Aber was wissen wir wirklich von dieser Welt?
Die Macht der Bilder scheint unbegrenzt
Nachrichten üben auf mich eine Faszination aus. Ich will einfach wissen, was um mich herum auf dieser Welt geschieht! Wissen ist für mich wie ein Fundament, auf dem ich stehen kann, aber auch gesichert weiterbauen könnte. Soll daraus ein Ausdruck von Weisheit werden, muss man nur die närrische Persiflage des legendären „dbK“ von der Singener Poppele-Bühne hinzufügen: „Wissen ist Macht – Nichts wissen macht auch nichts!“ Aber gerade deshalb scheint die Macht der Bilder gerade heute unbegrenzt zu sein. Das gilt vor allem für die Berichterstattung von Kriegen, Katastrophen und Konflikten. Der Fotograf weiß um die Macht seiner Bilder, denn sie erreichen mit ihrer Symbolkraft Herz und Hirn in gleichem Maße. Und sie wirken ohne Sprache, ohne Texte. Und damit bin ich mitten in meinem aktuellen Problem: Bräuchten Bilder nicht häufig aber genau diese sprachliche Ergänzung? Das Einordnen von Fakten? Müssten sie nicht schlichtweg auf Wissen stoßen?
Die Kommentatoren von Tagesthemen und Heute mühen sich redlich, die Macht der Bilder einzugrenzen, Emotionen auf ihr faktisches Fundament zurückzuführen. Sie bemühen sich redlich, bei Filmen auf die Quellen und die Urheber zu verweisen. Sie wissen, dass Bilder aus Konfliktgebieten längst zu Waffen geworden sind. Bei den furchtbaren Kriegen des letzten Jahrhunderts spielten Kriegsberichterstatter schon eine bedeutsame Rolle. Sie waren der verlängerte Arm der Propaganda. Die Amerikaner brachten nach der Invasion einen Ernest Hemmingway an die Nachrichtenfront. Hitler setzte auf „seinen Volksempfänger“, der die Heimatfront stabilisieren sollte. Dann lernten die Bilder laufen. Sie brachten den Schrecken des Vietnam-Krieges in unsere Wohnzimmer. Das sollte den Amerikanern im Irak-Krieg nicht passieren, deshalb brachten sie ihre Journalisten gleich „eingebettet“ in die Armee mit. Seither sind Medienberichte parteiischer geworden, wobei das Internet als neuen Medium enorme Veränderungen mit sich gebracht hat.
Der Weg von der Handy-Kamera in die Abendnachrichten ist kurz geworden, für meine Begriffe vielfach zu kurz! Was bei Twitter oder sonstwo „im Netz“ unterwegs ist, wird selbst bei seriös gelten wollenden TV-Diskussionen kurzerhand eingespielt. Wo früher Redakteure Nachrichten ausgesucht und bewertet haben, entscheidet nun dieses „Netz“. Wir haben die Macht der Plätze bei der arabischen Revolution erlebt, Klitschkos Aufstieg auf dem Maydan. Wir haben emotional Beifall geklatscht, ohne ein Thema zu vertiefen. Und wenn sich alles wendet, dann ist das halt so gekommen! Es ist die Kurzlebigkeit der Nachricht, die mich geradezu entsetzt. Die Bilder vom Trümmerfeld der Flugkatastrophe in der Ukraine verblassen hinter den Bilder der Trauer in Oranje. Und am Abend diskutieren wir wieder über Putin: So weit waren wir bei der Olympiade auch schon. Dann reihte sich König Fußball ein. Der kommt 2018 auch nach Russland. Stört ja auch nicht unbedingt, schließlich herrscht dort Recht und Ordnung im Reich der FIFA-Zaren.
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Die Medien gedachten gebührend des Ereignisses. Aber tappte die Welt damals nicht ähnlich in eine Katastrophe wie heute? Es gab einfach zu viele Konfliktpunkte und ethnische Befindlichkeiten. Aber wir lernen nicht aus der Geschichte. In den 70er-Jahren sprach alles über Guerilla-Strategieen. Unsere Väter und Großväter beklagten den Partisanenkrieg aus Titos Reich. Maoistische Vietnam-Freunde lasen die Kriegsanleitungen von General Giap. Er hatte nach den Franzosen auch noch die Amerikaner aus dem Land gejagt – und wurde 102 Jahre alt. Ja, menschliche Schutzschilder hat er mit erfunden. Und die israelischen Militärs kommen in den moralischen Mülleimer, weil sich die gegnerischen Waffenlager plötzlich als Kinderkrankenhäuser entpuppen. Die Macht der Bilder ist auf der Seite von Hamas! Und Deutschland hat wieder ein Problem mit dem Umgang mit dem Nah-Ost-Konflikt. Unsere Vergangenheit holt uns ein.
Die Macht der Bilder dominiert weltweit, also auch bei uns vor der Haustür. Welches Bild haben wir von der Singener GVV? Einst haben die Prunkbauten bis hin zum Hegau-Tower das Image des Unternehmens geprägt. Die Spatenstiche sollten Erfolg und Fortschritt gleichsam in die Köpfe einbrennen. Und nun ist nach dem Suizid von Roland Grundler alles anders? War das alles nur eine Fata-Morgana? Wer ist schuld? Schaffen wir die Aufklärung in einem wirtschaftlichen Sumpf? Wie geht die Öffentlichkeit damit um? Wie kommen die damaligen Entscheidungsträger damit zurecht?
Wenn ein Luftballon zerplatzt, weint das zuvor damit beschenkte Kind. Wenn eine politische Vision sich als Traum ohne jegliche Basis erweist, dann stürzt für manchen eine ganze Welt ein. Dann steht man im Gemeinderat auf und knallt hinter sich die Tür zu! Wusste man nichts? Wusste man auch als Aufsichtsrat nichts? Jetzt kristallisiert sich heraus, dass die GVV bereits 2013 reif für den Gang zum Konkursrichter gewesen wäre. Aber auch das war wieder einmal der falsche Zeitpunkt, denn da tobte der OB-Wahlkampf in Singen. Bernd Häusler hatte mich gefragt, ob ich auf seiner Homepage meine alte Kommentar-Kolumne wieder aufleben lassen könnte. Ich tat es. Damit war ich natürlich „eingebettet“ in das Wahlkampfteam.
Ich recherchierte immer wieder über die aktuelle Lage der GVV, hatte von den Swaps zur Schließung von Finanzierungslücken gehört, kannte Leerstände, landete aber immer wieder an einer Mauer des Schweigens. Es war nichts festzumachen, nichts wahlkampfmäßig „auszuschlachten“. Zudem hatte die Gerüchteküche der anderen Seite längst gewirkt: Der Finanzbürgermeister müsse doch das alles von der GVV gewusst haben?! Und dann herrschte auch noch die „political correctness“. So paar Dinge tut man halt nicht. So ist das im Großen wie im Kleinen. Ja, hinter sich die Türe zuschlagen! So ist das Weiterleben als Aufsichtsrat vielleicht auch nur erträglich. Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich in meiner aktiven Zeit als Journalist hätte mehr tun können/müssen? Hätte ich das leere SinTec fotografieren müssen? Wäre das die Macht der Bilder gewesen? Die Überschrift meines Titel-Kommentars zum Grundsatzbeschluss zum Bau des Towers im Jahr 2005 habe ich wiedergefunden: “Mutig, mutig“. Fotos der Klingelknöpfe im Bereich der Leerstände wären besser gewesen. Der Macht der Bilder wäre auch damals wenig entgegenzusetzen gewesen . . .
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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