Finanzkrisen beweisen: Ohne Knete keine Klasse
FC Singen 04 spiegelt Stadtgeschichte

Der FC Singen 04 hat schon viele Krisen hinter sich – sportlich wie finanziell. Keine Klasse ohne Knete! Aber mit dem Finanzamt hatte man in der Vereinsgeschichte nie so ausgeprägt Ärger wie derzeit. 1963 wurde mit der Schaffung der 1. Bundesliga der Schritt in den offiziellen Profifußball vollzogen. Für den FC Singen war dies das Schicksalsjahr, verbunden mit dem Zwangsabstieg aus der 2. Liga Süd. Geldprobleme verbunden mit heiklen Geschäftsmodellen gab es vorher und hinterher. Die echte Kassenlage war meinst das große Vereinsgeheimnis. Wie konnte etwa Johan Neeskens in den 90er Jahren als Trainer unter den Twiel geführt werden? Eine Schweizer Baufirma hatte Singen als Deutschland-Sitz erkoren gehabt. Ihr Emblem zierte das Trikot des neuen Oberliga-Aufsteigers. Wie weit hatte das eine mit dem anderen zu tun? Fragen kann man zum Geld im Fußball jederzeit stellen. Ob es ehrliche Antworten gibt, ist mehr als fraglich.

Die Geschichte des FC Singen spiegelt die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Bezirksmeister war der Verein 1923, 1930 ebenso in der Schwarzwaldliga. 1951 war der FC 04 erstklassig in Deutschland. Ein Jahr lang gastierte die Elite auf dem alten Waldeckportplatz. Um die Anzahl der Zaungäste zu begrenzen, schirmten Werbebanner der Blaubandstumpen auch später noch ab. Der Jubel aus zehntausend Kehlen erschallte im Osten der Stadt, wenn die Eintracht aus Frankfurt oder der Club aus Nürnberg auftrumpften. Im Internet gibt es eine „ewige Tabelle“ der Oberliga Süd ab 1945. Auf der steht der FC Singen auf Rang 28. Zanin, Dr. Joachimski und Wilimowski stehen für erfolgreiche Nachkriegsmannschaften, deren Wurzeln im Kriegsgefangenenlager bei der Theresienkapelle zu finden sind.

Der FC Singen lebt von Mythen, voran die Deutsche Amateurmeisterschaft 1958, die auch Hennes Strittmatter zur Legende werden ließ. 1956 war das Hohentwiel-Stadion eingeweiht worden. Der jetzt erfolgte Rückbau lässt manchen Fußballfreund trauern. Hier erlebte der Verein Sternstunden. Nationaltorwart Wolfgang Fahrian spielte hier mit seinen Ulmern. Zur Tribüneneinweihung spielten nach dem aktuellen Deutschen Meister TSV 1860 München unter Trainerlegende Max Merkel die neuen Newcomer der Bayern mit Beckenbauer, Maier und Co. Das war lange der Zuschauerrekord. Die Meisterrunden 1971 und 1972 beinhalteten den nächsten Mythos mit dem großartigen Spielmacher Dieter Koulmann. An die 20 000 Zuschauer fasste das Stadion, als die Fans aus Mannheim mit dem Sonderzug in Singen unter Polizeischutz ankamen. Hier stand mit Günter Wienhold der Torwart der Deutschen Amateurnationalmannschaft zwischen den Pfosten.

Singen schaffte den Aufstieg nach einem legendären Entscheidungsspiel in Offenburg nicht. Das Tor des Mittelstürmers Laumen wurde wegen Stürmerfoul nicht gegeben, obwohl auf meinem Pressebild die Faust des gegnerischen Torwarts an Laumens Hals zu sehen war. „Reich“ war der FC Singen trotz zweier Aufstiegsrunden nicht geworden, hatte sich aber eine Eigentumswohnung in „Romulus und Remus“ am Berliner Platz gekauft. Damit wollte man künftigen Spielereinkäufen Rechnung tragen. Längst hatte man begriffen, dass Arbeitsplätze ein wirkungsvolles Angebot für Spieleranwerbungen war. Erster Lizenzspieler beim FC 04 war Werner Rumpf gewesen. Arbeit fand er beim Stellenmarkt des Singener Wochenblatts. Mittelstürmer Gerd Obermeit fand sich beruflich am Obststand des Kaufhauses Eska bei Paul Lutz wieder. Erfolg hatte der Verein während der Krise am Arbeitsmarkt in Duisburg gehabt. Vier leistungsstarke Spieler kamen unter den Hohentwiel. Als später eine solche Anwerbung per Inserat im Saarland erfolgen sollte, wurde die Aktion zu früh bekannt. Zu stark lag dem FC die Eigentumswohnung im Magen. Die Beichte bei der folgenden Generalversammlung führte im „Adlersaal“ zur Krisenunterbrechung. Mit Mühe gab es noch einen Vorstand, die Wohnung wurde mit Verlust verkauft, mit den Gewinnen aus den Aufstiegsrunden sollte Gemeinnütziges geschaffen werden, ein eigenes Clubheim wurde angedacht.

