arzt geht, einen Beitragsnachlass erhält? In unserem Fall wurde die verordnete Aufstehhilfe im Nachgang akzeptiert. Sie diente eben auch dem Versuch, eine größere Operation zu vermeiden. Peinlich ist dabei, dass die Diagnose des Facharztes zum Zeitpunkt der Verordnung durch den Hausarzt noch garnicht bei der Krankenkasse abgerechnet sein konnte. Der versuchte vielmehr in Kooperation mit dem Patienten den weiteren „Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden….“ Und das bei einem „Kunden“, der bereits überwiegend im Rollstuhl sitzt.

Es geht um einen großen „Verschiebebahnhof“ von Risiken, Verantwortlichkeiten und Kostenübernahmen. Haben sich die Krankenkassen nicht bereits aus vielen Bereichen verabschiedet? Früher gab es zwei Krankenscheine – einen für den Hausarzt und einen für den Zahnarzt. Mit dem zweiten waren die verursachten Kosten an den eigenen Zähnen abgedeckt. Zudem gab es noch eine Art Krankenkassengebiß. Wer mehr Lebensfreude am Gaumen wollte, musste tiefer in die Familien-Schatulle greifen. Und heute? Jugendliche bekommen schon eine Zahn-Zusatzversicherung kurz vor Eintritt in die Erwachsenenwelt angeboten. Aber wissen die Kunden immer genau, wofür diese Kasse wirklich aufkommt? Oder was ist Stand der Technik? Das neu Stichwort: Einmal gebohrt, zweimal gezahlt! Immer öfter ist der Eigenanteil höher als die Zuzahlung der Krankenkassen. Schon vergessen: So hat das bei den Brillen auch einmal angefangen…

Machen wir einen Sprung in die staatlichen Versicherungszusagen. Wer sich aus der Arbeitslosigkeit selbständig macht, kann sich freiwillig gegen Arbeitslosigkeit weiterversichern. Das war in den letzten Jahren mit einem erheblichen Satz bei den Gebühren verbunden. Jetzt sind es rund 80 Euro im Monat. Aber wehe dem, der nicht pünktlich seinen Obulus dem Staat entrichtet. Da kämpft also ein junger Firmengründer ums nackte Überleben. Nicht immer ist das Konto bei Abbuchungen ausreichend gedeckt. Dann kommt nach einem Vierteljahr ohne Einschreibebriefe die rote Karte. Verspätete Zahlungen nimmt die Versicherung nicht mehr an, Widerspruch ist sinnlos. Denn da kommen am Ende zwei entscheidende Sätze: „ Jedoch ist der Erhalt von Zahlungserinnerungen und Mahnungen keine Voraussetzung für das Ende des Versicherungsverhältnisses. Das Versicherungspflichtverhältnis endet auch dann, wenn die Bank als Erfüllungsgehilfe des Widerspruchführers für das Ausbleiben der Beitragszahlung verantwortlich ist!“ Das ist einfach großartig, wie sich der Staat hier aus der Verantwortung stiehlt. Erst die Werbung um Existenzgründer und dann ab ins kalte Wasser! So verliert man beim Gesellschaftsspiel, wenn man wieder einmal zu schwach bei Kasse ist. Beim Risiko ist jeder am Ende ganz allein.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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