Singen und die Jugend
So hat sich die Kinder- und Jugendarbeit in fast 100 Jahren verändert
Singen. Die Kinder- und Jugendarbeit hat schon seit mehreren Jahrzehnten einen festen Stellenwert in Singen. Besonders zwischen 1970 und 2000 gewann die Jugendarbeit durch das schnelle Wachstum der Stadt an Bedeutung, wie Martin Burmeister in der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen des Sozial- und Jugendamtes 2001 „Von der Wohlfahrt zur sozialen Stadt“ rekapitulierte: „Weit mehr als in anderen Städten haben die MitarbeiterInnen der Jugendarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die in ihrer sozialen Entwicklung benachteiligt sind.“ Burmeister leitete zwischen 1991 und 2018 die Abteilung Kinder und Jugend der Stadtverwaltung, seit sechs Jahren ist er Sozial- und Bildungsplaner der Stadt.
Die städtische Jugendarbeit ist offen organisiert, es geht also um Kinder- und Jugendtreffs oder Veranstaltungen, die jedem zugänglich sind. Im Unterschied dazu sind verbandliche Jugendgruppen oft mit Vereinen und dadurch auch mit einer Mitgliedschaft verknüpft. Die offene Jugendarbeit entstand Anfang der 70er Jahre aus den Studentenbewegungen der 1960er, so Jennifer Störk, die als Abteilungsleiterin Kinder und Jugend die Nachfolge Burmeisters antrat: „Das entstand aus einem Freiheitsanspruch heraus: Wir wollen Räume für uns, in denen wir uns entfalten können.“
98 Jahre Jugendarbeit
Der erste Anhaltspunkt zur Singener Jugendarbeit ist im Jahr 1925 zu finden. Der langsame Aufbau der Jugendpflege wurde durch die Hitler-Jugend ab 1933 unterbrochen. Auf Wunsch der französischen Militärregierung wurde nach 1945 die Jugendarbeit wieder aufgebaut, wie Martin Burmeister in der zuvor genannten Festschrift schrieb. Dabei sei es auch zu absurden Situationen gekommen. Etwa als 1947 eine Jugendorganisation für einen Monat gesperrt wurde, weil diese sich „ohne die Genehmigung der Militärregierung nach Württemberg begeben hatte. Es handelte sich hierbei um eine Fahrt der katholischen Jugend auf den damals noch württembergischen Hohentwiel.“
1948 entstand dann das erste „Haus der Jugend“ in Singen, währte aber zunächst nur vier Jahre. Ab den 1970ern bekam die städtische Jugendarbeit Raum, sich zu entwickeln: Der erste Stadtjugendpfleger wurde eingestellt und das „Haus der Jugend“ in der Freiheitsstraße neu eröffnet.
2003 folgte der Umzug in das „Jugendkulturcentrum Blaues Haus“ in direkter Nachbarschaft. Dabei waren bereits weitere Standorte der Jugendarbeit entstanden, etwa mit dem Kinder- und Jugendtreff Südpol im Gebäude der Schillerschule. Der Kinder- und Jugendtreff Nordstadt (JuNo) am Ziegeleiweiher ist wiederum „das erste Singener Jugendhaus, das eigens für diesen Zweck entworfen und gebaut wurde“, hob Martin Burmeister hervor.
Die Aufgaben ändern sich
Im Vergleich zu den 70ern deutlich weniger geworden sind selbstverwaltete Jugendtreffs, die meist nur noch im ländlichen Raum zu finden sind. Auch die Teestube, welche mit einem Schwerpunkt in der Drogenprävention gegründet wurde, sich heute aber eher im Bereich Jugendkultur einbringt, werde von einer pädagogischen Mitarbeiterin begleitet, so Burmeister. Die Einstellung junger Menschen habe sich verändert: Während 1981 noch für ein freies Jugendhaus demonstriert wurde, fehle diese Eigeninitiative heute. Einen Teil der Ursache sieht Jennifer Störk in Regulierungen: Ideen von Kindern und Jugendlichen lassen sich oft nicht umsetzen.
Das Jugendzentrum sei heute mehr zur Anlaufstelle für Einzelfallhilfe geworden, so Störk weiter. „Die individuelle Unterstützung hat in den letzten Jahren sehr zugenommen, weil die Probleme schon bei Kindern so tiefgreifend sind.“ Ihnen wird dort Hilfe geboten, wenn sie sie brauchen und wollen. Da könne es mitunter schon um ein Mittagessen oder die Frage nach dem Tag gehen: „Die Familien-nahen Bezüge sind schon deutlich ausgeprägter, als es vielleicht früher war.“
„Der offene Treff ist das Kernstück der Kinder- und Jugendarbeit“, findet Jennifer Störk. Zu den entsprechenden Öffnungszeiten können Kinder und Jugendliche dann einfach ins Blaue Haus kommen und dort Zeit verbringen. Gerade durch ihre Freiwilligkeit, Offenheit und Niederschwelligkeit zeichne sich die offene Jugendarbeit aus. „Daran hat sich auch seit es sie gibt nichts geändert und es ist auch ganz wichtig, dass es so bleibt.“ Störk bedauert aber, dass der Wunsch der Eltern nach Betreuung der Kinder auch Einfluss auf die Jugendarbeit hat: „Man richtet sich jetzt auch nach den Bedarfen der Eltern, obwohl wir eigentlich Kinder- und Jugendarbeit machen.“
Unterstützung die wirkt
Eine neuere Entwicklung ist die mobile Jugendarbeit. Dort besuchen die Mitarbeitenden die Orte, an denen sich Jugendliche im öffentlichen Raum aufhalten. Schwerpunkt sei die Altersgruppe am Übergang vom Schul- hin zum Berufsleben, berichtet Jennifer Störk. „Auf dieser Schwelle gibt es viele junge Leute, die Schwierigkeiten haben und Unterstützung brauchen“, egal ob bei Fragen zur Berufswahl, Problemen mit Drogen oder Krach mit den Eltern.
„Sie ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule, Ausbildungsstätte, aber auch zur Familie“, fasst Störk die Rolle der offenen Jugendarbeit in Singen zusammen. „Wenn man in Kinder und Jugendliche investiert und für sie da ist, hat das immer eine Wirkung. Es trägt dazu bei, zumindest einige gesellschaftliche Schwierigkeiten abzufangen und Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu fördern.“
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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