Im Rathaus fehlt oft kritische Distanz zu den Akteuren
Erbhöfe in der Kommunalpolitik?
Bei der „Gretchenfrage“ geht es drum, wie man es mit der Religion hält. Beim örtlichen Mitarbeiter der Medien, der aus dem Rathaus berichtet, stellt sich die Frage etwas anders: Wie hälst Du es mit der kritischen Distanz zum Bürgermeister und den kommunalpolitischen Größen unter dem Kirchturm? Manchmal wird man direkt darauf gestoßen: Warum muss der oder die fast jeden Tag im Blatt abgelichtet sein? Oder: „Diese Kauleiste kann ich nicht mehr sehen, wenn ich am Morgen die Zeitung aufschlage!“ Natürlich muss man den Inhalt von der Häufigkeit trennen, doch oft reduziert sich die Information auf das schlichte Wiedergeben eines „Lattenzauns“: „Unser Bild zeigt von links…“ Da fängt mein Widerspruchsgeist an: Da nimmt man doch vielfach eine Ankündigung für die Tat! Inszenierte Bilder werden oft schon vor einer Pressekonferenz zum Beispiel vorbereitet. Da wundert sich der Leser, wenn in allen Medien letztlich die gleichen Motive nach einem inhaltsschweren Termin zu sehen sind.
Eines ist sicher: Den klassischen freien Mitarbeiter der Zeitungen gibt es in der Form schon lange nicht mehr! Dafür gibt es Pressestellen, Amtsblätter und eine völlig veränderte Struktur der kommunalpolitischen Struktur. In den 80er Jahren hatte mich ein Hinweis stutzig gemacht, wonach Bürgermeister aus dem Hegau miteinander diskutierten, wer in seinem Ort den besten Pressemitarbeiter hat, der alles, was er will und für wichtig hält, in der Zeitung entsprechend unterbringt! Das hatte mich geschockt, wenngleich ich sehr genau wusste, wie froh man auch schon einmal um einen Ratsschreiber war, der zumindest kommunale Grunddaten vermittelte. Der war zum Teil fast schon lebenswichtig, zumal im Vertrieb der Tageszeitung eine Strichliste über Lokalberichte geführt wurde. Bei Zeitungsabbestellungen aus dem jeweiligen Ort konnte sich das zu einem Damoklesschwert entwickeln!
Nach meinem Wechsel zum Wochenblatt ergaben sich 1992 dann völlig neue Perspektiven, denn mir brachen plötzlich meine eigenen Mitarbeiterstrukturen aus der Tageszeitungs-Zeit weg! Der vermeintliche Meinungs-Monopolist reklamierte dies auch für die Ortsmitarbeiter. Das eröffnete uns im Wochenblatt die Chance, uns von allen Abhängigkeiten zu befreien. Es war der Verdienst von Oliver Fiedler, der vor allem am Montagabend die Gemeinderatssitzungen im Hegau zur eigenen Heimat machte. Er beackerte den Hegau, wie es noch nie jemand vor ihm getan hatte. Das war dann eben die Redaktion, die nicht aus dem Rathaus kam! Ja, in den Gemeinden draußen fehlt oft die kritische Distanz zu den Akteuren. Das wurde mir erst in diesen Tagen knallhart bei der Zeitungslektüre beim Frühstück vor Augen geführt.
Die Kommunalwahlen sind vorbei. Über die Kandidaten, wie den erwünschten Sprung nicht geschafft haben, hat der Ortschronist brav geschwiegen. Man trifft sich ja am Stammtisch und bei der nächsten Vereinsgeneralversammlung wieder. Und bei der Verabschiedung verdienter Gemeinderäte darf man wieder nach Herzenslust jubeln! Das waren schon alles Hauptkerle, die alles richtig gemacht haben. Der Bürgermeister hätte seine Rede auch so bei einer Beerdigung halten können. Und dann wird jubiliert, die Vita umfasst die Generationen: Der Vater, der Sohn, die ganze Familie! Da wird addiert und plötzlich waren Vater und Sohn nacheinander weit über 30 Jahre im Rat! Wenn man schon bei Erbhöfen ist, dann muß alles komplett sein: Heißt das, dass wenige Familien bei vier verschiedenen Bürgermeistern ständig am Ratstisch saßen? War da nicht noch etwas? Da heben zudem Verwandte auf verschiedenen Listen für den Gemeinderat kandidiert, von denen klar war, dass eh nur eine(r) das Mandat werde antreten können. War das von vorne herein ins Kalkül gezogen?
Aber da sind wir schon wieder bei den Fragen, die in einem solchen System dörflicher Erbhöfe nicht vorgesehen sind. Da müsste man schon einmal nachfragen, wie die kommunalpolitische Arbeit der örtlichen Parteien in den letzten fünf Jahren ausgesehen hat. Wie war das mit der Bürgerbeteiligung? Bei welcher öffentlicher Diskussion hätten sich künftige Kandidaten und/oder Neubürger profilieren können?! Dabei gab es einige gute neue Kandidaten auf verschiedenen Listen, doch die wurden dann nicht gewählt. Letztlich konnten sie das System der Erbhöfe nicht gefährden.
Eines muss man zudem lernen: In Orten gibt es unterschiedliche Bürgergruppen und Interessenlagen. Manchmal zeigen sich Zweitwohnungsbesitzer und Neubürger zufrieden, wenn sie einen Interessenvertreter möglichst nahe an der Rathausspitze haben. Das fängt mit Grundsteuer, Zweitwohnungssteuer oder gar der Gewerbesteuer an. Reden wir nicht über Neubaugebiete und andere Infrastrukturmaßnahmen. Solange das System funktioniert, ist egal, ob der Dorfmitarbeiter den Gemeinderat als inkompetente Quasselbude darstellt. Solange er nicht bei der Begründung ins Detail geht . . . Aber das ist beim örtlichen Meinungsmonopol im Geflecht der Erbhöfe nicht zu erwarten.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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