Was sich bei Kommunalwahlen geändert hat
Engagierte Kandidaten sind begehrt
Die Sorgen und Nöte der Listenmacher der Kommunalwahlen sind über Jahre hinweg unverändert: Jeder möchte eine „gute“ Liste haben, die einen Mandatszuwachs sichern soll. Aber was sind „gute“ Kandidaten? Man braucht Leute, die gewählt werden. Aber man braucht auch gute Leute für die künftige Arbeit im Gemeinderat. Ob die dann auch gewählt werden? Eine Frage stellt sich für die Listenmacher in gleichem Maße: Gibt es da engagierte Bürger, die sich bereits mit Anliegen hervorgetan haben? Und kann man die anderen Listen auch noch wegschnappen? Da ist eine Menge Ehrgeiz im Spiel, denn es geht immer weniger profilierte Mitbürger, die für eine Kandidatur in Frage kommen. Und dann kommt noch die heikle Frage des Listenplatzes. Eines ist sicher: Viele Bürger setzen sich gerne punktuell für bestimmte kommunale Ziele mit Leib und Seele ein. Man denke nur an Stuttgart 21 oder Abstimmungen um die Krankenhausfusionen. Doch jeden zweiten Dienstag eine lange Tagesordnung im Gemeinderat über sich ergehen zu lassen, das ist nochmal eine ganz andere Frage. Es ist eben nicht so, dass nach Bürgermeisterwahlen ganze Heerscharen von Kandidaten neu in den Gemeinderat streben. Bürgerinnen und Bürger, die sich in politischen Versammlungen zu Wort melden, werden auch nicht automatisch gefragt, ob sie auf einer Liste kandidieren würden. Dafür müsste deren Nase erst einmal den Listenmachern passen! Machterhaltung ist nämlich ein wichtiges Kriterium bei der Aufstellung der Kandidatenliste. Die Platzhirsche geben kommunale Macht ungern ab. Und wenn eine Fraktion ergänzt werden soll, müssen die Chemie und die politische Balance stimmen!
Bei mitgliederstarken Parteien sieht es etwas anders aus, denn da schälen sich Kandidatenstrukturen schon unterm Jahr heraus. Wer sitzt bereits im Vorstand? Wer ist bereits bestens vernetzt? Da hat sich mancher schon eine Kandidatur erdient. Ein anderes Problem stellt sich über die Jahrzehnte hinweg: Auch und gerade für die Volksparteien ist der vorpolitische Raum weitgehend weggebrochen. Das hat eine Menge mit weltanschauliche motivierten Freizeitbetätigungen zu tun. Einen großen Wandel hat hier vor allem die SPD seit den 70er Jahren durchlebt. Der richtig eingefärbte Genosse war Gewerkschaftsmitglied, engagiert bei AWO, Naturfreunden und dem richtigen Gesangverein. Überall konnte man sich gesellschaftlich profilieren, Vorstandsämter einnehmen. Bei der CDU könnte man mit Pfarrgemeinderäten, Kirchenchören, Caritas oder Wirtschaftsverbänden weitermachen. Daraus ließen sich Gemeinderatskandidaten akquirieren.
In der bürgerlichen Mitte folgten Elternbeiräte, Fördervereine oder Hobby-Vertreter. Bestimmte Berufsgruppen traten an die Stelle früherer Mechanismen: Lehrer, Handwerker, Firmenchefs. Mancher hat nach einer Legislaturperiode im Gemeinderat aber aufgegeben: Er habe sehr viel Zeit investiert, die ihm im Beruf gefehlt habe. Oder bei Ausschreibungen oft nur Nachteile gehabt. Als Ammenmärchen erwies sich die Theorie, dass gerade die Großbetriebe zur Wahrnehmung ihrer Interessen in der Stadt froh seien, in mehreren Fraktionen vertreten zu sein. Irrtum! Hier gab es mehr als einen Beschäftigten, dem deutlich gemacht wurde, dass man Freigaben für Gemeinderatssitzungen nicht mag! Gemeinderäte plädierten oft dafür, die Sitzungen erst später am Abend anfangen zu lassen.
Beim Landtag gibt es den alten Spruch: „Der Landtag ist mal voller, manchmal leerer, aber immer voller Lehrer!“ Bei den kommunalen Parlamenten hat sich auch mancher Wandel vollzogen: Wer kann sich dieses Engagement in der Freizeit, also neben dem Beruf noch leisten? Freiberufler suchen die Chance zum Mandat eher später im Erwerbsleben, Rentner sind gefragt. Und mit wenigen Ausnahmen ist die Zeit der „Vorzeigefrauen“ vorbei: Mehr Frauen kandidieren und werden auch gewählt.
Ein Phänomen in abnehmender Zahl sind die Dauerkandidaten. Sie stellen sich zur Wahl, um zum Beispiel ihre freie Liste überhaupt voll zu bekommen. Der Gedankengang stammt aus jener Zeit, als viele Listen einfach unverändert abgegeben wurden. Da zählte dann jeder Kandidat eine Stimme. Heute nutzen die Wähler die Persönlichkeitswahl notfalls über alle Parteigrenzen hinweg. Zudem ist die Streichregel weggefallen, wonach bei nicht vollständig ausgefüllten Stimmzetteln (nur einzelne Bewerber mit z.B. 3 Stimmen bedacht) so viele Namen von unten her weggestrichen wurden, bis die Höchstzahl den Wählerwillen ausdrückte. Seither haben manche Listenmacher den Reiz der alphabetischen Aufstellung erkannt. Reihenfolgen auf Listen haben eine Menge mit Emotionen und Eifersüchteleien zu tun. Zugleich sollte sich der Wähler über jeden Kandidaten freuen, der sich mutig zur Wahl stellt. Erstens gehört Auswahl zur Demokratie. Und zweitens darf später niemand schimpfen, nur „Flaschen“ seien in den Gemeinderat gewählt worden. Nur ein Tipp: Jeder kann sich mit anderen zu einer freien Wählerliste zusammenfinden. Dann käme anderer Wind in seinen Gemeinderat hinein. Für dieses Mal schon zu spät. Aber in fünf Jahren gibt es die nächste Chance – mit neuen Themen.
PS: Ich habe selbst dreimal kandidiert: In zwei Orten auf zwei verschiedenen Listen.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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