Nach dem GVV-Gutachten wird alles in Frage gestellt
Ehrets Fans kämpfen bei Facebook
Warum braucht ein gesundes Unternehmen „Sonderkredite“? Die GVV hat es gebraucht, beantragt und genehmigt bekommen! Nach dem Vorliegen des Gutachtens zum Konkurs ist dies die Frage aller Fragen an jene Mitbürger, die immer noch glauben, Ex-OB Oliver Ehret habe alles richtig gemacht und sei nur ein Opfer von bösen Zeitgenossen. Ehret will sich zwar noch irgendwann zum Fall GVV äußern. Seine immer noch aktiven Frontkämpfer nutzten das Stadtfest-Wochenende, um im Facebook-Portal der Heimatzeitung einen weiteren Großangriff zu starten. Ihre Überzeugung: Schuld an allem ist nur Bernd Häusler! Wenn es um Schuld und Sühne geht, dann fällt einem gerade in diesen Tagen Rudi Carrell ein, der 1975 fragte, wann es endlich wieder Sommer wird. Und die Antwort war: „Schuld daran ist nur die SPD!“ Zur Überraschung kam damals ein leichtes Schmunzeln. Das verging einem am Wochenende, wenn ein professoraler Ehret-Wahlkämpfer behauptete, das Stadtfest sei durch Häusler zum Sauffest heruntergekommen. Eine Schande für Singen sei es!
Merkwürdig, wenn Neubürger in Diskussionen mit Tradition einsteigen! Ich erinnere mich an stramme Diskussionen mit Schuhhändler Heinz Läufer Mitte der 80er Jahre. Er schwärmte immer vom Radolfzeller Altstadt-Fest, das einfach „mögig“ sei! Ich hielt ihm entgegen: Wenn den Saufen beim Singener Stadtfest den Leuten gefalle, dann solle man das einfach akzeptieren! Alle paar Jahre kam die Diskussion wieder. Das Stadtmarketing stellte wieder manches vom Kopf auf die Füße. Und das „Alemannische Dorf“ des Singener Wochenblatts setzte Akzente. Sigrun Mattes hatte hier mit ihrer Hegauer Mundartbühne eine Heimat neben der Poppele-Zunft gefunden. Unvergessen sind das Rittermahl und die Premiere des Theaterstückchens „Der Kaiser kommt“ mit „Färbe“-Schauspielern. Der Kaiser trat mit einem würdigen Oldtimer auf; Hintergrund waren meine Funde im Singener Stadtarchiv bei Reinhild Kappes. Daran hängt Herzblut. Und damit erledigt sich die „Schuldfrage“ von sich ganz allein!
Für mich stellt sich die Frage aller Fragen noch einmal anders: Sind wir überhaupt noch fähig, Fakten hinzunehmen? Der OB-Wahlkampf ist Geschichte, mit Sicherheit auch kein Ruhmesblatt in Sachen Demokratiestil. Da erinnere ich mich immer wieder an 1969, als Friedhelm Möhrle gegen Theopont Diez siegte. Es war auch in dieser ungewohnten Schärfe geradezu weltbewegend. „Der Spiegel“ schrieb über den gleichzeitigen Machtwechsel in Singen und Überlingen. Zwei Wochen später siegte Willi Brandt in Bonn. Es war ein Umbruch im Zeitgeist. Aber wie ging Singen damit um? Diez wurde Ehrenbürger, Präsident im Kunstverein, Vorsitzender beim Bürgerentscheid „Vereintes Baden-Württemberg“ neben Friedhelm Möhrle. Gegenseitige Achtung war angesagt. Dennoch stellte die CDU zweimal Gegenkandidaten auf, die „saftig“ verloren . . .
Bei der GVV ist allerdings alles anders! Mit dem Tod kehren sonst Gnade und Vergebung ein. Die Achtung gegenüber der menschlichen Existenz dominiert. Ich habe in meinem Nachruf Roland Grundler nicht ohne Grund frei nach Goldoni als „Diener dreier Oberbürgermeister“ bezeichnet. Für Möhrle, Renner und Ehret war er ein „getreuer Eckehard“. Warum ist alles heute so anders? Der Schaden für die Stadt ist enorm. Materiell und Immatriell ! Zu spekulieren, was schwerer wiegt, verbietet sich! Jetzt liegt immerhin ein Gutachten auf dem Tisch, das bisherige Erkenntnisse verdichtet. Und was passiert? Da fällt mit Lothar Späth bei einem Auftritt am Vorabend der Sichelhenke in Bohlingen ein, wo er jungen Protestierern ins Stammbuch schrieb: „Sie bestreiten alles, nur nicht ihren Lebensunterhalt!“ Ehrets einstige OB-Wahlhelfer bestreiten alles, voran die Neutralität der Gutachterin, gegenüber der Ehret wie auch Aufsichtsrat Hermann Stocker keine Aussagen machen wollten. So bleibt man auf jeden Fall „der Gute“.
Dieses argumentative Ping-Pong-Spiel zieht sich durch alles hindurch. „Sonderkredit“ – Was ist das überhaupt? Die Rollen werden immer getauscht: Wer ist Opfer? Wer ist Täter? Am 14. Juli jährt sich die OB-Wahl zum zweiten Mal. Soll vieles in Vergessenheit geraten? Hat niemand damals nachgerechnet, wieviel Miete im ersten Jahr für den Tower eingegangen ist? Hat niemand nachgefragt, wie weit das „SinTec“ zum Tower-Start belegt war? Ich suchte dort beim offiziellen Start die ersten Existenzgründer, um eine Reportage über die Neuen im Gründerzentrum machen zu können. Ich traf den Vater einer Mitschülerin meiner ältesten Tochter! Inzwischen ist der Landeszuschuß für das ganze Objekt zurückgezahlt. Oder wird das auch in Frage gestellt, weil dies Bernd Häusler als OB hat? Wegen der erwünschten Landeshilfe war damals Ministerpräsident Erwin Teufel extra zu einer lokalen Wirtschaftskonferenz ins Rathaus gekommen. Dazu hatte Andreas Renner angesichts der Nöte in den Großbetrieben gebeten. Vergessen? Oder wird das einfach bestritten?
Hätte Ehrets Administration besser den GVV-Wirtschaftsprüfern misstraut und ihr Testat in Frage gestellt? Wie war das beim Krankenhaus und den dortigen Prüfungsvermerken? Sind wir Journalisten zu oft angelogen worden? Oder haben wir nur die falschen Fragen gestellt? „Altpfunzler“ Helmut Graf hat mir einen guten Hinweis gegeben: „Erscht wenns glaubscht, bischt aagloge!“ Dann bin ich doch nicht angelogen worden, als ich vor Baubeginn nach der Tower-Auslastung fragte. Die 60 Prozent glaubte ich weder Grundler noch Ehret. Dass es aber nur 36 Prozent waren, hätte ich in keinem Traum für wahr gehalten. Unglaublich ist, dass eine hundertprozentige Tochter der Stadt Singen auf Währungsgewinne wettet! Das geschah bei der Sparkasse zu einem Zeitpunkt, als sich der Schweizer Franken schon im Sinkflug befand. Dennoch: Am 14. Juli 2013 war in Singen die Welt noch in Ordnung! Wie hätten wir dann die Wahrheit jemals erfahren sollen? Durch eine Fusion mit der Konstanzer WOBAG nie, denn die rätselt in Konstanz, was sie mit ihren zigmillionen Euro Gewinnen machen soll.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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