Erst feiern Narren – dann die ganze Stadt
Als Radolfzell laufen lernte
Radolfzell jubelt an einem fort: Erst wurde die Volkshochschule fusioniert, am Fasnetmäntig feiert die Nazzizella Ratoldi ihr 175jähriges Bestehen und im kommenden Jahr wird die Stadt unter dem Münster 750 Jahre alt! Welches Ereignis kann man wirklich mit frohem Herzen feiern? Den kirchlichen Ursprung der „cella ratoldi“? Die Weisheit des Kappedeschle, die sich 1841 vereinsmäßig fassen ließ? Die selbständig gebliebene Volkshochschule bescheinigte den Radolfzellern Mut zum aufrechten Gang! Da waren die geistlichen Herren von einst und der Kappedeschle gemeinsam am Werk: Tiefsinn und Wunderfitz an einem Stück! Günther Neurohr war als Oberbürgermeister ein professioneller Alefanz! Zudem war er evangelisch. Hätte er sich dazu hinreißen lassen sollen, die Bildung der Münsterstädtler den Genossen kampflos zu überlassen? Der Landtagswahlkampf 1972 hatte gezeigt, wohin die politische Reise gehen würde. Jetzt war es die Regionale Volkshochschule Konstanz-Singen unter Axel Holst, assistiert von OB Friedhelm Möhrle. Radolfzell hielt sich zurück, ab 1976 noch konsequenter unter Günther Neurohr.
Frühere Vorkämpfer der Erwachsenenbildung in unserer Region wehrten sich gegen die neue RVHS-Führung. Im Hintergrund wirkte der Singener Kulturpapst Dr. Herbert Berner. Das Konstanzer Rechnungsprüfungsamt war gleichzeitig mit der Kassenprüfung beauftragt. Das deckte Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen auf. Plötzlich mischten sich die Fronten. Zur alten Konstanzer Bildungselite gehört Rudolf Kutscher. Sein Offenes Liedersingen mit Uli Ulmer war bei der neuen Bildungselite ins Hintertreffen geraten. Kutscher machte damit in Radolfzell weiter. Dafür brauchte er Öffentlichkeitsarbeit und landete mit dem Werbewunsch bei mir in Singen. Ich hatte inzwischen zwei „Fässer“ mit der RVHS aufgemacht. Ich hatte im „Schwarzwälder Boten“ geschrieben: „Dafür hätte sich Volkshochschule Mercedes kaufen können!“ Eine Schwedenfahrt hatte nicht stattgefunden. Die Absage war für den gebuchten Bus aber nicht erfolgt! Gleichzeitig wollte die RVHS als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einen Referenten für Jugendbildung anschaffen. Dagegen hat sich der Kreisjugendring gestemmt, dessen Vorsitzender ich war! Die 15 Prozent Finanzhilfe wollte Möhrle von der Stadt Singen erbringen, bekam dafür aber keine Zustimmung im Jugendwohlfahrtsausschuß! Unregelmäßigkeiten deckten die Konstanzer Rechnungsprüfer nahezu zeitgleich auf. Die RVHS-Führung durfte gehen!
Vieles entwickelte sich neu. Dr. Jochen Schmidt-Liebich läutete eine neue stabile VHS-Ära über mehr als 25 Jahre ein. In Radolfzell begann Uwe Donaths Zeit. Er begann als Neurohrs Pressereferent und entwickelte die eigene Volkshochschule durchweg positiv. Er nutzte die lokalen Chancen, die Qualitäten der lokalen Referenten. Mit dünner Personaldecke überlebte die kleine Volkshochschule: Umso überraschender war jetzt die Fusion! Als wären Narrizella und Froschen in einem gemeinsamen Bett gelandet! Oder gibt es da plötzliche eine fraktionsübergreifende Städtefreundschaft im Kreistag?! Mit Neurohr wär‘ das nie passiert! Und mit Dr. Schmidt auch nicht! Und das aus ganz unterschiedlichen Gründen! Mit den Sparkassen und den Krankenhäusern kann man fusionieren! Aber doch nicht mit der Volkshochschule! Die Radolfzeller Volkshochschule war immer bürgerschaftliches Engagement! Da rückt die Fastnacht näher, ganz nahe von ihren Ursprüngen her! Man macht sich über die Obrigkeit lustig, stellt vieles in Frage! Eine andere Welt wird dargestellt, eine, also unsere Gegenwelt!
Frage: Haben die Radolfzeller laufen gelernt? Oder haben sie sich schlicht eingereiht? Wie nahe sind Politik und gesellschaftliches Leben beieinander? De Kappedeschle weist seit 175Jahren den Weg! Wohin führt er seither die Stadt? Durch das Fenster sieht man besser auf die Straße. Eine politische Karriere sichert dies allerdings nicht. So einfach wird man auch nicht Gemeinderat! Oder gar Kreisrat! Lassen wir uns einfach überraschen!
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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