Das Problem des FC 04 war in der Stadt immer gleich: Bei Erfolgen wurde er geliebt, sonst lieber verspottet! Südstern und ESV hatten fusioniert und sportlich aufgerüstet. Plötzlich spielten beide in der obersten Amateurliga. Da war jahrelang der FC Gottmadingen der eigentliche Lokalkonkurrent in der Schwarzwald-Bodensee-Liga. In der Zeit der Spieleranwerbungen lagen einmal FC-Präsident Hans Schmidbauer und der Gottmadinger Finanzier Josef Emminger zeitgleich im Singener Krankenhaus. Ihre Telefonrechnungen wurden vertauscht. Plötzlich erkannten beide, an welchen Einkäufen beide interessiert waren. Ja, starke Führungspersönlichkeiten prägten die Fußballvereine. Zudem ließen sie sich ungern in die Karten schauen. Das wurde beim Clubheimprojekt des FC 1975 überdeutlich. Die Konstruktion des Fördervereins scheiterte, nachdem die organisatorischen Schwächen des Vereins unübersehbar auf dem Tisch lagen. Der erste Vorstand warf das Handtuch, nachdem er die zugesagte Mitgliederliste des Fußballclubs nie erhalten hatte. Dann nahm eben Hans Schmidbauer alles selbst in die Hand. Das nötige Geld warf er selbst in die Baukasse. Und wieder taumelte der Verein insgesamt in die Krise. Beim Clubheimbau war geschworen worden, das Haus nie zur Finanzierung des Spielbetriebs beleihen zu dürfen. Just aber dies war passiert!

Für Hiobsbotschaften war der FC immer gut! Zudem hatten Vorsitzende bisweilen einen schweren Stand. Als Vorsitzender warf Zollbeamter Lorek in den 70er Jahren schnell wieder das Handtuch. Durchhaltevermögen bewies Sozialrichter Dr. Heinz Hilpert. Ihm wurde Hochachtung erwiesen. Probleme hatte Oswald Ammon, dem nach dem Amtsantritt monatelang der Blick auf die Kassenlage vorenthalten wurde. Das Handtuch etwa zeitgleich geworfen hatte auch Beiratsmitglied Heinz Troppmann, der die Schuldenpolitik des Vereins nicht mittragen konnte. Journalisten mussten mitrechnen, wenn sie eine aktuelle Hausnummer erfahren wollen. Wichtig war, auf der Höhe der Ereignisse zu sein.

Abstiege waren emotionale Lehrstunden. Der Abstieg war 1957 vor meiner Zeit. Presseartikel kündeten davon, dass der Schiedsrichter nach der Niederlage gegen Darmstadt im Koffer versteckt vom Platz getragen wurde. 1964 wurde der Aufstieg gegen Ebingen in den Schlussminuten vergeigt. Mit der Aufstiegsrunde 1971 wechselte ich den Platz vom Zuschauer zum Sportfotografen. 1975 erlebte ich den Verein im Vorstand des Clubheim Fördervereins. Ein Neuangang folgte dem anderen. Unvergessen ist das Engagement von Manfred Engesser und Wolfgang Denzel zur Unterstützung der Nachwuchsarbeit im Verein. Mit Beginn des Neeskens-Kult war mir der FC fremd geworden. Eine zeitgemäße Sportanlage wünschten sich Präsident Dr. Hans-Joachim König und Vorsitzender Roland Grundler. Sie ist jetzt da. Aber aus dem Verein wird jetzt eine GmbH. Wer wird sie führen? Nach Leipziger Vorbild?

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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