Erfahrungen rund um den Jahreswechsel
Die liebe Not mit dem Notdienst
Die Gesundheitspolitik ist nicht unbedingt das spektakuläre Thema im Berliner Koalitionsvertrag, für Aufregung sorgt sie dennoch auch zwischen den Jahren. Politiker wissen, was sie ihrer Klientel schuldig sind. Wer die "Geiz-ist-geil"-Generation als Zielgruppe sieht, der heizt die Debatte um künftige Zuzahlungen bei den Krankenkassen an. Dabei hat die SPD mit ihrer Sozialklausel vorgesorgt. Für sie hat der ministeriell unversorgte Karl Lauterbach gezündelt, denn wer in vier Wochen keinen Facharzttermin bekomme, der dürfte sich ambulant im Krankenhaus behandeln lassen. Das würde glatt Revolution im Gesundheitswesen bedeuten, klingt aber irgendwie gut. Das Thema ist nämlich virulent! Das weiß der Gesundheitsexperte natürlich. Wie ich zum Facharzttermin komme, ist für viele Menschen ein meist sogar richtig schmerzendes Thema.
Wie wird also die Zukunft unseres Gesundheitswesens aussehen? Mit dem Thema wird sich der kommende Politische Aschermittwoch des Wochenblatts in der Singener Scheffelhalle befassen. Über vielen Themenbereichen schwebt das Schwert der Finanzexperten. Viele Dinge liegen aber anders, haben viel mit Organisation und Kreativität zu tun. Das gilt natürlich auch für die Notdienste, die ein Dauerthema sind. In Konstanz sitzt der Notdienst niedergelassener Ärzte am Wochenende in den Klinikräumen. Im Rest des Landkreises Konstanz reisen die diensthabenden Ärzte am Wochenende. Der Kontakt ist über die Rettungsleitstelle telefonisch herzustellen. Das ist das Ergebnis nahezu ewig währender Debatten, die sich vielfach um den Missbrauch drehten. Viele Patienten wollten sich einfach nur "billig" eine zweite Meinung zu ihrer Krankheit holen. Dazu war der Notdienst niedergelassener Ärzte wirklich nicht gedacht.
Die Fronten scheinen sich beruhigt zu haben. Oder haben sie sich nur verschoben? Es geht um die Konsultation eines Facharztes - oder wenigstens um einen Termin bei einem, notfalls am Wochenende! Die Probleme liegen - wie schon angedeutet - im organisatorischen Detail. So bleibt mir eine Geschichte ewig im Gedächtnis. Wir brauchten am Sonntag einen Kinderarzt für unsere Tochter. Der Anruf in Radolfzell ergab, dass der einzige für den Kreis in Hilzingen war! Dort tobte just an diesem Wochenende das Kirchweihfest! Die Arztpraxis war mitten im Festgelände. Die Polizei sicherte uns den nächstmöglichen "illegalen" Parkplatz neben dem Einsatzfahrzeug. Das Kind habe ich dann quer durch die Festmeile zur Praxis getragen. Hinterher war alles Beschwerliche vergessen, denn der Arzt half und war schichtweg toll. Die Nachfrage bei den Verantwortlichen für den Notdienst ergab das bereits gewohnte Schulternzucken: Wer könne schon bei der Einteilung wissen, dass da ein Fest vor der Haustür sei?
Ja, die Not mit den Fachärzten: Manches mag dramatisiert sein, doch ohne Grund hätte es diese Anzeige zum neuen Jahr nicht gegeben! Eine HNO-Praxis aus Konstanz bietet zum langen Wochenende einen eigenen "Privatärztlichen HNO-Notdienst" kreisweit an. Telefonische Voranmeldung unter..... Wenn sich das nicht lohnen würde, würde kein Arzt ein Wochenende lang seine Praxis anwerfen! Die Feiertage sind natürlich ein Problem - und viele Fachärzte sind natürlich auch in Urlaub. Mich selbst hat es in der Neujahrsnacht erwischt: Zahnschmerzen! Erst dominiert der Mut: Bis zum 7. Januar werde ich das noch ertragen. Am 2. Januar kam der Testanruf beim Zahnarzt: Ein Notdienst ist eingeteilt, zu erfragen unter .... Am 3. Januar führt der erste Weg zum Telefon: Es gibt zwei eingeteilte Praxen, einer in Litzelstetten für Konstanz, eine in Gailingen für den Rest. Ich war gerade dabei, eine Liste mir bekannter Zahnärzte zu erstellen, um nachzufragen, ob sie offen hätten. Da rief gerade meine Schwägerin an, der meine Frau von unserem Problem berichtete. Die sagte spontan, der ihr gegenüber wohnende Zahnarzt bei gerade - wie jeden Tag - zur Arbeit gefahren. Ja, so nahe liegt manchmal das Glück: Ein Anruf, die Aufforderung gleich loszufahren und drei Stunden später ließ der erste Schmerz nach: Der Eiter an der Wurzel unter der Brücke konnte abfließen.
Nicht nur für mich lohnte es sich, dass dieser Zahnarzt trotz schier kollektiv angesagter Urlaubszeit seine Praxis geöffnet hatte. Da haben nämlich "Kunden" Zeit, zum Arzt zu gehen. Viele Betriebe und Büros haben Betriebsruhe zwischen den Tagen, da braucht man für den Arztbesuch keinen Urlaub zu nehmen. Ähnliches gilt für Schüler und Studenten. Die andere Frage ist natürlich die nach der Behandlung des aktuellen Notfalls. Das ist auch unter dem Jahr bisweilen ein Problem. Eine potentielle Allergikerin hat plötzlich Ausschlag am Auge, Rötungen am Hals kommen hinzu. Es wird über Nacht schlimmer. Und wieder kommt der erste Griff ans Telefon. Der anvisierte Hautarzt hat laut Internet von 8 bis 12 Uhr geöffnet, am Telefon meldet sich niemand. In Singen ist erst ab 14 Uhr jemand erreichbar. In Radolfzell ist ein Termin erst im Januar möglich. In Überlingen immerhin schon am Montag nächster Woche. In Stockach hat die telefonische Durchsage gewechselt: Praxis ab 10 Uhr geöffnet. Was bleibt als Lösung? Ins Auto setzen und auf gut Glück zu 10 Uhr losfahren! Zwei Stunden später gibt es ein erstes Lächeln: Problem diagnostiziert, für Abhilfe gesorgt. Es war eine jahrelang benutzte Gesichtscreme, die plötzlich eine allergische Reaktion hervorrief. Das sei nicht ungewöhnlich, sagte der Facharzt. Wieder etwas gelernt! Das Thema der Facharzttermine ist zu Recht im Koalitionsvertrag angesprochen. Sensible Sprechstundenhilfen sind Gold wert! Vieles ist mit Transparenz zu lösen, wozu auch die Pflege der Daten im Internet gehört. Und der Patient? Der ist immer glücklich, wenn der Schmerz nachlässt.
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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