Von wegen „Schluss mit lustig“ im heutigen Alltag
Der Spaß kommt aus dem Bauchladen

Werbung im Fernsehen, Moderation einer Sportveranstaltung: Egal, immer fällt das Wort „Spaß“. An der Kasse im allgewärtigen Supermarkt zahlen wir für „Spaß“. Auto, Wohnen, Freizeit: Wehe, wenn es keinen „Spaß“ mitliefert. Wenn man die akustische Aufmerksamkeit darauf richtet, stolpert man ständig über diesen Spaßfaktor. Dabei wurde er zu Beginn des letzten Jahrzehnts schon für überlebt erklärt. So beschrieb Peter Hahne 2004 in seinem Buch „Schluss mit lustig“ bereits das Ende der Spaßgesellschaft! Das war wohl auch der Wunsch Vater des Gedanken dieses evangelikalen Vordenkers. Es ist eben nicht vorbei! Unsere medial Welt lechzt weiter nach Spaßfiguren. Oder ist der griechische Finanzminister mit seinem offensichtlichen Erfolgskonzept anders zu verstehen? Weiterhin zählt die „Performance“ in der medialen Wahrnehmung. Karl Otto Lagerfeld braucht seine neue junge Muse, die so wichtig ist wie schwarze Sonnenbrille und seine überlangen Hemdstulpen. Den Brunstschrei auf dem roten Teppich bedienen auch die Öffentlich-Rechtlichen. Ohne die Knirpse der „Royals“ ist keine Quote mehr zu machen. Keine gute Laune ohne einen zu schlagenden Raab!

Wer ist schuld daran? Das Publikum selbst? Das ist wie bei Lebensmittelprodukten: Erst der Konsum verlangt nach mehr! Die Lockstoffe sind bereits enthalten! Schuld? Das sind im Zweifelsfall immer die „68er“. Sie sind schuld an den miserablen Pisa-Werten, ob wohl sie es waren, die gegen die Bildungskatastrophe von Georg Picht ankämpften. Die Schuld an der Spaß-Gesellschaft hat ihnen bereits 2001 „Die Welt“ zugewiesen. Sie prangerte die „Diktatur des Spielerischen“ an und schrieb:

„Spielen statt Denken, auch das wäre eine, die andere, die nur scheinbar harmlose Erbschaft aus 68. Das dialektische "make love not war" verdichtete sich zum eindimensionalen "have fun". Für diesen Befund gibt es ja auch längst den richtigen Begriff: Spaßgesellschaft. Bezeichnend ist allerdings, dass sich diese Spaßgesellschaft als Negation, nicht als Ergänzung zur einst so geheiligten Denkgesellschaft realisiert. Die Deutschen galten in ihrer Geschichte als tiefsinnig bis zur Langeweile. 68 hat zum Tiefsinn spielerischen Unsinn hinzugefügt. Das war gar nicht so verkehrt. Aber inzwischen sind wir nicht mehr in der Lage, die Balance zu halten.“

Die fehlende „Balance“ ist ein guter Ansatzpunkt zum Weiterdenken. Was ist auf dieser, unserer Welt noch in der Balance“? Gibt es eine Balance zwischen arm und reich? In unserer Gesellschaft? Zwischen der alten Welt und den Entwicklungsländern? Zwischen Weltanschauungen und Computergläubigkeit? Zwischen Krieg und Frieden? Zwischen Wahrheit und Marketing? Einer Tagespolitik wie aus dem Bauchladen? Von wegen „Schluss mit lustig“ im heutigen medialen Alltag! Das wahre Leben pulsiert demnach zwischen den gegensätzlichen Polen. Dazu gehört auch der Gegensatz der Generationen, wenn der Nachwuchs ohne eine Dauerparty nicht leben kann, weil die dröge Welt anders nicht zu ertragen wäre. Dabei ist das, was andere als „dröge“ empfinden, ein ganz normaler Abschnitt unseres Lebens. Zur vermeintlichen „Denkgesellschaft“ gehört eben auch die früher viel gepriesene „Weisheit des Alters“, die Reflektion aus der Distanz zum pulsierenden Leben heraus.

Gefragt sind auch die Balance von Zeit und Raum, eine Entschleunigung bei anscheinend grenzenloser Geschwindigkeitssteigerung. Und wieder ein Sprung in die vermeintliche Vergangenheit: Die Spaßgesellschaft schien überwunden, von Entschleunigung predigte in Singen der „kirchliche Dienst in der Arbeitswelt“ bei seiner Aktionswoche. Merkwürdig: In den letzten Wochen begegne ich immer wieder der Forderung nach Entschleunigung! Vielleicht sind sich immer mehr Menschen einer Gesellschaft überdrüssig, bei der ständig der Spaß aus dem Bauchladen quillt, angeboten wird wie Sauerbier. Oder ist er einfach die gesellschaftlich verordnete Gute-Laune-Droge? Alles absolut legal, ohne beim Apotheker abzufragende Nebenwirkungen! Was soll da die aktuelle Cannabis-Debatte zwischen Stuttgart und Berlin? Es gibt viele Ansatzpunkte für kritische Zwischenrufe. Eine Gesellschaft, die synthetische Drogen zur Party-Verlängerung einwirft, braucht einen anderen Takt, eine Entschleunigung zum Durchatmen.

Leute haben aber plötzlich statt Spaß Sorgen! Das muss schlimm sein, denn das ist wie eine ansteckende Krankheit. Das ist die ganze Palette wieder da: Sorge wegen Krieg oder Frieden, Wahrheit oder Marketing, Bankenmacht oder Computerhörigkeit, schlechter Performance und Zukunftsträumen. Späte Sorgen wegen der 68er? Da sei ein Wertewandel in Bewegung gesetzt worden – zu Ungunsten der Wissenschaften! Das behauptete jedenfalls „Die Welt“. Bei „Wissenschaften“ werde ich misstrauisch: welche bitte? Wir haben Mangel an Lehrern für Naturwissenschaften, Physik und Chemie. Und ein paar Nobelpreisträger mehr dürften es auch sein. Dafür haben wir explodierende Zahlen von Abiturienten und Studierenden. Aber was studieren diese? Ihre Themenpalette ist bunter geworden. Aber die Wirtschaft steckt sie in die Generation „Praktikum“. Für die Schuldzuweisungen sorgen dann andere . . .

Eines ist mir sicher: Mit dieser Kolumne habe ich diese Woche keinem „Spaß“ gemacht! „Gehabt“ habe ich ihn beim Schreiben allerdings in Grenzen und Maßen. Ich denke gerne nach, denn das macht mir wiederum Spaß. Mein Rollator verfügt zwar nicht über einen Bauchladen, aber Gedanken brauchen auch keine Abladefläche. „Schluss mit lustig“? Peter Hahne, den ich damals vor seinem Auftritt in der neuen Singener Stadthalle interviewen durfte, war seiner Zeit vielleicht etwas mit seinem Urteil voraus. Das passiert auch Köpfen, die Entschleunigung predigen. Aktuell sind er und sein Thema geblieben, auch wenn es unsere kleine Welt noch nicht durchgängig in Bewegung versetzt hat!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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